Werbung

Ausgebremste Windenergie

Die Zahlen sprechen eine klare Sprache: Zubau findet in Deutschland kaum noch statt

Im Jahre 1882 drehten sich in Deutschland fast 20 000 Windmühlen. Sie strahlten, vielfach auf romantischen Ölgemälden verewigt, die Idylle des ruhigen Landlebens aus. Diese imposante Zahl markierte das historische Maximum. Die Dampfmaschinen stutzten ihre Flügel - Ende des 19. Jahrhunderts entstanden die ersten Mehlfabriken, das große Mühlensterben begann.

Eine derartige Entwicklung wünschen sich heute wieder einige Windkraftgegner, auch wenn sie auf keinen Fall auf die Vorzüge einer stabilen Stromversorgung verzichten wollen. In der Debatte bemüht wird sogar das Grundgesetz - der Artikel 20a, nach dem der Staat die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere schützen muss -, um die Windkraft aus der Bundesrepublik zu verbannen. Ihre Hauptargumente: Die Windenergieanlagen sparten kein CO2 ein, zerstörten aber den Lebensraum von Vögeln und Fledermäusen, verschandelten unberührte Landschaften und machten durch Infraschall die Menschen krank.

Derartige Behauptungen und Proteste in einigen Kommunen zeigen längst auch politische Wirkung: Das Bundeswirtschaftsministerium will bundesweit einen pauschalen Mindestabstand von 1000 Metern zwischen Windkraftanlagen und Wohnbebauung vorschreiben. Dieses Vorhaben wird allerdings von Umweltverbänden, vielen Ländern und auch in der Großen Koalition scharf kritisiert - im März soll es dazu nun eine Einigung geben.

Von den Windkraftgegnern wird vernachlässigt, dass in der Bundesrepublik mittlerweile 29 300 Windenergieanlagen an Land mit knapp 51 Gigawatt Nennleistung zur Energieversorgung beitragen. Und dass Deutschland im internationalen Vergleich damit keine Spitzenrolle einnimmt: China ist mit 188,2 Gigawatt das Land mit der größten Leistung. 2017 waren dort 510 000 Menschen in der Windindustrie beschäftigt - in Deutschland waren es 160 000 Arbeitsplätze, von denen viele im Zuge der eingesetzten Pleitewelle inzwischen nicht mehr existieren oder bedroht sind. Prognostiziert wird für China ein jährlicher Zubau von 20 Gigawatt - für Deutschland nur von 1,6 Gigawatt.

Und nicht einmal diese Vorhersage erfüllt sich derzeit: Wie die Bundesnetzagentur am Freitag mitteilte, erhöhte sich die installierte Leistung an Land und auf dem Meer in diesem Jahr bis Ende November um lediglich 0,6 Gigawatt, wozu auch das Repowering, also der Austausch von Altanlagen durch leistungsstärkere, zählt. Es ist der tiefste Wert seit etwa 20 Jahren. Netto gibt es nur 160 Windräder mehr als 2018. Zum Vergleich: Seit dem Jahr 2000 wurden in Deutschland im Jahresdurchschnitt etwa 1100 Anlagen mit einer Leistung von über 2,5 Gigawatt hinzugebaut.

Immerhin sieht die Bundesnetzagentur einen kleinen Lichtblick: Bei der jüngsten Ausschreibung von Strommengen aus zu bauenden Windenergieanlagen, die über das Erneuerbare-Energien-Gesetz gefördert werden, überstieg erstmals seit über einem Jahr die Nachfrage das Angebot.

Auch beim Anteil der Windenergie an Land und auf See an der gesamten Stromerzeugung ist Deutschland nicht einmal Spitzenreiter in Europa. Dänemark verzeichnete zuletzt einen Anteil von 44 Prozent, der 2020 auf 50 Prozent steigen soll, und Portugal von 33 Prozent. In Deutschland werden es in diesem Jahr nach neuesten Prognosen 21,8 Prozent sein. Zwar stieg die Windstromerzeugung deutlich um 15 Prozent gegenüber dem Vorjahr - das Umweltbundesamt führt dies aber vor allem auf einige »windstarke Monate« zurück.

Haupterzeuger von Windenergie sind in der Bundesrepublik mit großem Abstand die Bundesländer Niedersachsen mit einer Leistung von mehr als elf Gigawatt, gefolgt von Brandenburg mit gut sieben. Die großen Stromverbraucher der Bundesrepublik - Bayern und Baden-Württemberg - bleiben mit 2,5 und 1,5 Gigawatt deutlich unter diesen Werten.

Kürzlich legten die Ministerpräsidenten der fünf Nord-Bundesländer einen Elf-Punkte-Plan zur Belebung der Windenergie vor. Sie fordern unter anderem einen starken Ausbau der Nutzung auf See, das Ausschöpfen aller möglichen Flächen für Anlagen, die Optimierung des Netzausbaus und die Beschleunigung von Genehmigungsverfahren.

Doch kommt es womöglich ganz anders, wenn sich das Wirtschaftsministerium beim Streit um Mindestabstände zwischen Windenergieanlagen und Siedlungen durchsetzt? Eine aktuelle Analyse des Umweltbundesamtes quantifiziert die Auswirkungen. Demnach würden sich bei einem Mindestabstand von 1000 Metern zu benachbarten Wohngebieten die potenziellen Flächen für Windräder um 20 bis 50 Prozent und das gesamte Leistungspotenzial von derzeit 80 Gigawatt auf 40 bis 60 Gigawatt reduzieren. Bei 1200 Metern Mindestabstand würde das Leistungspotenzial sogar auf nur noch 30 bis 50 Gigawatt sinken.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Vielen Dank!