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Gärige Mehrheiten
Auf ihrem Bundesparteitag in Braunschweig wählt die AfD eine neue Spitze. Wer die Partei künftig führen wird, ist ungewiss.
Kandidieren Sie noch einmal für den Parteivorsitz? Es dürfte die mit Abstand am häufigsten gestellte Frage sein, die Alexander Gauland in den zurückliegenden Monaten Journalisten beantworten sollte. Und ähnlich der bei Jugendlichen beliebten Frage, wie man es mit einer Beziehung halte, fielen auch Gaulands Reaktionen aus: Ja. Nein. Vielleicht?
Nur handelt es sich beim amtierenden Co-Vorsitzenden der AfD nicht um einen verknallten Schüler, sondern um einen 78-Jährigen, der einerseits sein politisches Erbe geordnet sehen will, andererseits noch immer bei vielen in der Partei den Status des politisches Über(groß)vaters genießt. Notfalls dazu bereit, den »gärigen Haufen«, wie Gauland die Partei einmal charakterisierte, weiter anzuführen. Ob es so kommt, wird sich an diesem Sonnabend auf dem Bundesparteitag der AfD entscheiden. Die Lage ist allerdings kompliziert. Aus anderen Parteien bekannte Mechanismen, im Vorfeld wichtiger Personalentscheidungen Absprachen zu treffen, um Überraschungen zu verhindern, funktionieren in der AfD kaum. Harmonische Delegiertentreffen kennt die Rechtsaußenpartei nicht.
Dabei ist es keinesfalls so, dass sich die Parteiführung nicht darum bemüht. Gauland wünscht sich einen deutlich jüngeren Nachfolger, der lagerübergreifend akzeptiert wird, sowohl mit den völkischen Nationalisten um Björn Höcke und Andreas Kalbitz klarkommt, aber auch die Kräfte um Parteivize Georg Pazderski mitnimmt, die sich vor allem darin vom »Flügel« unterscheiden, jeglichen Personenkult abzulehnen. Gauland hofft, der 44-jährige Tino Chrupalla könnte künftig diese Rolle übernehmen. Für den sächsischen Bundestagsabgeordneten als seinen Nachfolger wird er sich in Braunschweig stark machen.
Und in der Theorie klingt Chrupalla nach einer Idealbesetzung: Seine politische Karriere nahm rasant an Fahrt auf, als er zur Bundestagswahl 2017 der CDU den Direktwahlkreis Görlitz entriss. Sein Konkurrent war der heutige sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer. Im Fahrwasser dieses Erfolgs wählte ihn die AfD-Bundestagsfraktion zu einem von fünf stellvertretenden Vorsitzenden.
Als gebürtiger Sachse (Weißwasser) und Malermeister passt Chrupalla zur Strategie der ostdeutschen AfD-Landesverbände, die nach den Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen mehr Einfluss im Parteivorstand fordern. Als Handwerker hebt er sich von der sonstigen AfD-Führung ab. Gauland ist Jurist, Co-Chef Jörg Meuthen Ökonomieprofessor. »Ich könnte der Partei ein etwas anderes Profil geben. Ich bin kein Intellektueller, nicht promoviert und habilitiert«, warb Chrupalla am Mittwoch in einem Interview mit der »Neuen Zürcher Zeitung« (NZZ).
Chrupalla gegen Curio
»Flügel«-Führer Höcke signalisierte bereits seine Zustimmung zu dieser Personalie. Offiziell gehört Chrupalla zwar keiner Parteiströmung an, sein Wohlwollen gegenüber den Völkischen ist aber unübersehbar. Erst im Oktober gab er dem »Compact«-Magazin ein Interview. Darin warb er für die vom »Flügel« verfolgte Strategie, die AfD müsse sich im Osten verstärkt um soziale Themen kümmern. Auch vom Vokabular sind die Parallelen unüberhörbar: Kampfbegriffe wie die Verschwörungstheorie einer angeblichen »Umvolkung« gehören bei Chrupalla zum Standard. Gleichzeitig versucht er, sich vom »Flügel« abzusetzen. Der Personenkult um Björn Höcke sei ihm »so wenig geheuer wie der um Greta Thunberg«, so der 44-Jährige in der NZZ. Chrupallas größtes Defizit: Rhetorisch gilt er als nicht besonders talentiert. Genau darin sieht der Bundestagsabgeordnete Gottfried Curio seine Chance, der seine Kandidatur um den Vorsitz erst vor wenigen Tagen bekanntgab. Der innenpolitische Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion ist zwar in der Partei eher schlecht vernetzt, wird aber für seine besonders scharfen Redebeiträge von vielen AfD-Anhängern und der Basis bejubelt.
In der Partei gibt es Befürchtungen, in Braunschweig könnte sich ein Szenario wie vor zwei Jahren in Hannover wiederholen. Damals kandidierte Georg Pazderski für den Co-Vorsitz, als der »Flügel« unerwartet Doris von Sayn-Wittgenstein ins Rennen schickte. Die damalige AfD-Landesvorsitzende in Schleswig-Holstein hielt eine Brandrede, woraufhin keiner der beiden Kandidaten in mehreren Wahlgängen eine erforderliche Mehrheit bekam. Um die Pattsituation aufzulösen, erklärte letztlich Gauland seine Kandidatur.
Ebenfalls seiner Wahl nicht sicher sein kann sich Parteichef Meuthen. In den vergangenen Monaten ging der Europaabgeordnete auf Distanz zum »Flügel«, fehlte dieses Jahr beim wichtigsten Event der Völkischen, dem Kyffhäusertreffen. Stattdessen griff er das Höcke-Lager an, forderte von diesem verbale Mäßigung. Die Quittung folgte prompt: Im Juli wählte Meuthens Kreisverband Ortenau (Baden-Württemberg) den Parteichef nicht zum Delegierten, die vier Mandate gingen an Vertreter, die dem »Flügel« nahestehen.
Vieles spricht dafür, dass der Bundesparteitag chaotisch verläuft. Im aus Sicht der Noch-Parteispitze ungünstigsten Fall tritt Curio nicht wie erwartet gegen Chrupalla sondern Meuthen an. Sicher ist nicht, wer die AfD nach diesem Wochenende anführen wird.
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