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Weder berauschend noch eine Katastrophe
Der Konjunkturexperte Sebastian Dullien fordert ein langfristiges Investitionsprogramm
In Ihrer letzten Konjunkturprognose haben Sie die Erwartungen für dieses und nächstes Jahr leicht angehoben. Blicken Sie jetzt optimistisch auf 2020?
Es gibt weder einen Grund für großen Optimismus noch für großen Pessimismus. Wir gehen jetzt von einem Wirtschaftswachstum in Deutschland für 2019 von 0,5 Prozent und für 2020 von 0,8 Prozent aus. Das sind jeweils 0,1 Prozentpunkte mehr als das, was wir Ende September prognostizierten. Diese Korrektur haben wir aufgrund von statistischen Effekten vorgenommen, die aber marginal sind.
0,8 Prozent im kommenden Jahr sind doch immerhin 0,3 Prozentpunkte besser als noch in diesem Jahr.
Das schaut nur auf den ersten Blick besser aus. 2020 hat mehr Arbeitstage als 2019. Wenn man diesen Effekt herausrechnet, bleibt das Wirtschaftswachstum ungefähr auf dem gleichen Niveau wie dieses Jahr. 2020 wird also vermutlich weder berauschend noch eine Katastrophe sein.
Was werden die größten Baustellen nächstes Jahr sein?
Entscheidend wird sein, wie die deutsche Wirtschaft den anstehenden Strukturwandel angehen wird. Insbesondere die Dekarbonisierung, also die Energiewende weg von fossilen hin zu erneuerbaren Energieträgern, wird eine wichtige Rolle spielen. Aber auch die damit zusammenhängenden Nachfrageverschiebungen im Automobilsektor und die Veränderungen in der Antriebstechnologie werden von Bedeutung sein. Schließlich ist die Branche zentral für die Wirtschaftsentwicklung in Deutschland.
Für die Autobranche ist auch entscheidend, wie es mit den Handelskonflikten weitergeht. Nachdem die USA die Berufung von Schlichtungsrichtern bei der Welthandelsorganisation (WTO) blockierten, will die EU jetzt notfalls auch ohne grünes Licht der Organisation Strafzölle verhängen. Droht ein Aufflammen der Handelskriege?
Die schwelenden Konflikte sorgen auch ohne eine weitere Eskalation schon für große Unsicherheit und werden deshalb weiter die Wirtschaft belasten. Gleichzeitig hat US-Präsident Donald Trump zwar die Deadline zur Verhängung von Strafzöllen auf Autos aus der EU verstreichen lassen, aber er hat noch andere gesetzliche Möglichkeiten, mit denen er weitere Zölle gegen die EU verhängen und insbesondere der deutschen Wirtschaft so Schwierigkeiten bereiten kann. Und auch der Brexit wird weiter auf der Wirtschaft lasten.
Ist mit dem Wahlerfolg für Boris Johnson nicht die Chance für einen geregelten Austritt Großbritanniens aus der EU gestiegen?
Damit ist die Unsicherheit aber noch nicht verschwunden. Ein Brexit-Abkommen würde erst mal nur bedeuten, dass es eine Übergangsfrist gibt, in der ein endgültiges Handelsabkommen mit der EU verhandelt werden muss. Und momentan ist völlig unklar, wie dieses aussehen wird. Es bleibt damit das Risiko, dass am Ende nur die WTO-Regeln für den Handel zwischen Großbritannien und der restlichen EU gelten werden.
Besonders in der Automobilindus-trie und bei den Zulieferern wurden bereits massive Stellenstreichungen angekündigt. Wird sich die Delle in der Konjunktur noch stärker auf den Arbeitsmarkt auswirken?
Der Boom, den wir in den letzten Jahren auf dem Arbeitsmarkt erlebt haben, ist auf jeden Fall vorbei. Wir rechnen für nächstes Jahr mit einem leichten Anstieg der Arbeitslosenquote im Jahresdurchschnitt von 5,0 auf 5,1 Prozent. Das ist noch nicht viel, aber definitiv eine Trendwende zu den vergangenen Jahren.
Sollte dann schon mal an einem Konjunkturprogramm gefeilt werden?
Es braucht kein klassisches Konjunkturprogramm wie 2008/9 in der Finanzkrise, wo schnell Milliardensummen lockergemacht wurden. Vielmehr müssen die Möglichkeiten für Kurzarbeit ausgeweitet werden, weil dies in einigen Branchen notwendig sein wird. Vor allem braucht es ein langfristiges Investitionsprogramm, damit die Konjunktur dauerhaft stabilisiert und die Wirtschaft beim Strukturwandel unterstützt wird. Zusammen mit dem arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft (IW) hat das IMK berechnet, dass der Staat dafür bis zum Jahr 2030 insgesamt 450 Milliarden Euro in die Hand nehmen sollte.
Wohin soll all das Geld fließen?
Allein für die Auflösung des Sanierungsstaus in den Städten und Gemeinden sind rund 138 Milliarden Euro nötig. 120 Milliarden Euro veranschlagen wir für den Ausbau von Verkehrswegen und digitaler Infrastruktur. 109 Milliarden Euro sollten in eine bessere Bildung fließen - etwa in den Ausbau der frühkindlichen Bildung und in Ganztagsschulen. Dies sind die drei größten Posten.
Ihr Kollege vom IW, Michael Hüther, hatte deswegen bereits Anfang des Jahres einen Vorstoß zur Reform der Schuldenbremse gemacht. Ihr Institut fordert noch länger eine Abkehr. Wenn sich arbeitgeber- und arbeitnehmernahe Ökonomen einig sind, wird 2020 dann das Jahr, in dem die Schuldenbremse wieder abgeschafft wird?
Ich glaube nicht, dass die Schuldenbremse nächstes Jahr fallen wird. Dafür ist der Widerstand in der Politik zu groß. Zu viele halten dort am Fetisch der Schuldenbremse und der Schwarzen Null fest. Aber ich sehe mit einer gewissen Freude und Genugtuung, dass die Diskussion weniger dogmatisch geworden ist. Und auch wenn die Schuldenbremse nicht reformiert wird, gibt es zumindest noch andere Möglichkeiten - etwa über Extrahaushalte -, um Mittel für notwendige Investitionen lockerzumachen. Diese Wege werden immerhin auch bereits ausgelotet.
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