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Fräsen, Schrubben, Abspülen
Anwohner von Atomkraftwerken machen mobil gegen Lagerung des Bauschutts
Wie ein Wahrzeichen ragen der Schornstein und die Reaktorkuppel des Atomkraftwerks Unterweser über das Butjadinger Land nördlich von Brake in Niedersachsen. Auf dem Deich grasen ein paar Schafe, vom Fluss her zieht Nebel auf. Strom wird im Werk nicht mehr produziert. Das AKW wurde 2011 nach 32-jährigem Betrieb abgeschaltet. Anfang 2018 begann der Rückbau, die Arbeiten sollen anderthalb Jahrzehnte dauern.
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Die bestrahlten, hochradioaktiven Brennelemente wurden schon im vergangenen Jahr entfernt. Sie lagern in 40 Castorbehältern in einem Zwischenlager, das gleich nebenan auf dem Gelände steht. Jetzt kommen die anderen, mehr oder weniger stark kontaminierten Komponenten an die Reihe: Das Reaktordruckgefäß, Wärmetauscher, Pumpen, aber auch Werkzeug, Handschuhe und Schutzkleidung. All diese Teile werden ebenfalls zwischengelagert und wohl ab 2027 ins Endlager Schacht Konrad gebracht.
Auch Zehntausende Tonnen Bauschutt fallen beim Abriss an. Dazu Beton, Kabel und Dämmplatten, alles ebenfalls radioaktiv belastet, wenn auch nicht so stark - das Atomkraftwerk ist also gewissermaßen selbst radioaktiver Müll. Dieses Zeug darf, sobald es »freigemessen« ist, auf gewöhnlichen Deponien verscharrt, verbrannt oder in Flüsse geleitet werden.
Betreiber des AKW Unterweser ist PreussenElektra, eine Tochter des Energieriesen E.on. Sie möchte den beim Rückbau anfallenden Bauschutt auf einer Hausmülldeponie im Braker Stadtteil Käseburg entsorgen. Der Plan ist seit fast zwei Jahren bekannt - und heftig umstritten. Anfang Dezember übergab das Unternehmen dem niedersächsischen Umweltministerium ein überarbeitetes Gutachten, das die Unbedenklichkeit des Vorhabens belegen soll. Denn PreussenElektra hält die Deponie für bestens geeignet. Bislang gebe es kein »K.o.-Kriterium«, das dagegen spreche.
Doch viele Bürger und einige Kommunalpolitiker sehen das anders. Sie fürchten um ihre Gesundheit, sollte demnächst tatsächlich strahlender Bauschutt in ihrer Nachbarschaft gelagert werden. Außerdem verweisen sie auf die begrenzten Fassungskapazitäten der Deponie. Zusätzliche Brisanz bekam das Thema vor wenigen Wochen. Da wurde bekannt, dass der AKW-Betreiber bereits vor 20 Jahren über 200 Tonnen radioaktiv belastete Abfälle aus dem Kraftwerk auf der Deponie entsorgt hatte - teils ohne Wissen von Anwohnern und der lokalen Politik. Über den Antrag von PreussenElektra muss das Ministerium befinden. Mit einer Entscheidung wird im ersten Quartal 2020 gerechnet.
Kontaminierter Bauschutt fällt aber nicht nur beim AKW Unterweser an. In Norddeutschland werden 18 Atomkraftwerke zurzeit oder in absehbarer Zeit zurückgebaut. Schon weitgehend abgerissen ist das Kraftwerk in Stade. Weil der Landkreis Stade über keine geeignete Deponie verfügt, wurde der Schutt zunächst auf der Deponie Hillern im nahen Heidekreis untergebracht. Nach Anwohnerprotesten erfolgte jedoch ein Annahmestopp. AKW-Betreiber E.on musste den Bauschutt bis nach Sachsen transportieren, um ihn loszuwerden. Doch auch hier protestierten Bürger. Einige Deponieeigentümer weigern sich seitdem, weiteren Schutt anzunehmen.
In der Kritik steht auch das »Freimessen«. Bevor Schutt und Beton »freigemessen« werden, wird das Material im großen Stil zerlegt sowie mechanisch und chemisch behandelt. Fräsen, Ätzen, Schrubben, Abspülen und Sandstrahlen: Durch diese Arbeiten wird die Radioaktivität insgesamt nicht weniger, sie wird lediglich neu verteilt. Liegt die Strahlenbelastung bei den vom AKW-Betreiber selbst vorgenommenen Messungen unterhalb eines Grenzwertes von zehn Mikrosievert pro Person und Jahr, gilt das Material als »freigemessen«.
Bürgerinitiativen und Anti-Atom-Organisationen wie »Ausgestrahlt« halten diesen Wert für willkürlich gesetzt und wissenschaftlich haltlos. Überhaupt seien Grenzwerte für Radioaktivität nichts anderes als »Optimierungs«-Rechnungen zwischen Aufwand für die Atomwirtschaft einerseits sowie Schaden für die Bevölkerung und die Natur andererseits.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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