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Der Tod und die Mädchen
Pornografie und Altarmalerei waren bei Hans Baldung Grien keine Gegensätze, wie eine Retrospektive in Karlsruhe zeigt
Kein Lebkuchenhaus, kein Buckel, keine Warzennase. Die zwei Hexen, die Hans Baldung Grien 1523 auf die Leinwand bringt, sind anders als im Kindermärchen: jünger und nackter. Die eine hat die Haare pfiffig hochgesteckt, die andere lässt die Locken frei im Winde flattern. Manche Kunsthistoriker deuten das Duo als Wetterhexen, schließlich braut sich im Bildhintergrund meteorologisches Unheil zusammen. Aber könnte das schwefelgelbe Gewölk am Himmel nicht auch auf das erotische Feuer verweisen, das die zwei Hübschen zu entfachen im Stande sind? Die Gesichtszüge der linken Hexe begegnen noch ein weiteres Mal in einem Werk des Künstlers, diesmal ist wahrscheinlich Venus die Dargestellte. Liebesgöttin oder Teufelsbraut, gut oder böse - die moralischen Grenzen waren fließend für den Maler und Holzschneider, der wohl um 1484 in Schwäbisch Gmünd das Licht der frühneuzeitlichen Welt erblickte. Diese durchgängige Ambivalenz der Werte liegt auch der Kunsthalle Karlsruhe am Herzen, wenn sie ihre grandiose Retrospektive von Baldungs Schaffen unter das Motto »heilig/unheilig« stellt.
Er hat ein ebenso umfangreiches wie widersprüchliches Werk hinterlassen: fromme Andachtsbilder, große Altartafeln und charakterstarke Porträts von Zeitgenossen, aber dazwischen immer wieder Pikantes, um nicht zu sagen Obszönes. So schwebt vor allem folgende Frage über den mehr als 200 Exponaten: Wie konnte sich der Künstler zu einem solchen Grenzgänger zwischen dem Sakralen und dem Profanen entwickeln?
Obschon Spross einer bekannten Gelehrtenfamilie (der Onkel war Leibarzt Kaiser Maximilians I.), liegen Hans Baldungs Anfänge weitgehend im Dunkeln. Wo und bei wem er sein Handwerk gelernt hat, ist umstritten. Den letzten Schliff jedenfalls erhielt er in Nürnberg als Assistent Albrecht Dürers. Dort gab man Hans Baldung auch den Beinamen »Grien«, was nichts anderes bedeutet als »grün«. Tatsächlich bewies er eine große Vorliebe für diese Farbe und nutzte sie gern für die Mäntel in religiösen Szenen. Bereits das Selbstporträt des höchstens 18-Jährigen, das am Anfang des Karlsruher Parcours steht, besticht nicht nur durch die merkwürdig androgynen Gesichtszüge unter der zotteligen Flormütze, sondern auch durch den kühlen Tannenwaldton des Papiers.
Wie bei Dürers Selbstinszenierung als Christus ist auch diese Arbeit, trotz ihrer bescheideneren Ausmaße, ein Statement des kreativen Selbstbewusstseins. Überhaupt münden die Einflüsse des großen Nürnbergers bei Baldung nie in eine Abhängigkeit. Er übernahm die Vorliebe seines Meisters für wuchtige Figuren und großflächig monochrome Gewänder, gleichzeitig ist er drastischer, emotionaler in der Physiognomie. Antikisierende Schönheitsideale, wie sie Dürer aus Italien mitbrachte, sind für Baldung nicht der einzige ästhetische Orientierungspunkt.
Er reibt sich an den Unebenheiten des Epochenübergangs. Der alte Aberglaube und die grinsende Welt des mittelalterlichen Totentanzes sind für ihn noch nicht vergangen. Mit den neuen naturalistischen Mitteln der Malerei weiß er den schauerlichen Effekt der Vergänglichkeitsmahnung sogar weiter zu steigern. Kein Skelett, eine fäulnisgelbe, halbverweste Leiche ist es, die in »Der Tod und das Mädchen« nach der makellosen Jugend greift. Noch im Bittersten erkennt Baldung die Wollust. Und im Ekligsten. Das Wesen der Erotik sei die Beschmutzung, schrieb im 20. Jahrhundert der französische Philosoph Georges Bataille. Der deutsche Renaissancemaler hat dieses Theorem schon 400 Jahre zuvor zur Bildpraxis werden lassen. Mit nackten Frauen, die auf den Boden kacken, und Junghexen, denen ein fischleibiger Drache eine lange Zunge zwischen die Beine schiebt.
All das dokumentieren die Karlsruher mit vielen qualitätsvollen Beispielen und Vergleichswerken. Inhaltliche Vorwürfe machen muss man der Schau jedoch, weil sie trotz der Dominanz des Hexen-Themas nur zaghaft Bezüge zur Inquisition herstellt. Auch Baldungs Erwachsenenmärchen basieren auf jenem theologischen Hirngespinst, das die Hexenverbrennungen politisch legitimierte: Die Frau ist ein gefährliches, triebbestimmtes Wesen.
Gewiss gehörten Hexen immer schon ins Reich der Männerfantasie. Doch Baldung verfolgt geschickter als andere eine Doppelintention. Er deklariert die enthemmten Walpurgisnächte vordergründig als Warnung vor moralischer Verkommenheit, um zugleich lesbische Dreier und weibliche Masturbation voyeuristisch auszukosten. YouPorn als Federzeichnung mit Weißhöhungen auf braun grundiertem Papier! Allerdings sind die Männer bei Baldung mitunter wirklich die Dummen. Alte Lustgreise werden von raffinierten Ludern finanziell ausgenommen, gelehrte Philosophen erniedrigen sich für ihre Geliebte zum Reittier. So auf dem Holzschnitt »Aristoteles und Phyllis«.
An Abnehmern hierfür mangelte es schon damals nicht. Der Markgraf von Baden-Durlach soll ein »Nuditäten-Kabinett« unterhalten haben, in dem Baldung vermutlich vertreten war. Daneben drückt der Erotomane auch in der offiziellen Bildproduktion durch. Auf der 1531 entstandenen Paradiesesszene denkt Adam gar nicht dran, seine Hände von Evas Brust und Hüfte zu nehmen. Der lüsterne Satyrblick des ersten Menschen verrät, dass entgegen der christlichen Tradition die Triebkraft der Verführung nicht allein bei der Frau liegt. Ob heilig oder unheilig, zum Sündenfall gehören immer zwei.
»Hans Baldung Grien. heilig/unheilig.
Große Landesausstellung Baden-Württemberg«, bis 8.3.2020, Staatliche Kunsthalle Karlsruhe,
Hans-Thoma-Straße 2-6, Karlsruhe
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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