- Politik
- Birgit Keller
Linke Präsidentin
Thüringer Landtag wählt Birgit Keller zur Parlamentschefin / AfD bleibt ohne Vize
Die Erleichterung drückt sich spontan aus. Der Alterspräsident des Thüringer Landtags, Karlheinz Frosch, hat das Wahlergebnis noch gar nicht ganz verkündet, da fallen die ersten Parteifreunde Birgit Keller um den Hals. Keller hat eben zehn Stimmen mehr für ihre Wahl zur Landtagspräsidentin bekommen, als Rot-Rot-Grün im Landesparlament in Erfurt an Stimmen hat: 52 von 90 Abgeordneten votierten am Dienstag in einer geheimen Abstimmung für die LINKE-Politikerin, die zuvor Thüringer Verkehrsministerin und davor Landrätin war. Damit ist Keller die erste LINKE-Politikerin der jüngeren deutschen Geschichte, die an der Spitze eines Landtages steht. In jenem Bundesland, in dem mit Bodo Ramelow seit 2014 der erste linke Ministerpräsident Deutschland regiert; und in dem die AfD bei der Landtagswahl Ende Oktober zweitstärkste Kraft geworden ist. Frosch, 1950 geboren, gehört deren Fraktion an.
Thüringen ist seit der Wahl auf der Suche nach einer politischen Lösung, weil keines der Mehrheitsmodelle im Freistaat mehr funktioniert. Deshalb war auch die Wahl Kellers zur Landtagspräsidentin alles andere als sicher. Keller, die ganz in Schwarz gekleidet im Plenarsaal erscheint, appelliert unmittelbar nach ihrer Wahl an die Abgeordneten, den politischen Meinungsstreit ohne persönliche Angriffe auszutragen. Ihren Beitrag dazu, verspricht sie, wolle sie leisten. »Ich sehe mich als Präsidentin für den gesamten Thüringer Landtag«, sagt Keller. Da applaudieren Abgeordnete aller Fraktionen, auch der AfD.
Und doch: Als Keller kurz darauf dem ehemaligen Landtagspräsidenten Christian Carius - einem CDU-Mann - dankt, weil der in der vergangenen Legislaturperiode gegen die Verharmlosung des Nationalsozialismus klar und eindeutig Stellung bezogen hatte, da fällt der Beifall in den Reihen der AfD schon weniger deutlich aus. Damit sei Carius »ein Vorbild für künftige Präsidenten«, sagt Keller. Die Episode, auf die sie anspielt, hatte sich in der Auseinandersetzung von Carius mit dem Thüringer AfD-Fraktionsvorsitzenden Björn Höcke zugetragen, nachdem dieser das Holocaust-Mahnmal in Berlin als »Denkmal der Schande« bezeichnet und eine »erinnerungspolitische Wende um 180 Grad« gefordert hatte.
Überhaupt macht die konstituierende Sitzung des Landtages, auf der Keller in ihr neues Amt gewählt wird, eindeutig klar, wo die Konfliktlinie in diesem Landtag verläuft. Zum Beispiel als die AfD-Kandidatin für einen der fünf Stellvertreterposten, Tosca Kniese, nicht die erforderliche Mehrheit erhält. Für sie stimmen in einer ebenfalls geheimen Wahl 39, gegen sie stimmen 42 Abgeordnete, neun Parlamentarier enthalten sich. Anders als alle anderen im Landtag vertretenen Parteien ist die AfD also nicht im Landtagspräsidium vertreten, womit es in Thüringen laufen dürfte, wie es im Bundestag schon seit zwei Jahren läuft. Zwar steht der AfD ein Stellvertreterposten im Landtagspräsidium zu, in der Praxis aber weigert sich die Mehrheit der Abgeordneten, einen Vertreter der Partei in das Amt zu heben.
Die genannte Konfliktlinie wird auch bei der Rede Karlheinz Froschs bei der Eröffnung des Landtages deutlich. Im Kern sagt er die gleichen Sachen wie später Keller. Etwa: »Ich freue mich auf gute und konstruktive Zusammenarbeit in dieser Wahlperiode.« Oder: Argumente sollten aufgrund ihrer Sinnhaftigkeit, nicht aufgrund der Tatsache, wer sie vorbringt, bewertet werden. Doch als der AfD-Mann diese Dinge sagt, rührt sich bei den Abgeordneten von LINKEN, SPD und Grünen keine Hand zum Beifall.
Anders bei CDU und FDP. Während Frosch seine Rede hält, berühren mehrere Abgeordnete von Christdemokaten und Liberalen mit ihren Händen zumindest vorsichtig, fast verstohlen die Bänke vor sich, um parlamentarischen Beifall zu erzeugen, darunter auch deren Fraktionsvorsitzende Mike Mohring und Thomas Kemmerich. Wirklich wohl scheint ihnen dabei aber auch nicht zu sein. Was das für die parlamentarische Arbeit des Thüringer Landtages in den nächsten Monaten bedeutet, lässt sich noch nicht absehen.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.