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  • Zentrum für Politische Schönheit

Unter Emotionsverstärkern

Das Zentrum für Politische Schönheit hat früher tote Flüchtlinge instrumentalisiert, jetzt sind offenbar tote Juden dran

  • Thomas Blum
  • Lesedauer: 6 Min.

Heimat ist kein Ort, Heimat ist ein Gefühl«, weiß schon der derzeitige Lieblingsphilosoph der Deutschen, Herbert Grönemeyer. Das Fühlen ist seit je eine Spezialität des Deutschen. Als Ersatzhandlung fürs Denken sozusagen, einer immer mehr aus der Mode kommenden Kulturtechnik, mit der man sich hierzulande traditionell schwertut. Im Fühlen hingegen macht den Deutschen so schnell keiner was vor. Ob es nun das Mitfiebern bei Fußballweltmeisterschaften ist, das Verdrücken der Träne beim Betrachten der neuesten TV-Liebesmelodramen mit Senta Berger, das Mitleid mit dem süßen schwarzen ausgemergelten Hungerkind aus Afrika oder der Hass auf den wurzellosen blutsaugerischen Geldjuden: Im zielsicheren Fühlen ist der Deutsche Weltmeister.

Auch seine Kunst folgt daher nach wie vor gern den Gesetzen der zweckmäßigen und erfolgreichen Bewirtschaftung seines Gefühlshaushalts, verzichtet auf Überflüssiges wie Reflexion: Kunstwerke, die mit begriffslosem Mahnen und oberlehrerhaftem Zeigefingerschwenken sowie mit dem Druck auf die Tränendrüse arbeiten, sind schon immer besonders beliebt hierzulande.

Am geschicktesten bedient sich dieser Methode eine abgefeimte Zirkustruppe, die es seit einigen Jahren als ihre Hauptaufgabe betrachtet, die Öffentlichkeit mit »aufsehenerregenden« und mit fingerdickem Pathos aufgeladenen (sprich: möglichst lauten, plakativen und am stumpfesten Populismus siedelnden) »Aktionen« zu penetrieren und dabei möglichst viel Bohei und Geschrei sowie eine besonders abstoßende Form der Selbstinszenierung zu betreiben, das sogenannte Zentrum für politische Schönheit (ZPS). In der Vergangenheit hat es schon tote Flüchtlinge für seine Zwecke instrumentalisiert, jetzt, wo derlei anscheinend nicht mehr ausreicht, um die Aufmerksamkeit der Medien zu generieren, sind offenbar tote Juden dran.

Die neueste »Aktion« des ZPS, das Aufstellen einer »Gedenksäule« neben dem Bundeskanzleramt, die angeblich mit der Asche von Opfern des Nationalsozialismus befüllt ist, dürfte der vorläufige Höhepunkt in einer Reihe hysterisch zelebrierter Geschmacklosigkeiten sein. »Wir fanden Knochenkohle, sedimentierte Asche und menschliche Fragmente in den Flussläufen der Wechsel, Zähne direkt auf Feldern, Knochenreste in allen erdenklichen Körnungsgrößen«, behauptet das ZPS, das das so Aufgefundene außer in ihre Säule hernach auch in praktische würfelförmige Briefbeschwerer und Dekorationsobjekte gesteckt haben will, die es verkauft. Man hat also auf gründlich-deutsche Art, wie man das ja gewohnt ist, Überreste von Ermordeten eingesammelt, nach Deutschland, ins Land der Täter, entführt, um sie schließlich in einem Plexiglaskasten für alle Sensationslüsternen gut sichtbar auszustellen. Sollte das stimmen, kann diesen Leuten vielleicht auch kein Arzt helfen. Doch auch wenn es nicht stimmt und die angeblich in formschöne Würfel gepackte »Asche« und »Knochenreste« nur wüstes Reklamegeschrei sind und dröhnende Begleitmusik der vom ZPS praktizierten Selbstvermarktung und -inszenierung, ist die Behauptung allein schon obszön genug.

Veranstaltet wird dieser Mumpitz angeblich, um gegen eine mögliche Zusammenarbeit der CDU mit der Neonazipartei AfD zu protestieren. Doch der angebliche Zweck ist am Ende ja egal. Für denkende Menschen dürfte der Gedanke, dass auf Äckern zusammengeklaubte Überreste von Opfern der Shoah einem wie auch immer gearteten Zweck zugeführt werden sollen, ausreichen, um zu wissen, dass hier offenbar besonders beratungsresistente Nachfahren der Täter am Werk sind. »Die Asche der Ermordeten eignet sich nicht für schiefe historische und politische Vergleiche. Die Opfer werden so nochmal entwürdigt und entmenschlicht«, so das American Jewish Committee.

Das von den ZPS-Spinnern angeblich verwendete »künstlerische Material, Asche und Überreste der Opfer der Nationalsozialisten«, sei »dabei ein drastischer Emotionsverstärker«, so kommentiert, natürlich unter Verwendung der Sprache der werbetreibenden Industrie (»Emotionsverstärker«), das Kunstmagazin »Monopol«. Da war sie auch schon wieder: die Emotion, des Deutschen liebstes Material, das er neben der Asche von toten Juden am liebsten verwertet.

Und so, wie das Nachdenken über sowie das lebendige Erinnern an die Verbrechen der deutschen Nationalsozialisten in den vergangenen Jahrzehnten mehr und mehr durch leere und teilweise geschichtsklitternde Gedenkrituale ersetzt worden ist, deren einziger erkennbarer Sinn die moralische Selbsterhöhung der Deutschen ist, die ihre historische Schuld endlich, endlich getilgt wissen wollen, ist auch das historische Wissen über die geschehene mehrfache Verwertung der Opfer des Holocaust bereits wieder der Vergessenheit überantwortet worden, wenn es denn überhaupt je anderswo vorhanden war als in der Geschichtswissenschaft.

Der Demütigung, Enteignung, Stigmatisierung und Kennzeichnung der von den Nazis Verfolgten folgten Deportation, Folter und Ermordung, bevor schließlich - nach gelungener »Vernichtung« - gründlich nachgeguckt wurde, was denn den Leichnamen noch an Wertgegenständen und verwertbarem Gebrauchsmaterial zu entnehmen war. Und jetzt will sich eine Klamauktruppe, in der sich vermutlich nicht wenige Enkel der Täter zu schaffen machen, auch noch der übrigen Überbleibsel der Opfer bemächtigt haben, um sie für einen zur »Kunstaktion« umgelogenen Schmarren zu verwerten.

Die Schriftstellerin und Journalistin Ramona Ambs erinnert im Zusammenhang mit der neuesten »Aktion« des ZPS an einen Satz des von den Deutschen deportierten Salmen Gradowski, der als einer der Anführer des Aufstands des sogenannten Sonderkommandos in Auschwitz-Birkenau ums Leben kam: »Suchet in der Asche. Die haben wir verstreut, damit die Welt sachliche Beweisstücke von Millionen von Menschen finden kann.« Ambs kommentiert hierzu: »Er wollte, dass die Welt erfährt, was passiert ist. Er wollte, dass man weiß, wer verloren ging (...) Er hat nicht gesagt: ›Nehmt unsere Toten, grabt sie aus, stopft sie in eine Säule und beleuchtet sie, damit die Nachfahren der Täter mal wieder moralische Selbstbesoffenheit feiern können.‹«

Die ermordeten Juden und Jüdinnen, denen von den Nazis »nicht nur das Recht auf ihre Bestattung, sondern eben auch das Leben millionenfach geraubt wurde, haben in meinen Augen ein Recht darauf, von solchen postsituationistischen Gymnasialsperenzchen verschont zu bleiben«, kommentiert der Schriftsteller Martin Knepper auf Facebook. Es bleibe, so Knepper weiter, ein »schales Gefühl« zurück, »wenn die Enkel der Täter so einen - und sei es nur symbolischen - Zugriff auf die Körper nehmen, um ihre Selbsterregungen zu zelebrieren«.

Schon das Berliner Holocaustmahnmal wurde nicht um der von den Deutschen ermordeten Juden willen errichtet, sondern um der Weltöffentlichkeit vorzuführen, dass der verhasste Deutsche ein Wiedergutgewordener ist, und um ihm das Gefühl zu geben, seine Vergangenheit erfolgreich »bewältigt« zu haben: Da, schaut her, ich bin nicht nur der beste Automobilproduzent und Fußballspieler, ich bin auch der beste Holocaustbewältiger! Die NS-Vergangenheit sollte historisch entsorgt werden, indem man jenen ein Stelenfeld hinstellte, die von der Shoah nichts mehr wissen wollen. Aber damit das klar ist: Wenn das Denkmal fertig gebaut ist, wollen wir dann aber bitteschön nichts mehr davon hören! Der ehemalige Bundeskanzler Gerhard Schröder brachte den Sinn des Mahnmals einmal unfreiwillig auf den Punkt, als er von einem Denkmal sprach, »wo man gerne hingeht«.

Wenn die jüngsten Umtriebe des ZPS uns eines zeigen, dann dass die in den vergangenen 60 Jahren öffentlich rituell zelebrierte deutsche »Vergangenheitsbewältigung« und »Geschichtsaufarbeitung« jedenfalls nicht die von einigen erhoffte Wirkung hatten: dem Deutschen die Besonderheit und das Ausmaß seiner Verbrechen vor Augen zu führen und ihn in die Lage zu versetzen, daraus zu lernen, dass es gilt, öfter mal die Klappe zu halten, wenn die Opfer oder deren Nachfahren sprechen, und diese nicht zum Zweck seiner moralischen Selbsterhöhung zu instrumentalisieren, wie es derzeit das ZPS tut.

Liest man derzeit die schamlosen Verlautbarungen der am Dazulernen offensichtlich desinteressierten rasenden Gefühlsverstärker und -verstärkerinnen des ZPS, ist es am wahrscheinlichsten, dass diese überhaupt nichts kapieren, am wenigsten die Obszönität ihres eigenen effekthascherischen Krawall- und Schmierentheaters, einer niederträchtigen Mischung aus Geschichtsrevisionismus, Superpathos, Verhöhnung der NS-Opfer und hyperdeutschem Dummstolz. Und dass sie ihren Zirkus tatsächlich ernsthaft für »Kunst« halten, auch weil die Medien und die Leute ihnen den Scheißdreck als solche abnehmen.

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