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Pokern auf Klimakosten
Auf der Weltklimakonferenz bremst Brasilien wichtige Beschlüsse aus
Manchmal driften Selbst- und Fremdwahrnehmung doch sehr weit auseinander. »Im Umweltschutz ist Brasilien ein Vorbild für die Welt«, sagte der brasilianische Umweltminister Ricardo Salles im Vorfeld der UN-Klimakonferenz in Madrid - obwohl sein Land zurzeit vor allem durch massive Regenwaldrodung auffällt. Aus der »Vorbildwirkung« leitete Salles eine sehr konkrete Forderung ab: »Uns stehen jährlich mindestens zehn Milliarden US-Dollar zu.«
Die zehn Milliarden sind aus Salles' Sicht Brasiliens Anteil an den jährlichen 100 Milliarden Dollar, die die Industriestaaten vom kommenden Jahr an zugunsten des Klimaschutzes in Entwicklungsländern aus Staatshaushalten und von privaten Investoren »mobilisieren« wollen.
Brasilien bremst auch die sonstigen Verhandlungen aus. Das Land will im geplanten neuen Markt für Klimaschutz die Möglichkeit haben, Zertifikate zu verkaufen und die damit übertragenen Emissionsminderungen auch noch auf das eigene Klimaziel anzurechnen. Damit würde jede eingesparte Tonne CO2 doppelt gezählt werden. Das ist natürlich offenkundiger Unsinn. Doch weil für Beschlüsse Einstimmigkeit notwendig ist, können die internationalen Klimaverhandler diese Position nicht einfach ignorieren. Unterstützung hat Brasilien von Saudi-Arabien.
Außerdem will das Land Massen an alten CO2-Zertifikaten in den neuen Handel hinüberretten. Es handelt sich mittlerweile um Mogelpackungen, die nach allgemeiner Einschätzung so gut wie keine Klimaschutzwirkung mehr haben können. Rein rechnerisch haben sie aber einen Gegenwert von vier Milliarden Tonnen CO2, rund zehn Prozent der globalen Jahresemissionen. Der Verkauf bringt entsprechend niemandem viel - außer potenziellen Käufern, die für wenig Geld Klimaschutz vortäuschen wollen, und den Ländern, die die Ramschpapiere gehortet haben. Das trifft neben Brasilien etwa auf China und Indien zu, die das lateinamerikanische Land deshalb in seiner Forderung unterstützen.
Die eine oder andere Forderung dürfte Brasilien nur aus verhandlungstaktischen Gründen aufstellen. Nur welche? »Es ist noch unklar, welche Ziele Brasilien genau verfolgt«, sagt Franz Perrez, der Leiter der Schweizer Delegation.
Verflogen ist auch die anfängliche Begeisterung über die Ankündigung der neuen Chefin der EU-Kommission Ursula von der Leyen, Europa bis zum Jahr 2050 »zum ersten klimaneutralen Kontinent« zu machen.
Ein Entwurf für den versprochenen »European Green Deal« zeigt, dass die EU wohl erst im kommenden Oktober über ihr neues Klimaziel für das Jahr 2030 entscheiden wird. Das ist zu spät für den EU-China-Gipfel, der für den September in Leipzig geplant ist.
Dort sollten die EU und China eigentlich gemeinsam neue Klimapläne ankündigen. Doch wenn die EU kein neues Ziel hat, wird China kaum in Vorlage gehen. »Das ist keine EU-interne Angelegenheit, sondern von globaler Bedeutung«, warnt Li Shuo von Greenpeace China.
Mehr Klimaschutz in Europa, China und dem Rest der Welt entscheidet schließlich darüber, wie groß die Schäden und Verluste durch Naturkatastrophen in Zukunft sein werden. Auch das ist Thema in Madrid: Die Entwicklungsländer fordern, dass ein spezifischer Fonds geschaffen wird, um in solchen Fällen nicht hilflos zu sein.
Das lehnen vor allem die USA und Australien, aber auch Russland ab. Sie verweisen auf humanitäre Hilfe, etwa durch das Rote Kreuz, und bestehende Klimafonds - auch wenn letztere sich in manchen klimabedingten Schadensfällen nicht eignen. »Geld aus dem existierenden Grünen Klimafonds zu beantragen, dauert zum Beispiel viel zu lange, wenn es um Katastrophenhilfe geht«, meint Sven Harmeling, Klimaexperte der Entwicklungsorganisation Care. Nach einem zerstörerischen Wirbelsturm auf einer pazifischen Insel braucht diese im Idealfall innerhalb von ein, zwei Tagen Geld für den Wiederaufbau von Häusern, Straßen und Strommasten - nicht erst nach einem aufwendigen Antragsverfahren.
Das in Madrid direkt ein neuer Fonds beschlossen wird, hält Harmeling allerdings für unwahrscheinlich. Denkbar sei eher, dass man eine Expertenkommission einberuft. Die könnte eine Art Vorlage entwickeln für den Weltklimagipfel im kommenden Jahr, der im schottischen Glasgow stattfinden soll.
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