Sichere Ernährung für alle
In Nepal geht die Förderung ökologischer Ansätze mit dem Kampf gegen Diskriminierung einher
Sichere Ernährung für alle beginnt auch bei Themen, die auf den ersten Blick kaum mit selbiger in Verbindung gebracht werden. »Um allen den bestmöglichen Zugang zu Wasser, Wissen und Nahrung zu ermöglichen, müssen wir nicht nur Wissen über ökologische Anbaumethoden verbreiten. Wir müssen auch lange bestehende Diskriminierungen aufgrund des Kastensystems, der Ethnie oder des Geschlechts bekämpfen«, sagt Surendra Shrestha, Direktor bei der Nichtregierungsorganisation SAHAS Nepal. Er besucht die Dörfer regelmäßig und spricht mit den Menschen. »Der erste Schritt zu einer funktionierenden Gemeinschaft ist die Zusammenarbeit in gemeindebasierten Organisationen (CBOs)«, erklärt Surendra Shrestha.
Dailekh in Westnepal ist eines der am meisten von Nahrungsmittelunsicherheit betroffenen Gebiete des Landes. Während die allgemeine Armutsrate Nepals bei 23 Prozent liegt, sind in SODIs Projektregion Dailekh 45 Prozent der Menschen von Armut betroffen. Die Ernteerträge reichen für maximal die Hälfte des Jahres. Doch SODI will das gemeinsam mit seinem nepalesischen Partner SAHAS und den Bewohner*innen der Bergregion nicht hinnehmen. Mit ökologischen Lösungen und Selbstorganisation wollen die fünf Gemeinden Badakhola, Bansi, Kharigaira, Kusapani und Rawatkot ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen.
»Ein Problem in Dailekh ist die Kastendiskriminierung: 24 Prozent der Bevölkerung gehören zu den Dalits - sie sind von Nahrungsunsicherheit am stärksten betroffen«, erzählt Surendra Shrestha. Debika Sunar, eine junge Mutter aus der Kaste der Dalits (»Unberührbare«), pflichtet ihm bei: »Höhere Kasten mieden uns. Es war auch nicht daran zu denken, mit ihnen zusammen zu essen. Unser Wasser mussten wir oft aus den Bächen holen, da in der Nähe unserer Häuser keine Wasserzapfanlagen waren«, sagt Sunar, die ebenfalls führendes Mitglied einer CBO ist.
In der Projektregion gehören über ein Drittel der Menschen der Kaste der Dalits und den als »Janajati« bezeichneten ethnischen Minderheiten an (Magar, Gutung, Thakuri). Sie stehen außerhalb des Kastensystems und sind ebenso wie die Angehörigen der Dalits mit vielerlei Diskriminierungen konfrontiert. »Dalits und einige ethnische Minderheiten haben keine nepalesische Staatsbürgerschaft. Damit können sie kein Land besitzen, nicht wählen, keinen Reisepass beantragen, nicht außerhalb Nepals arbeiten, und sie dürfen nach der Grundschule oft nicht auf eine weiterführende Schule gehen«, erklärt Surendra Shrestha.
Ein Erfolgsmodell gegen die Diskriminierung sind die CBOs. Im März 2019, vier Monate nach Projektbeginn, wurden bereits 40 gemeindebasierte Organisationen gemeinsam gegründet - mit reger Teilnahme vieler Dorfbewohner*innen. Es wurde besonders darauf geachtet, dass sich die CBOs aus allen ethnischen Gruppen und Kasten zusammensetzen, sodass die Bedürfnisse und Interessen aller Menschen Beachtung finden und allen Teilhabe bei der Gestaltung ihrer Gemeinden zukommt.
Alle einzubeziehen, die sogenannte Inklusion, verbindet, weiß Surendra Shrestha, doch sie benötigt ebenso Zeit. »In den gemeindebasierten Organisationen kommen Menschen aus allen Kasten und mit verschiedenen ethnischen Hintergründen zusammen und verfolgen als CBO-Mitglieder bei der Durchführung ihrer Gemeindeaktivitäten dieselben Ziele: ihre Lebenssituation zu verbessern und ihr Dorfleben gemeinsam zu organisieren. Soziale Grenzen verschwinden aber nicht von einem Tag auf den nächsten vollständig aus einer Gemeinschaft, da sie tief verwurzelt sind. Aber in kleinen Schritten werden die Grenzen allmählich abgebaut.«
Nachdem sich die CBOs durch begleitende gruppenbildende Prozesse zusammengefunden haben, ging es nun ganz praktisch darum, die CBO-Mitglieder - also die Dorfbewohner*innen - in ihrer Selbstorganisation zu stärken und ihnen Wissen rund um das Gemeindemanagement mit auf den Weg zu geben. »Vor allem für viele Frauen, die über 80 Prozent aller CBO-Mitglieder ausmachen, waren diese Workshops die erste Weiterbildung in ihrem Leben. Sie sind sehr wissbegierig und wollen am liebsten noch viel mehr lernen«, schildert Surendra Shrestha. Die Workshops funktionierten nach dem »Schneeballprinzip«. »Wir führen sie immer mit ausgewählten CBO-Mitgliedern durch, die dann wiederum als Multiplikator*innen ihr Wissen in ihren Gemeinden weiterverbreiten«, führt Surendra Shrestha aus.
Jede CBO erhielt eine Box zur Aufbewahrung aller Dokumente der Gruppe sowie ein Spar- und Kreditbuch. Denn die Gemeinden sparen zusammen. Gruppenmitglieder können kleine Kredite, zum Beispiel für Gesundheitsversorgung oder das Schulgeld ihrer Kinder, erhalten und stärken somit ihre Position gegenüber privilegierten Dorfeliten. Doch hier hört die Zusammenarbeit längst nicht auf. »Durch die CBOs werden auch gemeinsame Infrastrukturprojekte wie Brücken, Wasserstellen an den Dalit-Häusern, Schulsanierungen oder befestigte Straßen realisiert. Hierzu lernen die Menschen von uns, wie sie als Vertreter ihrer Gemeinden bei den staatlichen Behörden finanzielle Unterstützung beantragen können - das gilt für das genannte Projekt ebenso wie für Saatgut«, sagt Surendra Shrestha.
Die Zusammenarbeit in den CBOs und Workshops zu sozialer Inklusion und gegen Diskriminierung zeigen bereits erste Erfolge: »Nach den Gemeindesitzungen sitzen wir manchmal zusammen und essen gemeinsam - auch mit anderen Kasten. Das hätte es früher nie gegeben«, berichtet Debika Sunar.
In Zeiten durch den Klimawandel zunehmender Wetterextreme sind Zusammenhalt und gemeinsame Wege bei der Anpassung an klimatische Veränderungen besonders wichtig. Daher stellen auch der Aufbau ökologischen Wissens, die Planung gemeinsamer lokaler Maßnahmen im Kampf gegen den Klimawandel und die Sicherung der Ernährung der Menschen im Distrikt einen Schwerpunkt der gemeindebasierten Organisationen dar.
Aber was genau lernen die Dorfgemeinschaften? Angefangen bei der Herstellung und Anwendung von Bio-Pestiziden über die Anwendung von Kompost bis hin zum Bau von Wassersammelanlagen und Hausgärten können die Gemeinden ihr Bemühen um eine sichere Ernährung selbst steuern. In der Ausbildung lernen die CBO-Mitglieder zum Beispiel die ganzjährige Anbaupraxis von Tomaten im Treibhaus sowie die Bekämpfung verschiedener Schädlinge und Pflanzenkrankheiten.
Mit dem Bau von Treibhäusern und Hausgärten auf den brach liegenden Flächen schaffen die Gemeinden Raum für eine bessere ganzjährige Ernte zur Eigenversorgung der Dorfbewohner*innen und zum Verkauf auf dem lokalen Markt. »In der Bergregion sind die Anbauflächen knapp bemessen. Ein Haushalt besitzt nur 0,4 Hektar Land - weniger als die Hälfte des Landesdurchschnitts. Jede Anbaufläche zählt«, sagt Surendra Shrestha. Auch der Hausgarten ist Teil eines Nährstoffkreislaufes: Hier werden Gemüse, Gewürze, Obst und Plantagenkulturen angebaut und mit organischem Dung von dem davor weidenden Vieh versorgt. Futterbäume ernähren wiederum die Tiere und verhindern den Kahlfraß von Gärten.
In zweitägigen Workshops lernten die Teilnehmer*innen den Bau und die Bewirtschaftung solcher Hausgärten. Sie erhielten zusätzlich Pakete mit verschiedenem Saatgut, um die biologische Vielfalt und das Nährstoffgleichgewicht in ihrer täglichen Ernährung zu erhalten. Einige Haushalte erhielten zudem Ziegen. »Wenn ein Ziegenjunges geboren wird, entscheiden wir auf unseren Versammlungen, an welche bedürftige Familie das neue Tier gegeben wird, um allen die Chance auf eine zusätzliche Einkommensquelle zu gewähren«, sagt Debika Sunar.
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