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  • Demokratieversammlung im Olympiastadion

Nazis Willkommen?

Unklare Äußerung des Veranstalters des geplanten »Klima- und Demokratieevents« im Berliner Olympiastadion sorgt für Aufregung im Netz

  • Vanessa Fischer
  • Lesedauer: 4 Min.

»Alle sind willkommen, auch Nazis?«, fragt Tilo Jung, der bekannt dafür ist, naive Fragen zu stellen und damit auch medienerfahrene Politiker*innen aus der Reserve zu locken. »Jung&Naiv« heißt sein Interview-Format, in dem er »einen Durchschnittsahnungslosen auf dem intellektuellen Niveau eines 14-Jährigen« mimt.

In der 450. Folge stellt er dem Firmengründer des Start-up-Unternehmens »Einhorn«, Philip Siefer, seine naiven Fragen. Im Juni will dieser das »Klima- und Demokratieevent« #12062020 im Berliner Olympiastadion auf die Beine stellen. Siefers Antwort, dass dort auch Nazis willkommen seien, »wenn die sich konstruktiv an der Lösung der Probleme beteiligen möchten«, setzt jedoch sowohl das Unternehmen als auch die Veranstaltung massiver öffentlicher Kritik aus.

Das Unternehmen »Einhorn« hat Siefer 2015 zusammen mit Waldemar Zeiler gegründet. Beide tragen Hipster-Bart. Beide glauben, dass sie die Welt mit ihren veganen und nachhaltigen Kondomen und Bio-Menstruationsprodukten ein bisschen besser machen können. »Unfuck the world« nennen sie das bei einem Event, das im Juli des vergangenen Jahres in Berlin stattgefunden hat.

Für den 12. Juni 2020 haben sie nun eine weitere Veranstaltung geplant: 90.000 Menschen sollen dann im Berliner Olympiastadion zusammenkommen, um eine »Party der Demokratie zu feiern«, sagt Siefers im Interview mit Jung. »Wir werden die Probleme unserer Zeit besprechen, Wissenschaftler*innen eine Bühne geben und uns vernetzen«, heißt es auf der offiziellen Internetseite der Veranstaltung. Mit zahlreichen Petitionen wollen sie »das Unmögliche möglich« machen: Mit der Masse an Menschen das Quorum von 50.000 Unterschriften auf einen Schlag erreichen. Ab dieser Anzahl muss sich der Petitionsausschuss des Bundestags in einer öffentlichen Anhörung mit einer Petition befassen.

Ein Demokratieevent vor Nazikulisse?

Doch bereits kurz nach Bekanntgabe des Vorhabens Ende November hatte es Kritik gehagelt. In den sozialen Medien hatten sich zahlreiche User*innen über die Wahl des Veranstaltungsortes lustig gemacht: Die Sportstätte war von den Nazis für die Olympischen Spiele 1936 gebaut worden.

Und auch das Promovideo, in dem neben den Einhorn-Gründern Zeiler und Siefer auch die Autorin Charlotte Roche und Fridays-for-Future-Aktivistin Luisa Neubauer zu sehen sind, war in die Kritik geraten: Dass die »Lösung für die größte Krise der Menschheit« auf der Crowdfunding-Seite – so wörtlich – für 29,95 Euro »zu kaufen« sei, bezeichneten viele als »neoliberalen Quatsch«. Laut Veranstaltern seien 1,8 Millionen Euro für das eintägige Event nötig: inklusive Miete, Veranstaltungstechnik und Sicherheitspersonal. Die Veranstaltung sei ein Hipster-Event für eine weiße Mittelstandsblase, entgegneten Kritiker unter dem Hashtag #noOlympia auf Twitter.

Einzelne Ortsgruppen der »Fridays-for-Future«-Bewegung, die zunächst als offizieller Projektpartner der Veranstaltung geführt worden war, distanzierten sich daraufhin von dem Event. So schrieb etwa »Fridays for Future« aus Göttingen auf dem Kurznachrichtendienst: »Wir sind dagegen, Fridays-for-Future, Klimagerechtigkeitsaktivismus oder Demokratie zum Produkt oder Werbeevent zu machen.« Mittlerweile ist auf der Crowdfundingseite des Events nur noch die Berliner Sektion von »Fridays for Future« aufgeführt.

An Heiligabend waren die 1,8 Millionen Euro trotz aller Kritik doch zusammengekommen. Ob das Event nun trotz des Interviews stattfindet, ist unklar. In den sozialen Medien stellte das Unternehmen am Sonntagabend zwar auf Twitter klar: »Wir wollen keine Nazis. Es kommen keine Nazis.« Berechtigte Kritik konnte dieses Statement aber nicht mehr aufhalten. »Die konstruktive Lösung von Nazis ist das Auslöschen von Leben«, schrieb eine Twitter-Nutzerin. Andere machten deutlich, dass viele Menschen nicht sicher sein werden, sollten Nazis ins Olympia-Stadion kommen: BPoC, Frauen, Trans*-Personen.

Inzwischen hat sich auch Luisa Neubauer auf Twitter von Siefers Äußerung distanziert. Der pocht nach wie vor darauf, sich ungünstig ausgedrückt zu haben: »Nazis sind Rassisten. Wenn man also sagt, Nazis, die nicht rassistisch sind, dürfen kommen. Dann dürfen keine Nazis kommen. Nächstes mal kürze ich mit Nein ab.« Eins ist jedoch sicher: Wer so unüberlegt über Nazis spricht, hat sich mit Rassismus noch nie wirklich auseinandersetzen müssen. Das ist allemal ein Privileg.

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