Pfeifen, um besser in der Gesellschaft anzukommen

Nach guten Erfahrungen bildet der Berliner Fußball-Verband wieder Geflüchtete zu Schiedsrichtern aus

  • Thomas Flehmer
  • Lesedauer: 3 Min.

Auf der Beamerleinwand berührt ein Fußball gerade noch die Aus-Linie. »Ist das Aus oder ist der Ball noch drin?«, fragt Schulungsleiter Ülver Sava die angehenden Schiedsrichter im Berliner Haus des Fußballs bei der ersten Einheit. Die 14 Teilnehmer sind sich einig und würden als Unparteiische das Spiel weiterlaufen lassen. In ihrer neuen Heimat Berlin wollen die Flüchtlinge als Schiedsrichter auf den Fußballplätzen für Gerechtigkeit sorgen.

»Zu unseren Spielen kam selten ein Schiedsrichter, dann stellte die gegnerische Mannschaft den Schiri und wir fühlten uns manchmal benachteiligt«, begründet Khaled seine Teilnahme an dem Schiedsrichterlehrgang, der bis Mitte Januar andauert. Der 16-Jährige kam vor sechs Jahren aus Afghanistan in die deutsche Hauptstadt, besucht mittlerweile die elfte Klasse des Sartre-Gymnasiums und spielt für Rot-Weiß Hellersdorf Fußball.

Khaled ist der jüngste Teilnehmer des Kurses, den der Berliner Fußball-Verband (BFV) bereits zum zweiten Mal anbietet. Beim ersten Lehrgang nahmen 13 Flüchtlinge teil, »zehn sind immer noch aktiv, zwei weitere arbeiten bei sozialen Projekten rund um den Fußball mit«, sagt Karlos El-Khatib, Leiter des Projektes »Fußball Grenzenlos«, in dem der Schiedsrichterlehrgang integriert ist. Einige Teilnehmer sind über die seit 2016 angebotenen Trainerlehrgänge für Flüchtlinge auf die neue Schulung zum Unparteiischen aufmerksam geworden. Wie Murtuza. Der 32-Jährige, der seit 2016 über die Erstaufnahmeeinrichtung in Wünsdorf und über Herzberg nun in Forst gelandet ist, habe schon in den diversen Camps auf der Flucht immer mit anderen Leidensgenossen Fußball gespielt.

In der Lausitz hat er vor zwei Jahren eine eigene Mannschaft gegründet: Die Lausitzer Löwen. »Ich hoffe, dass wir bald mit unserem Team in die Kreisliga aufgenommen werden«, sagt Murtuza. Da die Mannschaft dafür aber einen Schiedsrichter abstellen muss, nimmt Murtuza die elf Seminartermine auf sich und fährt mit dem Auto für die vier Stunden nach Berlin und wieder zurück. »Ich will immer lernen, immer weiter lernen«, sagt der Afghane.

Lernen wollen auch die zwölf anderen Teilnehmer, die durch die Bank gut bis sehr gut deutsch sprechen. Zwar hat El-Khatib zu Beginn des Kurses zwei Dolmetscher bestellt, einen für Arabisch, einen weiteren Dolmetscher für Dari, einer Variante der in Afghanistan verwendeten persischen Sprache. Doch El-Khatib wird die beiden Dolmetscher demnächst nicht mehr anrufen: »Eigentlich brauchen wir sie nicht, vor allem die Afghanen sprechen gut Deutsch.«

Der Lerneifer der angehenden Schiedsrichter steckt auch die beiden Lehrgangsleiter Ülver Sava und Stefan Schumacher an, die schon den ersten Lehrgang geleitet hatten. »Ich habe das Gefühl, es ist ein besonderer Lehrgang«, sagt Schumacher, zuständig für die Koordination und Durchführung der Schiedsrichter-Anfängerkurse beim BFV. Bereits nach dem ersten Lehrgang für die Flüchtlinge sei er »mit einem schönen Gefühl nach Hause gefahren«.

Dass es auf den Fußballplätzen immer wieder auch zu gewalttätigen Handgreiflichkeiten gegen Schiedsrichter kommen kann, haben die Flüchtlinge im Blick. Khaled hat »schon etwas Angst«. Doch Schumacher verspricht, dass jeder neue Schiri in den ersten Spielen nicht allein sein wird. Murtuza erzählt, dass er mit seiner Mannschaft seit zwei Jahren in Brandenburg gegen andere Teams gespielt hat. »Es hat nie Ärger gegeben«, sagt er.

Die Schiedsrichteranwärter erhoffen sich Kommunikation auf dem Platz mit anderen - egal, ob deutsch oder nicht deutsch. Sie wollen mehr ankommen in der Gesellschaft. Viele von ihnen leben noch im Lager. Khaled hat das Glück, dass er mit der insgesamt sechsköpfigen Familie eine Drei-Zimmer-Wohnung bewohnen kann. »Das ist immer noch besser als das Lager«, sagt er. Murtuza hat schon eine Stellung als Hausmeister in einer Kita in Forst. »Es geht darum, ein Teil zu sein vom Ganzen, als nur am Rand zu stehen«, sagt El-Khatib, »halt die Motivation wie andere Schiedsrichter sie auch haben.« dpa/nd

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