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Linkes Spitzenduo gewählt

Esken und Walter-Borjans wollen linken Kurs / Ob die Sozialdemokraten in der großen Koalition bleiben, ist weiterhin offen

  • Lesedauer: 6 Min.

Berlin. Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans sind als neue SPD-Vorsitzende gewählt. Esken bekommt 75,9 Prozent und Walter-Borjans bekommt 89,2 Prozent der Stimmen. Damit haben sie mehr Stimmen bei ihrer Wahl erhalten als Andrea Nahles oder Oskar Lafontaine, die jeweils etwas mehr als 60 Prozent der Stimmen für sich gewinnen konnten.

Sie wollen ihre Partei auf einen klaren Linkskurs führen und dafür notfalls die große Koalition mittelfristig verlassen. Die linke Bundestagsabgeordnete und der frühere nordrhein-westfälische Finanzminister stellten am Freitag in ihren Bewerbungsreden beim Parteitag in Berlin vor rund 600 Delegierten klar, dass sie die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich schließen und mehr Klimaschutz durchsetzen wollen.

Beide zweifelten daran, ob das mit der Union in der großen Koalition möglich ist. Es gebe mit ihnen als standhafte SPD-Chefs einen Aufbruch in eine »neue Zeit«, sagten Esken und Walter-Borjans unisono. Die große Mehrheit der Delegierten erhob sich jeweils zum Ende der Reden von den Plätzen und applaudierte.

Skepsis gegenüber der GroKo

»Ich war und ich bin skeptisch, was die Zukunft dieser großen Koalition angeht«, sagte Esken, die im Duo mit Walter-Borjans den SPD-Mitgliederentscheid für sich entschieden hatte. »Viel zu lange war die SPD in den letzten Jahren in ihrer eigenen Denke mehr große Koalition als eigenständige Kraft.« Die SPD gebe der großen Koalition eine »realistische Chance auf eine Fortsetzung« - »nicht mehr, aber auch nicht weniger«. Wie ihr Partner Walter-Borjans kritisierte die 58 Jahre alte SPD-Frau die CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer. Dass diese die Umsetzung der mühsam ausgehandelten Grundrente an den Fortbestand der Koalition knüpfe, sei respektlos. Die Union hatte klargestellt, dass sie den Koalitionsvertrag nicht aufschnüren möchte.

Walter-Borjans verschärfte den Ton gegenüber der Union und pochte auf ein stärkeres Profil der in Umfragen gebeutelten SPD. Esken und er hatten sich im Mitgliederentscheid überraschend gegen Vizekanzler Olaf Scholz und Klara Geywitz durchgesetzt. In einer Demokratie müsse man Kompromisse machen, aber sie dürften nicht »verwischen, wo wir stehen«, sagte Walter-Borjans. In den geplanten Gesprächen mit der Union über Nachbesserungen werde es »natürlich« keine Alleingänge geben. Es brauche den Austausch mit der Fraktion und den Ministern. »Aber es darf auch keine Festlegung der Parteimeinung aus der Koalitionsdisziplin heraus geben.«

Klimaschutz und Arbeitsmarkt

Walter-Borjans machte das am Thema Klimaschutz fest. Da habe die SPD in der GroKo mit dem Klimapaket einen Einstieg erreicht, dürfe sich darauf aber nicht ausruhen. »Sollen wir als SPD zu einer ganzen Generation sagen, Ihr habt ja recht, aber wir müssen die Rettung Eurer Zukunft ein kleines bisschen verschieben, weil wir gerade Ruhe in der großen Koalition brauchen?« Er wolle das nicht. Für eine Koalition, von der alle sagten, sie nach der nächsten Wahl nicht fortführen zu wollen, »werde ich nicht eine ganze Generation von Menschen von der SPD entfremden«.

Esken forderte in ihrer Rede eine Umkehr ihrer Partei in der Arbeitsmarktpolitik. Deutschland leiste sich einen der größten Niedriglohnsektoren in Europa. Die SPD habe dazu beigetragen, dass dieser Niedriglohnsektor entstehen konnte. »Es ist Zeit, dass wir umkehren«, forderte sie. »Wir waren die Partei, die Hartz IV eingeführt hat, wir sind die Partei, die Hartz IV überwindet

Konfrontation in der Sicherheitspolitik

In der Finanz- und Sicherheitspolitik deutet sich eine Konfrontation mit der Union an. Walter-Borjans will zugunsten von nötigen Investitionen notfalls auch auf die Schuldenbremse im Grundgesetz verzichten. »Wenn die schwarze Null einer besseren Zukunft für unsere Kinder entgegensteht, dann ist sie falsch, dann muss sie weg«, sagte er. »Und das gilt, machen wir uns nichts vor, wenn wir es nicht irgendwo umschiffen wollen, dann gilt es auch für die Schuldenbremse.«

Walter-Borjans bemängelte zudem, es habe in den vergangenen Jahren eine schleichende Entlastung der oberen Einkommen gegeben. »Die SPD muss wieder die Partei der Verteilungsgerechtigkeit werden«, forderte er. Wer hohe Einkommen und Vermögen habe, müsse einen angemessenen Beitrag zur Finanzierung des Gemeinwesens zahlen.

Er beklagte, dass Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer Deutschland immer weiter aufrüsten und die Bundeswehr auf der ganzen Welt einsetzen wolle. Das sei »grundfalsch«, sagte Walter-Borjans. »Dazu dürfen Sozialdemokraten nicht die Hand reichen.« Es gelte »Ausrüstung ja, aber Aufrüstung nein.«

Stimmen aus der Basis

»Ich denke, die Partei ist gar nicht so polarisiert, wie das medial dargestellt wird«, erklärte Deniz Kurku, Landtagsabgeordneter Niedersachsen, gegenüber »nd«. »Wir diskutieren hier über die zukünftige Linie, aber ich denke nicht, dass man sich hier blockiert.« Auf die neuen Vorsitzenden angespruchen meint Kurku: »Jetzt heißt es zusammenstehen.«

Auf dem Parteitag unterstützen viele Genossen die Position von Juso-Chef Kevin Kühnert unterstützt, der davor warnte, sofort aus der Großen Koalition aus zu steigen.»Ich bin gegen die GroKo, aber es bringt der SPD nichts, wie Kühnert gesagt hat, aus einem fahrendem Zug zu springen«, so ein älteres Basis-Mitglied aus Niedersachsen. Rachid Khenessi von den Jungsozialisten Hessen Süd pflichtet dem bei: »Ich vertraue Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken, wenn sie sagen, dass sie ernsthaft nachverhandeln wollen. Das macht den Unterschied, bei anderen hätte ich das für Lippenbekenntnisse gehalten.«

Zum Auftakt des Parteitags hatte die scheidende Vorsitzende Malu Dreyer zur Geschlossenheit aufgerufen und die Erfolge der SPD in der Koalition herausgestrichen. Darauf sei sie »mächtig stolz«, sagte die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin. »Es macht nämlich einen Unterschied, wer regiert.« Zugleich warb sie für einen Neuanfang, die SPD dürfe nicht mehr als »Taktikpartei« wahrgenommen werden.

Die SPD will auf dem dreitägigen Parteitag ihre neue Spitze wählen und ihren Kurs in der Koalition bestimmen. Gegner der GroKo wollen eine Abstimmung über einen Ausstieg aus der erzwingen. Der Parteitag entschied sich am Mittag mit großer Mehrheit, die Satzung zu ändern, um eine Doppelspitze mit einer Frau und einem Mann zu ermöglichen.

Zudem räumte die Führung zu Beginn des Parteitags einen zentralen Konflikt des Konvents ab: Die SPD will eine Kampfabstimmung bei den Posten der stellvertretenden Vorsitzenden vermeiden. Erwartet worden war zunächst, dass die Delegierten zwischen Juso-Chef Kevin Kühnert und Arbeitsminister Hubertus Heil für einen Posten als Stellvertreter entscheiden müssen. Stattdessen wurde nun angepeilt, dass es künftig fünf Stellvertreter gibt. Eigentlich war geplant, deren Zahl auf drei zu begrenzen. dpa/nd

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