Gezerre um Ärzte in Gesundheitsämtern

Mediziner im Öffentlichen Gesundheitsdienst fordern Bezahlung nach Marburger-Bund-Tarifen

  • Rainer Balcerowiak
  • Lesedauer: 3 Min.

Ob Schuleingangsuntersuchungen für Kinder, Hygienekontrollen in Krankenhäusern, Pflegeheimen und öffentlichen Einrichtungen, Erstuntersuchungen von ankommenden Flüchtlingen oder Seuchenschutz - der öffentliche Gesundheitsdienst hat eine zentrale Bedeutung für die öffentliche Daseinsvorsorge. Doch besonders in den größeren Städten sind diese Aufgaben angesichts der chronischen Unterbesetzung der Gesundheitsämter kaum noch zu bewältigen. »Die Kollegen arbeiten oftmals bis an oder über die Belastungsgrenze«, beschrieb Sebastian Hofer, Tarifexperte der Ärztegewerkschaft Marburger Bund (MB), die Situation in Berlin in einem Interview, »doch gerade bei den gesetzlich vorgeschriebenen Einschulungsuntersuchungen gibt es oftmals einen großen Zeitverzug.« Das betreffe besonders Kinder aus ärmeren Familien. Denn besser gestellte Eltern hätten in der Regel einen besseren Zugang zu ärztlichen Leistungen. Hofer zufolge können die freien Stellen aber nicht besetzt werden, weil kaum ein Facharzt bereit sei, ein Mindereinkommen von bis zu 1500 Euro brutto pro Monat zu akzeptieren. In einer Klinik verdienten angestellte Ärzte deutlich mehr.

Seit Jahren verlangt der Marburger Bund daher von den Kommunen den Abschluss eines Tarifvertrages für den öffentlichen Gesundheitsdienst, der sich an den Ärztetarifverträgen für kommunale und Universitätskliniken orientiert. Bislang fallen sie unter die verschiedenen Tarifverträge des öffentlichen Diensts, die von der Gewerkschaft ver.di und dem Deutschen Beamtenbund (dbb) geschlossen werden.

Eine Einigung erschien greifbar nahe, denn die Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) hatte sich im Mai bereit erklärt, mit der Ärztegewerkschaft über ein entsprechendes Tarifwerk zu verhandeln. Doch nun wurden die Verhandlungen überraschend unterbrochen. Die VKA will zunächst mit dem Beamtenbund Gespräche führen.

Für MB-Sprecher Hans-Jörg Freese ist das nicht nachvollziehbar. Zwar war der Bundesverband der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes, dem ein Teil der betroffenen Ärztinnen und Ärzte angehören, bis Ende 2017 Mitglied im Beamtenbund, verließ diesen jedoch wegen andauernder Erfolglosigkeit. Ein Großteil der Ärzte habe sich daraufhin dem Marburger Bund angeschlossen, erklärte Freese gegenüber »nd«. Unklar sei, ob der dbb überhaupt noch angestellte Ärzte aus diesem Bereich organisiert hat. Der Marburger Bund sieht in dem Vorgehen der Kommunen daher ein »durchsichtiges Manöver«, um die Anbindung des öffentlichen Gesundheitsdienstes an den Ärztetarifvertrag für die kommunalen Kliniken zu verhindern.

Bislang gleicht die Entlohnung im öffentlichen Gesundheitsdienst einem tarifpolitischen Flickenteppich aus unterschiedlichen Einstufungen und Zulagen. Im Vergleich zu den Kollegen in kommunalen Kliniken verdienen Ärzte im Gesundheitsdienst nach Angaben des Marburger Bunds zwischen 1000 und 1500 Euro weniger pro Monat. Das führe dazu, dass immer mehr von ihnen kündigen und frei werdende Stellen in den Gesundheitsämtern nicht besetzt werden können. Das gefährde den Versorgungsauftrag. Die Gewerkschaft warnt vor einem »Ausbluten« des Öffentlichen Gesundheitsdienstes.

Die kommunalen Arbeitgeber weisen die Darstellung der Gewerkschaft zurück. Sie interpretieren schon die im Mai geschlossene Gesprächsvereinbarung zur Tarifsicherung anders als die Ärztegewerkschaft. Man sehe darin keine Festlegung auf Ausweitung außerhalb der Krankenhäuser, erklärt eine VKA-Sprecherin auf Anfrage. Sie verweist darauf, dass die Arbeitsbedingungen der Ärztinnen und Ärzte in der Verwaltung im Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes geregelt seien und für diesen Bereich sei der Beamtenbund Tarifvertragspartei: »Als Sozialpartner des dbb sehen wir uns daher verpflichtet, mit ihm ebenfalls Verhandlungen zu den Ärztinnen und Ärzten im ÖGD aufzunehmen.« Auch die kritisierten Verdienstunterschiede will man beim VKA so nicht stehen lassen. Die Kommunen hätten die Möglichkeit, Zulagen von bis zu 1000 Euro monatlich zum Tabellenentgelt zu zahlen, betont die Sprecherin.

Wann die Gespräche zwischen VKA und MB wieder aufgenommen werden, ist derzeit offen. Falls es bei der »Blockadehaltung« der Arbeitergeber bleibe, seien auch Arbeitskampfmaßnahmen nicht auszuschließen, kündigt MB-Sprecher Freese an.

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