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Die Zeitreisende
Bernd Zeller überlegt, ob Greta Thunberg aus der Gegenwart in die Vergangenheit oder aus der Zukunft zu uns gereist ist
Entgegen unseren Gepflogenheiten beschäftigen wir uns in unserem heutigen Bericht mit einem Unsinn. Im Internet verbreiten sich wilde Mutmaßungen darüber, wieso Greta Thunberg auf einem über 100 Jahre alten Foto zu sehen sein soll. Keine Theorie ist zu abstrus, als dass sie keine Vertreter fände.
Gut, dies ist auch bei anderen Theorien so, aber hier ist die offenkundige Erklärung gar nicht im Gespräch: Greta sieht immer aus wie auf einem 100 Jahre alten Foto, niemand hat sie jemals farbig gesehen. Könnte allerdings auch sein, dass bloß die Information einer Aufnahme von Greta in die Vergangenheit geschickt wurde. Das wäre heute zwar noch unmöglich, aber immerhin allein schon rechnerisch mit weniger Entropieverlust und Energieaufwand und sogar fast klimaneutral durchzuführen als die Zustellung einer Person an eine vergangene Position im Raum-Zeit-Kontinuum.
Natürlich sagen all die Verschwörungstheorien von der Zeitreisenden nichts über Greta, sondern etwas über die Hoffnungen und Wünsche, die in der Gesellschaft gehegt werden. Natürlich wäre es schön, eine Gesandte würde zu uns kommen, damit sie uns wenigstens eine Vorstellung davon gibt, was wir sinnvollerweise tun könnten. Wir würden es nicht tun, aber uns beachtet fühlen, sogar von der Zukunft.
Es stört niemanden, dass keine dieser Theorien, ob eine Verschwörung einschließend oder nicht, in sich schlüssig wäre. Was für eine Mission hätte Greta vor dem Ersten Weltkrieg haben sollen - uns zu warnen? Das Auto des Thronfolgers Franz-Ferdinand umleiten? Oder sollte sie uns vor etwas Schlimmerem als dem Ersten Weltkrieg bewahren?
Hier gäbe es viele, die diesem Gedanken etwas abgewinnen, aber aus selbstsüchtigen Motiven. Denn es geht, wenn wir alle unsere Familiengeschichte betrachten, den meisten so, dass sie feststellen müssen, sie würden in ihrer konkreten Form ohne den Ersten Weltkrieg nicht existieren. Das kann aber die Historie nicht rechtfertigen - es sei denn, man sieht es als Auftrag an. Dies würde nun wieder zu einer Greta-Botschaft passen, in der Art: Wie könnt ihr es wagen zu existieren und zu glauben, das wäre normal? Aber dafür sind wir nicht in der Stimmung.
Völlig unangemessen wäre es, Greta die Schuld an den Weltkriegen zu geben, weil sie sie nicht verhindert hat. Vielleicht hat sie alles Nötige unternommen. Die Kriegswinter waren sehr kalt; vielleicht ist Greta zu verdanken, dass die Kriege nicht noch länger gedauert und noch verheerender verlaufen wären in einem wärmeren Klima. Man kann von einer jungen Frau, auch wenn sie durch die Zeit reist, keine Wunder verlangen.
Es könnte, in der Logik der Verschwörungstheoretiker, auch sein, dass Greta sich um 100 Jahre zurückversetzt, um doch noch eine persönliche Zukunft zu haben. Dies würde bedeuten, dass sie von uns bald schwer enttäuscht wird und wir es ihr nicht mehr wert sind, dass sie sich für unsere Welt einsetzt. Die Enttäuschung ist sogar sehr wahrscheinlich. Greta hätte aber gute Chancen, das zu tun, was alle tun wollen, die sich an den Mitmenschen, von denen sie enttäuscht oder betrogen wurden, zu rächen: nämlich in die Politik zu gehen mit Aussicht auf einen anschließenden Versorgungsposten.
Übereinstimmend gehen die Verschwörungstheoretiker davon aus, dass Greta aus der Zukunft zurückgeschickt worden sein müsse, denn im Moment haben wir noch keine Zeitmaschinen. Doch wir haben auch keine Zukunft, denn die Kohlendioxidsteuer wird die Klimakatastrophe nicht abwenden, sondern nur für den Staatshaushalt komfortabler machen.
Oder die Steuereinnahmen werden darauf verwendet, Greta und die Ihrigen zu retten. Die könnten dann natürlich Gret wieder zu uns zurückschicken (am besten mit außerirdischer Technologie), damit sie dafür sorgt, dass diese Steuer tatsächlich erhoben wird. Allerdings werden die Außerirdischen eine ziemliche Enttäuschung erleben, weil sie unseren Planeten besuchen, um sich darüber zu informieren, wie eine Zivilisation die Klimaerwärmung in den Griff kriegt.
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