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Ein Sieg, der die Preußen zur Hybris verführte

Rechtzeitig vor dem Jubiläum der Schlacht bei Sedan offeriert Gerd Fesser seine solide Monografie

  • Kurt Wernicke
  • Lesedauer: 5 Min.

Von dem Jenenser Historiker Gerd Fesser, der mehrfach rechtzeitig vor historischen Jahrestagen den Buchmarkt mit Monografien bereicherte (unter anderem 2006 zur Doppelschlacht bei Jena/Auerstedt, 2013 zur Völkerschlacht von Leipzig, 2015 zu Waterloo und 2016 zu Königgrätz), war zu erwarten, dass er sich auch das im nächsten Jahr anstehende Jubiläum des preußischen Sieges von Sedan nicht entgehen lässt. Dabei räumt er mit seit anderthalb Jahrhunderten von der deutschen Historiografie festgeklopften Narrativen über die Vorgeschichte des Kriegsausbruchs im Juli 1870 auf. Er bringt einführend auch Stimmen zu Gehör, die der berühmt-berüchtigten »Emser Depesche« - durch Otto von Bismarck in die Welt gesetzte Fake News - die Schlüsselrolle für die französische Kriegserklärung verweigern, ebenso wie die spanische Thronkandidatur eines Hohenzollernprinzen.

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Gerd Fesser: Sedan 1870. Ein unheilvoller Sieg. Ferdinand Schöningh, 202 S., geb., 29,90 €.

Fesser lotet die seit der Mitte der 1860er Jahre schwelende Diskrepanz zwischen französischen und preußischen Interessen in Mitteleuropa tiefer aus: Paris sah nach dem Sieg im Krimkrieg 1856, der Russland als mitteleuropäischen Konkurrenten ausgeschaltet hatte, und dem Oberitalienischen Krieg 1859, der Österreich in seine Grenzen wies, Frankreich unter Napoleon III. als kontinentale Vormacht wieder auferstehen, wie vordem unter Napoleon I. Dem wollte und sollte jedoch Preußen einen Strich durch die Rechnung machen, das in seinen Ambitionen nicht weniger ehrgeizig war. Vor allem, da es die Einigung deutscher Länder unter seiner Ägide anstrebte.

Noch gab es südlich des Mains starke Kräfte, die sich entschlossen zeigten, drohender Verpreußung zu widerstehen. Da kam die von Madrid aus in die Welt hinausposaunte Kandidatur eines katholischen süddeutschen Prinzen aus nicht regierendem Hause, das mit den preußischen Hohenzollern nur durch den Namen verbunden war, gerade recht: Frankreich konnte eine nationale Demütigung wie zur Zeit der habsburgischen Umklammerung im 16. Jahrhundert beschwören. Die »Emser Depesche« hätte, wie immer gefälscht oder getürkt, nicht mitgeteilt werden müssen - als Grund für eine französische Kriegserklärung hätte die Unterredung von Vincent Benedetti mit dem preußischen König auf der Kurpromenade von Bad Ems, während der Frankreichs Botschafter vergeblich auf Verzicht der Kronkandidatur drängte, auf jeden Fall hergehalten.

Diesen Hintergrund eines bewusst herbeigeführten Krieges als Ausgangspunkt im Kopf, verwundert die Schwerfälligkeit des französischen Aufmarschs. Offenbar war die Militärführung sich einer glänzenden Verfasstheit ihrer Truppe derart gewiss, dass sie die rasant veränderten logistischen Voraussetzungen falsch interpretierte und die Stärke des Gegners unterschätzte. Die strategische Initiative lag von Anfang an auf der preußisch-deutschen Seite, und die Meldungen über die ersten sichtbaren Erfolge über die französischen Berufssoldaten trugen das ihre dazu bei, die unerwartet einheitlich aufbrausende patriotische Gefühlswallung in Deutschland enorm zu befeuern.

Die den August 1870 füllenden verlust-, aber stets siegreichen Grenzschlachten in Lothringen brachten mit der Abdrängung der französischen Rhein-Armee in die belagerte Festung Metz bereits eine Vorentscheidung: Fast die Hälfte der französischen Korps war kaltgestellt. Der preußische Generalstabschef Helmuth von Moltke hatte leichtes Spiel im schmalen Dreieck zwischen Maas und belgischer Grenze rings um die kleine Festung Sedan. Am frühen Morgen des 1. September schnappte dort die Falle zu, und der altertümlich nur mit Erdwällen befestigte Waffenplatz war schon am Nachmittag so waidwund bombardiert, dass die Franzosen die weiße Fahne der Kapitulation aufzogen.

Die in der folgenden Nacht getätigten Kapitulationsverhandlungen, deren wörtliche Details in den üblichen Standardwerken leichthin übergangen werden, veröffentlicht Fesser streckenweise wörtlich. Der französische Oberkommandierende Felix von Wimpffen appellierte an Moltkes Ritterlichkeit gegenüber einem ehrenhaften Feind, der bei guter Behandlung sogar künftig Freund werden könne. Da fuhr Bismarck dazwischen, der jede Bezugnahme auf persönliche Gefühle militärischer Kontrahenten in der Tradition einstiger Kabinettskriege wegwischte.

Die Kapitulationsbedingungen waren dann auch entsprechend harsch. Der Versuch der nach dem Abmarsch Napoleons III. in eine bequeme Kriegsgefangenschaft an dessen Stelle getretenen neuen republikanischen Regierung, zur Wahrung der nationalen Ehre unter hohem Blutzoll den Krieg fortzuführen, scheiterte erbärmlich.

In der Folge wurde im preußisch-deutschen Offizierskorps und in der deutschen Propaganda »Sedan« als Ergebnis einer wirksamen Strategie des Generalstabschefs Moltke gefeiert. Dieser hatte die erfolgreiche Taktik der antinapoleonischen Koalition 1813 bei Leipzig - getrennt marschierende, sich dann aber zur Umfassung und Vernichtung der feindlichen Hauptmacht vereinigende Heersäulen - weiter verfeinert. 1866 war ihm bei Königgrätz zwar die Umfassung, aber nicht die Vernichtung gelungen.

1870 brachte »Sedan« den angepeilten Erfolg, wenngleich die politischen Umwälzungen beim Gegner den Krieg mehr in die Länge zogen, als geplant war. Nichtsdestoweniger waren deutsche Militärs fortan davon überzeugt, dass angesichts des Zusammenfallens von genialer Strategie und Angriffswucht der Regimenter deutschen Militäroperationen grundsätzlich der Sieg gewiss sei. Im »Schlieffen-Plan« von 1905, der im Ersten Weltkrieg Anwendung fand, erlebte dieses gefährliche Selbstwertgefühl dann seine Perversion und rächte sich mit einer gründlichen Niederlage. Die Rolle dieser aus der Verarbeitung von »Sedan« seit 1870 mitgeschleppten Hypothek bringt Fesser mit dem Untertitel seiner monografischen Studie trefflich zum Ausdruck. Es war tatsächlich »ein unheilvoller Sieg«.

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