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Hauptstadt des Schutts
Raqqa ist heute eine andere Stadt, doch der vorsichtige Neustart der einstigen Hauptstadt des IS-Kalifats ist fragil
Gerippe von Häusern säumen die Straßen. Schuttberge liegen in den Gassen, im Mund macht sich Staub breit. Und doch findet zwischen den Trümmerhaufen Leben statt. Es wird eingekauft, an Autos rumgeschraubt, Maschinen brummen. Wir erreichen Raqqa, die ehemalige Hauptstadt des selbst ernannten Kalifats. Die Straßen gelten im Dunkeln als teilweise unsicher, ein YPG-Pressesoldat begleitet uns. Nicht zu sehr auffallen, empfiehlt man uns. Der IS ist militärisch zwar besiegt, soll in der Gegend aber über organisierte Schläferzellen verfügen.
Uns empfängt Stadtrat Ahmed im Kulturzentrum der Stadt. Hier gibt es Büros, ein Theater und einen Ausstellungsraum, Künstler kommen und gehen, Wachen stehen vor dem Eingang. Der bisher letzte Anschlag auf einen Stadtrat ist ein paar Monate her. Im Kulturzentrum sehen wir ein Theaterstück über ein Paar, das keine Kinder bekommen kann. Der Mann gibt der Frau die Schuld, muss dann aber lernen und akzeptieren, dass er selbst das Problem ist. Wir treffen zwei rappende Mädchen, einen Bildhauer, der seine Kunst vor dem IS verstecken musste und eine Dichterin, die nun endlich wieder dichten kann. Eine traditionelle Volksmusikgruppe gibt ein Konzert, Jugendliche tanzen.
Zwei Jahre nach der Befreiung ist Raqqa eine andere Stadt. Im Fußballstadion sind keine Gefangenen mehr, auf dem renovierten Naim-Platz keine aufgespießten Köpfe mehr. Viele Minen wurden mittlerweile entschärft. Doch der vorsichtige gesellschaftliche Neustart ist fragil. Die Menschen fürchten, dass mit der türkischen Invasion auch die Islamisten wiederkommen könnten. Die mühsam erkämpften Freiheiten stehen erneut auf dem Spiel. Die Front bei der Kleinstadt Ain Issa ist nur eine Autostunde entfernt. Am Abend ruft die Stadtverwaltung eine Ausgangssperre aus.
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