Sichtbar genervt, aber nicht aufgehalten

Bis zu 20 000 Menschen protestierten am Wochenende in Braunschweig gegen den AfD-Bundesparteitag

  • Robert D. Meyer, Braunschweig
  • Lesedauer: 3 Min.

Jasmin Kohl schreit, so laut sie kann: »Schämt ihr euch nicht?«, ruft die Studentin einer Gruppe von drei Männern und einer Frau entgegen, die nur wenige Meter neben ihr von der Polizei im Empfang genommen wird. Kohl ist Teil einer Blockade am Braunschweiger Lessingplatz, die es sich zum Ziel gesetzt hat, den Beginn des AfD-Bundesparteitags so lange wie möglich zu verzögern.

Der Veranstaltungsort, die Volkswagenhalle, ist von hier aus nur noch wenige Gehminuten entfernt, das Ziel des mittlerweile entnervt dreinschauende Quartetts. Es sind vier von insgesamt rund 560 AfD-Mitgliedern, die sich an diesem Samstagmorgen einen Weg vorbei an den Demonstranten suchen müssen. Am Lessingplatz auf Höhe des Braunschweiger Künstlervereins ist zumindest für den Autoverkehr kein Durchkommen mehr.

Etwa 300 Menschen halten die Straße besetzt; den AfD-Delegierten, die auf dieser Route zum Tagungsgelände wollen, bleibt nur ein etwa anderthalb Meter schmaler Streifen auf dem Fußweg, streng abgesichert durch die Polizei. Auch auf anderen Zugangswegen zur Volkswagenhalle stehen Blockaden mit jeweils einigen Hundert Besetzern.

Auf der Oker, einem Fluss, der sich durch den angrenzenden Bürgerpark schlängelt, sitzt eine kleine Gruppe in einem Ruderboot und hisst ein Segel auf dem Björn Höcke und das Wort Faschist zu sehen ist. Das Motiv zeigt den Thüringer AfD-Landeschef mit einem ausgestreckten rechten Arm. Zwar können die Störaktionen nicht verhindern, dass der AfD-Parteitag fast pünktlich um 10 Uhr beginnt, doch längst nicht alle Teilnehmer sind pünktlich, für viele von ihnen wird die Anreise zum Spießroutenlauf. Kaum ein Zugang zum Tagungsort, wo nicht wenigstens eine Handvoll Demonstranten warten. »Auch ein kleiner Erfolg ist ein Erfolg«, sagt Kohl. Die 26-Jährige erzählt, dass sie am Nachmittag auch an der Demonstration des Braunschweiger »Bündnisses gegen Rechts« teilnehmen will. Am Ende sind es laut Veranstaltern bis zu 20 000 Menschen, die durch ihren Protest ausdrücken wollen, dass die AfD in der Stadt nicht erwünscht ist.

Auch das Anti-Rechts-Bündnis ist schon am frühen Samstagmorgen unweit der Volkswagenhalle auf dem Europaplatz mit einer Kundgebung aktiv, auf der dicht gedrängt einige Tausend Menschen Musik und Redebeiträgen zuhören, aber auch immer wieder ihre Blicke und Rufe in Richtung AfD-Tagungsort richten. Der Protest findet in Sicht- und Hörweite statt. Dass an diesem Morgen vielleicht nicht noch mehr Gegendemonstranten dabei sind, hat womöglich auch mit dem Agieren der Stadt zu tun. Sie erlässt einige strenge Auflage. So darf das »Bündnis gegen Rechts« nur einen kleinen Teil des Europaplatzes nutzen. Klagen dagegen blieben erfolglos. Die Stadt berief sich auf polizeiliche Analysen, wonach angeblich Ausschreitungen drohen könnten. Am Ende bleibt es das gesamte Wochenende friedlich.

Die Warnungen dürften auch der Grund dafür sein, warum ein bereits am Freitag stattfindender »Antifaschistischer Abendspaziergang« linker Gruppen von einem massiven Polizeiaufgebot begleitet wird. Trotz Temperaturen nur knapp über dem Gefrierpunkt fährt die Polizei Wasserwerfer auf. Zum Einsatz kommt das schwere Gerät in dieser Nacht nicht. Bis auf ein paar gezündete Pyros und Rauchfackeln passiert nichts, was die Beamten nervös machen könnte. Statt der angekündigten 300 laufen am Ende etwa 1200 Antifaschisten durch das nächtliche Braunschweig. Dass es so viele sind, überrascht selbst die Organisatoren der Initiative »Nationalismus ist keine Alternative«.

Überhaupt zeigen sich die Braunschweiger an diesem Wochenende deutlich demonstrationsfreudiger als es bei AfD-Bundesparteitagen in anderen Städten der Fall gewesen ist. Als die Rechtsaußenpartei zuletzt ihre beiden Europawahlversammlungen vor einem Jahr in Magdeburg und Anfang Januar in Riesa abhielt, war das Interesse an antifaschistischen Gegenprotesten mit einigen hundert Demonstranten viel geringer.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.