Er war ein guter Lehrer

Nachruf auf Hermann L. Gremliza

  • Gerhard Henschel
  • Lesedauer: 4 Min.

Bitte bedrängt uns weiter!« Mit diesen Worten ermunterte Willy Brandt anläßlich des fünfzigsten Geburtstags von Günter Grass im Oktober 1977 die »kritischen Freunde« der SPD zu weiteren Zwischenrufen. In »konkret« merkte Hermann L. Gremliza dazu an: »Wir machen dann zwar doch, was wir wollen: Zensur, Kontaktsperre und Berufsverbot. Aber ihr gebt uns das schöne Gefühl, dass wir dabei leiden. Wie sagte der sächsische Masochist: Gratz misch, beiß misch, gib mir wilde Diernamen - sag’Ildis!«

So elegant und erheiternd öffnete er einem die Augen, wenn man das Glück hatte, als junges Landei in den späten siebziger Jahren auf »konkret« zu stoßen. Nach Gremlizas Tod hat die Journalistin Elke Wittich getwittert: »Und da wohnte man als Teenie in irgendeiner Provinz und fand das alles nicht richtig, was passierte und dachte so lange, dass man damit fast ganz allein ist und dann entdeckte man konkret. Was ein Glück, dass es Hermann L. Gremliza gab«.

Seine sprachkritischen Glossen wirkten als Impfstoff gegen Phrasen aus allen politischen Lagern; auch aus dem eigenen. Nachdem der kommunistische Dichter Peter Schütt 1978 mit der Behauptung hervorgetreten war, dass er in Moskau auf dem Roten Platz in der Empfangshalle des Weltproletariats eine stumme Zwiesprache mit dem Genossen Lenin gehalten habe, bescheinigte Gremliza ihm die Verwendung von »lügenden Adjektiven und verlogenen Bildern eines halbbildungsbürgerlichen Sprachmülls«. Manche »konkret«-Leser hielten diese Polemik damals für einen Verrat an der guten Sache, aber während Gremliza sich treu blieb, konnte man einige Jahre später verfolgen, wie der Genosse Schütt sich vom Weltproletariat abwandte und seine Neigung zum Islam entdeckte.

Als Herausgeber von »konkret« schreckte Gremliza im Laufe der Jahre noch viele Abonnenten ab: 1987 die Sozialromantiker, die Günter Wallraff verehrten, 1988 mit der Kolumne »2000 Jahre sind genug« die Christen und 1991 die Pazifisten, weil er geschrieben hatte, »dass der Irak der Fähigkeit beraubt werden muss, Israel - wie von Saddam angekündigt - anzugreifen und zu liquidieren«. Den kriegführenden Parteien wird es zwar vollkommen gleichgültig gewesen sein, wie ihre Entscheidungen von dem Herausgeber und den Autoren eines kleinen Magazins in Hamburg bewertet wurden, aber innerhalb der Linken tobte daraufhin ein Sturm im Wasserglas.

Die Angriffslust, mit der Gremliza solche Kontroversen auslöste, und die Geduld, mit der er ihre Folgen ertrug, sind ebenso bewundernswert wie seine bis ins hohe Alter bewahrte Spottlust, wobei es gar nicht darauf ankommt, ob man ihm in jedem Fall zustimmt. Auch bei Karl Kraus und Kurt Tucholsky, die er geschätzt und in deren Tradition er gestanden hat, kam es nicht auf die möglicherweise von Tag zu Tag wechselnde Meinung an, sondern auf die grundsätzliche Haltung, für die ein stabiles Rückgrat erforderlich war.

Man hat Gremliza oft der Rechthaberei bezichtigt, doch er spielte sich nicht als Doktor Allwissend auf. 2014 fragte ihn in »konkret« der Sexualforscher Volkmar Sigusch: »Was wird nach der kapitalistischen Gesellschaftsform kommen? Zum Beispiel eine kriminogene ohne allgemeinen Fetischismus, wie sie sich bereits in diversen Ländern des so genannten Ostens und Westens abzeichnet?« Worauf Gremliza erwiderte: »Ich sag es ungern - aber: Ich weiß es wirklich nicht.« Als ich das las, musste ich wieder lachen. Woher hätte Gremliza denn auch wissen sollen, was nach der kapitalistischen Gesellschaftsform kommen werde?

Am 20. Dezember 2019 ist er gestorben, und was ich mir jetzt wünsche, ist eine Gesamtausgabe seiner Werke. Für die Autoren meiner Generation war er ein guter Lehrer, den man auch einmal einen Flummi an den Kopf werfen durfte, ohne einen Eintrag ins Klassenbuch befürchten zu müssen.

Im übrigen erlasse ich hiermit offiziell ein bis einschließlich Dezember 2039 gültiges Sterbeverbot, das für meinen gesamten Bekanntenkreis gilt. Horst Tomayer, Harry Rowohlt, Michael Rutschky, Kurt Scheel, Brigitte Kronauer, F. W. Bernstein, Wiglaf Droste und Hermann L. Gremliza sind bereits ohne Rücksprache mit mir verstorben.

Zuwiderhandlungen gegen meinen Erlaß sind künftig mit empfindlichen Geldstrafen bewehrt.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Vielen Dank!