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Mit Donnergrollen und Schwefelgeruch
Die «Bild» hat zuletzt über Juso-Chef Kühnert berichtet. Die Texte sind kaum auszuhalten, findet Stephan Anpalagan
Die Reaktionen auf die Wahl Saskia Eskens und Norbert Walter-Borjans für den SPD-Parteivorsitz waren selbst für die Verhältnisse einer hyperaktiven Hauptstadtpresse bemerkenswert. Quer durch alle politischen Lager überschlugen sich die Kommentatoren in ihrer Kritik und zementierten die Erzählung vom linken Führungsduo, das den Niedergang der SPD wahlweise einleitet, beschleunigt oder gar besiegelt. Das ist zwar dramatisch absurd, weil die Halbierung von Wählerstimmen und Mitgliederzahlen in den vergangenen 20 Jahren hauptsächlich unter neoliberalen und konservativen Vorsitzenden geschah, änderte aber nichts an der kreativen Zerstörungswut der Berichterstattung um das einigermaßen harmlose Kandidatenpaar.
Der Schuldige an dem Dilemma ist indes gefunden. Der «Spiegel», die «Zeit» und die «Bild» widmen ihre Titelgeschichten in dieser Woche allesamt derselben Person: Juso-Chef Kevin Kühnert. Während «Spiegel» und «Zeit» lesenswerte Reportagen mit Hintergrundinfos und neuen Perspektiven auf die Gestaltungsmacht Kühnerts abdrucken, hat sich das Springer-Blatt auf seine, nun ja, «Kernkompetenz» beschränkt.
In den vergangenen Jahren hat die «Bild» keine Zweifel daran gelassen, was sie von Kühnert hält und in welcher Form sie über ihn zu berichten gedenkt. Für sie ist er «Sozialisten-Kühnert», ein «SPD-Milchgesicht» und «kein Posterboy». Die Sozialdemokratie habe ein «Kühnert-Problem» und «Stress», weil Kühnert einige Tage nicht an sein Telefon ging, was sich das Blatt wiederum nur mit einem «unheimlichen Kontaktabbruch» zwischen ihm und dem SPD-Linken Ralf Stegner« erklären kann. Als Kühnert über Sozialismus und Kollektivierung sprach, titelte »Bild«: »Kühnert will BMW enteignen - Was hat der geraucht?«.
Die Boulevardzeitung hat zudem weder Kosten noch Mühen gescheut und Kühnerts Grundschullehrerin, seinen Geschichtslehrer, einen Kumpel vom Fußballverein und Schulfreunde von ihm ausfindig gemacht, ihm einen Brandbrief geschrieben und »Post von Franz Josef Wagner« geschickt. Der neueste Artikel über den Juso-Chef ist bei alledem noch unterirdischer als alle vorherigen und spart nicht einmal an spöttischen Kommentaren zu seiner Körpergröße (»knapp 1,70 Meter«) und seiner Homosexualität (»Wo andere Familien planten, hatte er Zeit fürs Strippenziehen.«).
Wann immer eine Zeitung des Axel-Springer-Konzerns über Kevin Kühnert berichtet, sollte man also stets Donnergrollen und Schwefelgeruch mitdenken. Hilfsweise überklebt man Porträts von ihm auch mit Bildern von Gargamel, den Bösewicht aus der Serie »Die Schlümpfe«.
So gehässig und zerstörerisch die »Bild« auch sein kann, so staatstragend, liebevoll und behutsam ist sie, wann immer jemand auftaucht, der bereit ist, mit ihr im Aufzug nach oben zu fahren. So verging beispielsweise kaum ein Tag, an dem man keine Lobeshymnen auf den CDU-Politiker und neoliberalen Finanzexperten Friedrich Merz sang und ihn beinahe als Erlöserfigur und kahlköpfigen Heiland verehrte. Tagelang hievten die Blattmacher Merz auf ihre Titelseiten, veröffentlichten seine Pläne, seine Strategien, überlegten laut, ob es mit Merz gar nie die AfD gegeben hätte, warnten die Deutschen vor Neid und Missgunst gegenüber Merz, unterstellten, dass Putin, Trump und Erdogan nur ihn als CDU-Vorsitzenden respektieren würden und zitierten Wolfgang Schäuble mit den Worten, eine Wahl von Merz »wäre das beste für unser Land«. Das »Bildblog« warnte bereits vor einem »Merzinfarkt«. Als Leser hätte man meinen können, Merz wäre jahrelang im Lumpensack durch die Lande gezogen, um verlauste Bettler zu waschen und Blinde zu heilen.
Bei genauerem Hinsehen könnte das Bild des Heilands allerdings einige Risse bekommen. In der Vergangenheit war Merz dadurch bekannt geworden, dass er den Kündigungssschutz abschaffen, die Lebensarbeitszeit auf 70 Jahre verlängern und den Hartz-IV-Satz auf 132 Euro reduzieren wollte. Seine eigenen Nebeneinkünfte mochte Merz hingegen derart ungern offenlegen, dass er bis zum Bundesverfassungsgericht zog und sich von den dortigen Richterinnen und Richtern erklären lassen musste, warum es schlecht ist, wenn sich Bundestagsabgeordnete bestechen lassen.
Der Eine würde also die Armut in diesem Land zementieren und der Andere den Wohlstand umverteilen. Für die »Bild« ist der eine ein Heiland, der andere ein Teufel. In ihrem Logo trägt die Zeitung übrigens zwei Worte mit sich herum: »Unabhängig. Überparteilich.«
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