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Linke Antworten auf die Fragen unserer Zeit müssen auf dem Begriff der Solidarität aufbauen

  • Benjamin Hoff
  • Lesedauer: 7 Min.

Nach den diesjährigen Wahlen, bei denen die Partei große Erfolge, wie in Bremen und Thüringen, errang und auf schmerzende Niederlagen zurückblicken muss, wie bei der Europawahl sowie den Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg, hat der Parteivorstand zu einer Strategiedebatte eingeladen.

Die strategische Debatte ist nicht nur innerhalb der Partei DIE LINKE, sondern der gesellschaftlichen Linken insgesamt notwendig. In den vergangenen Jahren zeichnete sich ab, dass die Gemeinsamkeiten in der gesellschaftlichen Linken kleiner werden, die Interessen und Schwerpunkte ausfransen und die Idee einer Mosaiklinken, die aus ihrer Vielfalt Kraft schöpft an Anziehungskraft verliert. Stattdessen tritt die Betonung von Unterschieden stärker nach vorn.

Der Autor

Benjamin-Immanuel Hoff, Jahrgang 1976, ist Sozialwissenschaftler. Seit 2014 ist er Kulturminister und Chef der Thüringer Staatskanzlei. Zuvor war er in Berlin Mitglied des Abgeordnetenhauses und fünf Jahre lang Staatssekretär für Gesundheit, Umwelt und Verbraucherschutz in Berlin. Der PDS bzw. Linkspartei gehört er seit 1993 an.

Seit 2010 ist er Honorarprofessor für Sozialwissenschaften an der Alice-Salomon-Fachhochschule Berlin. 2014 erschien im Hamburger VSA-Verlag sein Buch »Die Linke: Partei neuen Typs? Milieus, Strömungen, Parteireform«.

Der hier dokumentierte Text ist eine Zusammenfassung eines Strategiepapiers, das in längeren Fassungen auf der Internetseite www.benjamin-hoff.de abgerufen werden kann.

Dieses Phänomen ist auch innerhalb der Partei DIE LINKE festzustellen, in Verbindung mit strukturellen Schwierigkeiten eine attraktive politische Idee zu formulieren bzw. Antworten auf die Herausforderungen unserer Zeit. Dabei ist ihr Magazin an programmatischen Ideen grundsätzlich gut aber nicht ausreichend gefüllt.

Vom Wachstum zu Wohlstand und Gerechtigkeit

Die Notwendigkeit eines radikalen Umsteuerns angesichts der Klimakrise ist ins öffentliche Bewusstsein gerückt. Strategien, die vorrangig auf Effizienzkonzepte setzen, dabei den technischen Fortschritt überhöhen aber Zumutungen im Hinblick auf das westliche Konsumverhalten scheuen, sind dafür ebenso ungeeignet, wie Strategien des vorrangig individuellen Konsumverzichts. Beiden Ansätzen liegt weder eine soziale Theorie noch ein soziales Modell zugrunde.

Die Einbettung eines zukunftsfähigen Sozialmodells, das mitnimmt und überzeugt, ist der notwendige linke Beitrag für eine breite ökologische Bewegung hin zu einer Gesellschaft, in der Wohlstand und Gerechtigkeit sowohl kognitiv als auch materiell vom Wachstumszwang und monetärem Wohlstand entkoppelt sind. Das ist nicht weniger als ein radikaler Kulturwandel.

In diesem Kulturwandel muss DIE LINKE - und sie kann es programmatisch - eine schlüssige Antwort formulieren, wie künftig die soziale Frage einer ausreichenden Lösung zugeführt wird. Ohne exponentielles Wachstum auf Kosten der Umwelt einerseits bzw. den sozialen Kosten des globalen Südens andererseits. Die linke Antwort lautet: Solidarität und Umverteilung.

Das von der Linken postulierte Primat des Öffentlichen ist in diesem Kontext neu überzeugend. Aus der Kritik an neoliberaler Entstaatlichung erwächst die Rücknahme von Privatisierungen mit dem Ziel der Revitalisierung öffentlicher Infrastrukturen. Ein weiter Begriff öffentlicher Daseinsvorsorge trägt zu einem Verständnis neuer gesellschaftlich wirksamer Steuerungsprinzipien bei - auch zur Bewältigung der Klimakrise.

Die Machtfrage auf dem Weg zur Postwachstumsgesellschaft stellt sich unvermeidbar dann, wenn das Kapitalinteresse der bisherigen wachstumsbasierten Volkswirtschaft unmittelbar berührt wird. Wenn das Absinken der Kapitalproduktivität spürbare und die Renditen geringer sowie langfristiger anfallen werden. Die Machtfrage wird dabei sowohl von oben als auch von unten gestellt werden.

Mit der Abkehr vom exponentiellen Wirtschaftswachstum werden nicht nur Renditen geringer. Auch das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen wird schrumpfen. Die Umverteilung monetären Einkommens dient dann dazu, die Schrumpfung moderat auszugestalten, sie ohne signifikante Wohlfahrtsverluste abzufedern. Umzuverteilen ist in diesem Sinne nicht allein der Reichtum. Umzuverteilen ist auch der Einfluss auf wichtige Güter und Dienstleistungen und der Zugang zu ihnen - von privaten Oligopolen auf die öffentliche Hand oder zu solidarischen Zusammenschlüssen von Bürgerinnen und Bürgern. Ein garantiertes Grundeinkommen flankiert die Verkürzung von Arbeitszeiten in Verbindung mit ausreichenden Mindestlöhnen.

Das Gegenteil davon ist derjenige Bearbeitungsmodus, in dem die traditionelle Linke - zugespitzt formuliert - die Klimakrise als planetarische Menschheitsfrage beschreibt aber vor jede Veränderung der Produktions- und Lebensweise die Enteignung der Konzerne und die Reichensteuer setzt. Und damit ebenso bei der Lösung der Klimakrise scheitert, wie die eingangs zitierten Strategien.

Links ist eine Frage der Haltung

Dass es der LINKEN nicht gelingt, mit überzeugenden Antworten in die gesellschaftliche Debatte zu intervenieren, liegt - so meine Grundhypothese - an einem Haltungsproblem. So berechtigt linke Kritik an grüner Politik, insbesondere in schwarz-grünen Bündnissen sein mag, so muss dennoch konstatiert werden, dass die grüne Partei sowohl über ein viele Menschen überzeugendes Narrativ verfügt als auch über eine authentische gesellschaftliche Haltung. Diese Authentizität, die Vertrauen schafft, macht die grüne Partei und nicht DIE LINKE zur politischen Gegenspielerin des Rechtspopulismus.

Weil der LINKEN sowohl das Narrativ aber auch die Eindeutigkeit in der politischen Haltung aufgrund der vielen ungelösten innerparteilichen Konflikte abhanden gekommen ist, wirkt sie in den großen gesellschaftlichen Konfliktlinien unbestimmt. Weder mit einer authentischen Position noch erkennbar mit einer einladenden politischen Kultur. Wofür ich deshalb in der notwendigen Strategiedebatte der Linkspartei plädiere ist, die Haltungsprobleme zu klären, statt zwanghaft nach neuen Zielgruppen, Programmen oder Personen zu fahnden.

In Zeiten spürbarer gesellschaftlicher Transformation ist der Ausgang offen. Gefordert sind Verständigungen über die Richtung, in die gesteuert werden soll. Darüber wird es notwendigerweise Konflikte geben. Gefordert ist eine Konfliktkultur, die es als Vorteil versteht, gesellschaftliche Kontroversen in der eigenen Partei auszutragen und darüber zu lernen. Die im geschützten Raum innerparteilicher Solidarität über die politische Praxis, die Schritte und Wege sowie orientierenden Richtungen und auch die ihnen zugrunde liegenden Grundsätze, Normen, Werte verhandelt. Mit einer solchen Haltung und politischen Praxis würde die Linke sowohl eine wahrnehmbare Repräsentantin der Widersprüche im Alltagsbewusstsein als auch das, was Gramsci einst unter organischen Intellektuellen verstand.

In diesem Sinne plädiere ich für linke Politik als Politik in Widersprüchen, also Arbeit und Umgang mit den Widersprüchen im Alltag und des Alltags. Anders als im fast scholastisch erstarten Umgang mit dem Erfurter Programm wäre ein Parteiprogramm dann kein politisches Denkmal mehr, dessen Bestandsschutz mit Haltelinien vor jeder Art unzulässiger Veränderung gesichert wird. Beschlüsse würden dazu dienen, flexibel auf neue Fragen zu reagieren. Also das Gegenteil jener Formelkompromisse, die als Stillhalteabkommen zur Gewährleistung medienkonformer Parteitagsregie dienen.

Vorwärts und nie vergessen: die Solidarität

Die Linke war immer dann stark, wenn sie es verstand, verteilungspolitische Fragen mit den politischen Leidenschaften für eine bessere, gerechtere Gesellschaft als greifbarer Vision zu verbinden. Diese »programmatische« Lücke teilen sich DIE LINKE und die SPD. Eine programmatische Erneuerung, neue Ideen bei den Antworten auf die großen Zukunftsfragen scheinen unausweichlich.

Für erforderlich halte ich deshalb zusätzlich die öffentlich vermittelte lustvolle Arbeit an einem verbindenden Narrativ, das auf der Werteplattform der Solidarität aufbaut. Der erste Schritt dazu ist das Erfordernis, Vertrauen in Solidarität wiederherzustellen. Wir sprechen hier über nicht weniger als das Vertrauen in ein erneuertes Sozialstaatsversprechen - unter den bereits skizzierten Rahmenbedingungen einer Postwachstumsgesellschaft. Der Wert der Solidarität das stärkste Pfund, auf dem die Linke ihre Erzählung aufbauen muss. Denn Solidarität baut auf der Erfahrung erlebter oder befürchteter Unsicherheit auf und garantiert Sicherheit durch Ausgleich und Umverteilung.

Damit ist das Thema Zusammenarbeit mit SPD und Grünen angesprochen. Ich weise seit Jahren auf den pathologischen Umgang zwischen den drei Parteien hin. Seit dem Verlust der rot-grünen Mehrheit 2005 haben es die drei Mitte-links-Parteien aber auch und vor allem DIE LINKE nicht vermocht, eine gemeinsame politische Idee für die solidarische und zukunftsfähige Gestaltung unseres Landes zu formulieren. Eine überzeugende Antwort darauf, dass trotz lang anhaltenden Wirtschaftsaufschwungs immer mehr Menschen die Befürchtung haben, vom Wohlstand ausgeschlossen zu sein und immer mehr junge Menschen überzeugt sind, dass es ihnen künftig weniger gut gehen wird als ihrer Eltern- und Großelterngeneration. In der ländliche Räume nicht abgehängt werden, sondern vielmehr durch Digitalisierung und öffentliche Daseinsvorsorge statt staatlichem Rückzug aus der Fläche Ermöglichungsräume sind.

Hierfür bedarf es Vertrauensarbeit, die ihre Wirksamkeit aus Kontinuität entfaltet. Unser Umgang mit SPD und Grünen ist jedoch durch Ambivalenz aus verträumter Sehnsucht und enttäuschter Ablehnung gekennzeichnet, in Verbindung mit zum Teil maßloser Kritik. Souveräner Umgang sieht anders aus.

Gemeinsam innerhalb von Mitte-Links, den drei Parteien und weiteren gesellschaftlichen Akteuren müssen wir deshalb eine Erzählung entwickeln. Nicht als Gemälde programmatisch-normativer Idealvorstellungen, die auf Parteitagen mehrheitsfähig sind, sondern als authentische und realistische Erzählung. Über einen sozialen, ökonomischen und kulturellen Reformprozess, für dessen Realisierung wir als Teil eines progressiven Lagers kämpfen. Jenes progressiven Lagers, das sich als Gegenpol herausbilden muss zu dem bereits sichtbaren Lager Mitte-Rechts, das von der CDU/CSU bis zum »identitären« Rand der AfD reicht. Die richtige Bearbeitung des politischen Rechtstrends beinhaltet auch, sich als Teil der intellektuellen Kristallisationspunkte, der kulturellen Anker zu begreifen und auf diese anziehend und nicht abschreckend zu wirken. Was eine Änderung unserer politischen Kultur, unseres Kulturbegriffes voraussetzt, um Teil der mobilisierenden Akteure im Bemühen um die Bildung eines neuen historischen Blocks zu sein.

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