Was Tee manchmal für eine Wirkung haben kann
»Herr Rescue, wie ich leider sehen muss, haben Sie noch immer keinen Job.«
Mein Fallmanager, Herr Magenta, hat jedes Mal eine nette Begrüßung für mich parat. Wie üblich wahre ich meine Mischung aus Naivität, aufgesetzter Höflichkeit und einem Hauch von Interesse an seiner Tätigkeit.
»Wie meinen Sie das?«
»Ganz einfach. Wenn Sie zum Termin nicht erscheinen, sind Sie entweder ausgewandert, verstorben oder haben einen Job gefunden. In allen drei Fällen wäre meine Aufgabe erledigt, und ich könnte Ihren Eintrag in der Datenbank mit dem Vermerk ›Erfolgreich resozialisiert‹ abschließen. Dann würde ich auch die Prämie kassieren. Folgen Sie mir in die Küche, ich muss mir einen Tee zubereiten.«
Ich folge ihm. Er macht Wasser heiß und holt anschließend aus der Hosentasche ein Döschen hervor, öffnet dieses und gibt einen Brösel Haschisch in die Teetasse. Dann rührt er mit einem Löffel um und kommentiert das Ganze so:
»So, jetzt kann der Tee seine ganze Wirkung entfalten.«
Zurück am Schreibtisch nimmt er einen tiefen Schluck.
»So, Herr Rescue, wie so oft kann ich mich nicht mehr an unsere letzte Begegnung erinnern. Was hatte ich Ihnen denn beim letzten Mal an Optimierungen aufgetragen?«
»Ich sollte mein Anschreiben um eine Fußzeile ergänzen, um dort meine Adressdaten unterzubringen.«
Herr Magenta schaut sich das mitgebrachte Anschreiben an. Dann schüttelt er den Kopf.
»Da müssen FARBEN rein, Herr Rescue. Sehr viele FARBEN. Ich sehe ganz viele FARBEN vor mir.«
Er ruft die Textverarbeitung auf und beginnt wie wild zu tippen. Er beugt den Kopf zum Monitor und spricht mit sich selbst. Es geht um Farben und darum, welche was taugen. Ich sitze da und warte ab. Hin und wieder schaue ich näher hin und täusche Interesse vor. Wir werden beide dafür bezahlt, dass wir das hinter uns bringen, und ich bin Jobcenter-Profi genug, um ihn einfach machen zu lassen und nichts zu sagen. Bloß keine Kritik äußern, denn womöglich ist ihm das, womit er sich gerade beschäftigt, sehr wichtig.
Zwischendurch nimmt Herr Magenta weitere große Schlucke aus der Teetasse, die, falls ich vergessen haben sollte, das zu erwähnen, eher einem Krug ähnelt. Schließlich dreht er den Monitor zu mir.
»Und, wie gefällt es Ihnen?«, fragt er mich.
»Gelungen«, sage ich, denke aber etwas anderes. Die Farbe assoziiere ich augenblicklich mit der Farbe einer erbrochenen Currywurst, allerdings keiner an einer Imbissbude gekauften, sondern einer solchen, wie man sie von den Fertiggerichten aus dem Supermarkt kennt.
Der Fallmanager reißt mich aus meinen Überlegungen.
»So, das schicke ich Ihnen als E-Mail, und Sie nutzen das künftig für Ihre Bewerbungen. Beim nächsten Termin optimieren wir Ihren Lebenslauf farblich, meine Güte, was ich da für Ideen habe! Und dann werden Sie bestimmt einen Job bekommen, und ich sehe Sie nie wieder.«
Ich nicke schicksalsergeben. Erneut ein Termin vorbei. Sechs werden noch folgen. Dann habe ich wieder eine Weile Ruhe. Robert Rescue
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