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Standortbestimmungen
Die LINKE sucht nach Strategien zum Aufbau progressiver Mehrheiten – keine leichte Aufgabe in Zeiten der Entsolidarisierung.
Immerhin: Die LINKE verliert wenigstens in der »Sonntagsfrage« nicht nennenswert an Zustimmung. Seit Jahren hält sie sich relativ stabil bei Werten zwischen acht und zehn Prozent. Das kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie gerade in Ostdeutschland seit vielen Jahren an Zustimmung verliert. Thüringen ist da nicht zuletzt dank des Charismas von Ministerpräsident Bodo Ramelow die große Ausnahme.
Bislang konnte die LINKE in keiner Weise von den Verlusten der SPD profitieren - im Unterschied zur rechten AfD auf der einen und den Grünen auf der anderen Seite. Zugleich macht die Tatsache, dass die darniederliegende SPD auf ihrem Parteitag vor eine Woche offiziell beschlossen hat, Hartz IV zu »überwinden« und sich zumindest in ihren Parteitagsbeschlüssen auf ihre Wurzeln zu besinnen scheint, vielen in der LINKEN Hoffnung auf eine progressive Koalition im Bund nach der nächsten Bundestagswahl.
Genau dafür aber braucht sie eine klare Positions- und Funktionsbestimmung. Zu einer umfassenden Debatte über Ziele, Zielgruppen und Strategien im Kampf um andere gesellschaftliche Mehrheiten hat der Bundesvorstand Anfang Oktober aufgerufen. So mancher in der Partei findet, diese Diskussion hätte schon lange vor den Niederlagen dieses Jahres organisiert werden müssen. Die Notwendigkeit der Standortbestimmung und Profilierung links der SPD zeigt sich auch, wenn die ehemaligen LINKE-Vorsitzenden Oskar Lafontaine und Klaus Ernst wieder einmal eine Fusion mit den Sozialdemokraten ins Gespräch bringen. Letzterer sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland am Dienstag, er halte einen Zusammenschluss »perspektivisch« für »wünschenswert«. Denn wenn die SPD die soziale Frage wieder in den Mittelpunkt rücke, sei für zwei »ähnlich positionierte Parteien« kein Platz mehr.
Derweil sind sich die meisten in der LINKEN einig, dass die eine sozialistische Partei bleiben soll, die den Kapitalismus nicht nur kritisiert, sondern ihn überwinden will. Parteichefin Katja Kipping betont zudem, die LINKE dürfe und werde ihr Alleinstellungsmerkmal, Friedenspartei zu sein und konsequent für Abrüstung und gegen Kriegseinsätze der Bundeswehr einzutreten, nicht aufgeben.
Auf der für die »Strategiedebatte« eingerichteten Webseite waren bis zum Freitag 44 Beiträge veröffentlicht. Zu Wort gemeldet haben sich neben prominenteren Genossen auch Zusammenschlüsse, Kreis- und Ortsverbände, aber auch Einzelpersonen. In vielen Beiträgen geht es um die Möglichkeiten, als Teil einer Bundesregierung Veränderungen zu bewirken. Katja Kipping fordert, die LINKE müsse ein eigenes »Regierungsprogramm« erarbeiten. Der ehemalige Berliner Wirtschaftssenator und heutige Bundesschatzmeister Harald Wolf sieht die aktuelle rot-rot-grüne Koalition in Berlin und die Kooperation der LINKEN in ihr mit der Mieterbewegung und anderen Gruppen als Vorbild für den Bund. Auch Kipping tut das und nennt, was die Berliner Genossen gerade machen, »rebellische Realpolitik«.
Janine Wissler hingegen, Vorsitzende der hessischen LINKEN und deren Fraktionschefin im Wiesbadener Landtag, ist »mehr als skeptisch, dass Rot-Rot-Grün in absehbarer Zeit genug Gemeinsamkeiten für ein Regierungsprojekt haben wird«. In einem Gespräch mit Harald Wolf, das ebenfalls als Beitrag zur Debatte veröffentlicht wurde, zeigt sie sich überzeugt, dass eine »Ausrichtung auf Rot-Rot-Grün« der LINKEN gegenwärtig nicht helfen werde. Sie müsse vielmehr »Antworten jenseits von Regierungsbeteiligungen finden«. Auch Wolf findet, man müsse einen Regierungseintritt »von den Durchsetzungsperspektiven« abhängig machen.
Wissler macht auch eine Forderung auf, die ein Kernproblem der gesellschaftlichen Linken berührt: Man müsse »fortschrittliche Kräfte der Selbstemanzipation unterstützen, dass Menschen selber kämpfen lernen für Verbesserungen und eine sozialistische Gesellschaft«. Zugleich solle die Partei nicht länger Erwartungen schüren, dass sie als Stellvertreterin der Bürger in den Parlamenten »grundlegende Veränderungen« herbeiführen könne, mahnt die 38-Jährige, die auch eine der stellvertretenden Vorsitzenden der LINKEN ist. Damit liegt sie auf einer Linie mit der Bewegungslinken, die sich an diesem Wochenende in Berlin als Arbeitsgemeinschaft der Partei gründet.
Dabei wissen diese Aktiven, dass die klassische Agitation an der Basis, die vielen Gespräche mit Bürgern, die Beteiligung an betrieblichen Kämpfen, an der Organisation von Demos und vielem mehr, enorm kräftezehrend sind. Die meisten engagieren sich schließlich neben der Berufs- und Familienarbeit ehrenamtlich in der Partei.
Dennoch wissen viele auch im Bundesvorstand, wie wichtig die Präsenz im Kiez und auf dem Dorffest ist. Nicht zuletzt deshalb, sagt Parteichef Riexinger im Gespräch mit »nd«, habe man den Austausch mit US-amerikanischen Linken und deren Organizing-Truppe »Workers Family« gesucht, um selbst Seminarinhalte für Mitglieder erarbeiten zu können. Die gebe es inzwischen, jährlich würden etwa 30 Leute etwa im Führen von Haustürgesprächen geschult. Ihre Fertigkeiten sollten sie in ihrem Ortsverband an andere weitergeben. Gerade die zutiefst Enttäuschten und Benachteiligten erreiche man nur im direkten Gespräch, sagt der Parteichef.
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