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Hacker diskutieren Nachhaltigkeit
Auf dem 36. Chaos Communication Congress trafen sich in Leipzig rund 17 000 IT-Experten und Aktivisten
Bunte Lichter und grelle Bildschirme flackern aller paar Meter auf, verschaffen Orientierung und Ablenkung. Helfer ziehen ein mobiles Bällebad durch die dunkle Messehalle in Leipzig, die darin liegenden drei Erwachsenen bewerfen sich gegenseitig. Knapp neben ihnen bewegen sich Performance-Künstler mit Masken zu den Geräuschen umherwuselnder Besucher. Wieder ein paar Meter weiter sitzen Jugendliche an einem Tisch und üben das Knacken von Vorhängeschlössern, während sich am Nachbarstand einige einen »nichtamtlichen Lichtbildausweis« erstellen. Es ist der 36. Chaos Communication Congress, kurz »36C3«.
Bereits zum dritten Mal veranstaltet der Chaos Computer Club (CCC) sein Treffen von Aktivisten, Hackern und Technikexperten in der sächsischen Messestadt. Die Veranstalter rechnen mit rund 17 000 Teilnehmern bei der viertägigen Veranstaltung, halb Konferenz und halb Party. Rund 120 Vorträge stehen von Freitag bis Montag auf dem Programm. Das diesjährige Motto lautet »Resource Exhaustion« (Ressourcenerschöpfung). Es spielt einerseits auf eine Angriffsmethode auf IT-Systeme an, anderseits auf den persönlichen sowie gesellschaftlichen Umgang mit Ressourcen. Nachhaltigkeit im umfassenden Sinne steht im Zentrum der diesjährigen Konferenz.
Die Bedeutung der Klimadebatte zeigte sich unter anderem an der Anwesenheit der Bewegungen Fridays for Future und Extinction Rebellion, deren Vertreter Vorträge hielten. In einer Messehalle konnten Kinder auf einem Turm mit »Hambi bleibt«-Fahne klettern üben. Über ihnen erklärte ein Transparent: »Der größte Klimasünder ist die Industrie - und die hat Netzwerke und IP-Adressen.« Parallel wurde über die Nachhaltigkeit von technischer Infrastruktur und Software diskutiert.
Die thematische Breite der Vorträge war darüber hinaus divers. Die CCC-Sprecherin Constanze Kurz gab etwa einen Überblick über Verfahren und Urteile bezüglich der Massenüberwachung durch Geheimdienste in Europa. »Die Kontrolle ist in Deutschland sehr mangelhaft, dadurch kommt es immer wieder zu Rechtsbrüchen«, sagte die Informatikerin. Bezüglich der juristischen Möglichkeiten warnte sie: »Urteile sind keine Selbstläufer, die Ignoranz in der Gesellschaft ist bei dem Thema groß geworden.«
Die Journalistin Katharin Tai sprach über die Proteste in Hongkong und gab einen Überblick über Strategien, Ziele und Organisierungsmethoden der Demonstranten. Dezentrale Entscheidungsstrukturen via Messengernetzwerken sowie eine effiziente Arbeitsteilung seien ihrer Meinung nach essenziell für die Stärke der Bewegung.
Linus Neumann und Thorsten Schröder vom CCC hatten wiederum 28 Überwachungsprogramme analysiert und Hinweise im Code gefunden, dass sie von dem britisch-deutschen Hersteller Finfisher stammen könnten. Gegen die Firma ermittelt die Staatsanwaltschaft München, nachdem 2017 in der Türkei gegen Oppositionelle vermutlich eine Überwachungssoftware aus ihrer Feder eingesetzt wurde.
Ein besonderes Highlight war der 30. Geburtstag der »Haecksen«, ein Zusammenschluss von weiblichen Hackerinnen. Bei ihrem Treffpunkt auf dem Kongress gab es Sprechtrainings, »Pseudo-Yoga«, Informationen zu Feminiziden und Hexenverbrennungen sowie einen Workshop zu sexueller Belästigung am Arbeitsplatz. Postkarten zu weiblichen Programmiervorbildern wie Ada Lovelace, Margaret Hamilton oder Adele Goldberg stießen auf reges Interesse. Die Aktivistin Agnes erklärte beim Vereinsjahresrückblick, dass es mittlerweile rund 300 organisierte »Haecksen« gebe, alleine im vergangenen Jahr seien 100 neue dazu gekommen. »Wir sind aber immer noch nicht so weit, dass wir ein 50/50-Verhältnis haben«, kritisierte sie. Der Männeranteil auf dem diesjährigen CCC betrug etwa 70 Prozent.
Nach Debatten im vergangenen Jahr um die politische Ausrichtung des Kongresses sind die Veranstalter auch dieses Mal erneut deutlich geworden. »Wer es darauf anlegt, das Zusammenleben in dieser Gesellschaft zu zerstören (...), arbeitet gegen die moralischen Grundsätze, die uns als Club verbinden«, stand auf einem Transparent über dem Eingang. Mehrere Antifa-Fahnen waren auf dem Gelände zu sehen, zahlreiche Vorträge sprachen für sich. Auch auf dem 36. Kongress bleibt sich der Verein seinen progressiven Idealen treu. Die Leipziger Linksfraktion wünscht sich eine lokale Förderung, um den Hackertreff langfristig in der Messestadt zu halten.
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