Das Rauschen des Stifts beim Mahlen der Kaffeekörner

Tim Wolff über Peter Handke als Muse für Feuilleton-Zausel

  • Tim Wolff
  • Lesedauer: 3 Min.

Zu Peter Handke sowohl als Schriftsteller wie politische Figur habe ich keine relevanten oder emotionalen Ansichten. Als Interviewpartner und Muse für Feuilleton-Zausel aber begeistert mich der Mann.

Wie viel Würde der »Neuen Zürcher Zeitung« geblieben ist, seit sie sich als intellektuelle Kampfsau des rechtsliberalen Mainstreams geriert, erkennt man auch an Sätzen, die sie als Ankündigung eines Gesprächs mit Handke auf die erste Zeitungsseite gedruckt hat: »Wer Peter Handke im Herbst in seinem wunderbar verwilderten Haus in Chaville bei Paris besucht, kommt kaum umhin, über Pilze zu reden.«

Diese Mischung aus nonchalantem Stolz, den bekannten Mann besuchen zu dürfen, der dümmlichen Ehrfurcht des »wunderbar verwildert« und der gewichtigen Ankündigung von Banalem - das bringen selbst Kulturredakteure, sagen wir: des »Schwäbischen Tagblattes« oder der »Husumer Nachrichten« nicht mehr ohne weiteres zustande. Die »NZZ« schon - und macht konsequent weiter: »Der Dichter gilt zu Recht als Pilzkenner« - »zu Recht«, ach, diese Urteilsfreude! Die aber nicht unbegründet bleibt: »Er besitzt über hundert Pilzbücher und weiß die Namen vieler Arten in allen möglichen Sprachen.« Toll. Ob Handke »Quizduell« spielt?

Doch was nutzt graue Theorie ohne Praxis? »Seinen jüngsten Fund präsentiert er seinem Gast stolz, drei große Steinpilze und einen Teller voller Pfifferlinge, helle und ein paar dunkle.« Dieser Handke! Der aber neben der Weltklasse-Pilzsammlerei auch noch Literaturnobelpreisträger ist, weswegen unausweichlich dieser Satz folgen muss: »Doch wenn Handke über Pilze spricht, dann geht es nie nur um Pilze.« Ja, holla die Waldfee!

Und wenn die »NZZ« darüber spricht, dass Handke nicht nur über Pilze spricht, wenn er über Pilze spricht, dann geht es nicht nur um die Behauptung, Handke spreche nicht nur über Pilze, wenn er über Pilze spricht, dann gibt es auch eine Begründung: »Es geht um eine Lebenshaltung: Denke daran, immer wieder mal zu verschwinden im Wald; schau nach oben, wenn du den Grund, auf dem du gehst, genau erkennen willst; suche nicht, so findest du. Und: schenke weiter, was dir die Natur - das Leben - geschenkt hat.« Der Tobi aus der 9b hätte es nicht besser beschreiben können: 3+.

Einer solch vielversprechenden Ankündigung könnte ein enttäuschendes Interview folgen, doch nicht bei Handke, und nicht mit der »NZZ«! »Sind Sie ein Vielleser? - Vielleser würde ich nicht sagen. Aber ich bin ein Leser, das schon, ja. Das Lesen gehört für mich zum Tag dazu.« Der Handke liest. Jeden Tag. Viel Lesen ist das aber nicht. Doch liest er nicht nur, er schreibt auch.

Und dazu gehören Rituale: »So wie ich die Kaffeekörner am Morgen mahle, wenn ich den Kaffee zubereite, so spitze ich den Bleistift.« Wer Bohnen Körner nennt und sie ins Heißgetränk spitzt, der hört auch Bleistifte anders: »Wenn Sie schreiben, hören Sie das Kratzen des Bleistifts. - Das ist kein Kratzen, das ist ein Rauschen! Wenn ich bei Trost bin, dann höre ich, wie schön das rauscht. Manchmal überhöre ich es auch, man kann ja nicht immer auf das Rauschen hören. Das Rauschen ist gewissermaßen überall.«

Wie recht er hat, wenn er bei Trost ist: Es rauscht (»Ich könnte Ihnen Seiten zeigen, wo Sie sehen, was passiert, wenn Hunde bellen. Dann rutscht mir der Bleistift aus vor lauter Schreck, da gibt’s so abweichende Linien. Nein, ich höre nichts, es schreibt sich so dahin. Oder nein, das auch nicht, ich passe schon auf.«) und rauscht (»Am Abend in einer Bar zaubere ich manchmal einen Pilz aus der Manteltasche hervor, und die meisten Leute bekommen Angst - was ist denn das da?«) und rauscht (»Ich lasse mich in meinem Wie-Sein allzu sehr gehen.«) gewissermaßen überall.

Gäbe es einen Nobelpreis fürs Interviewtwerden, Handke hätte ihn redlich verdient.

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