- Kultur
- Schokolade
Weihnachten vorbei, Pralinen sind alle
Adrian Schulz über einen nachweihnachtlichen Gedankenfilz
Ich fresse gerade die letzte »Merci«-Praline von Weihnachten und lese auf Twitter einen Satz aus einer Rezension des »Spiegel«-Redakteurs Takis Würger, der dem »parataktischen Bum-Bum-Stil« (»FAZ«) seines Journalistenschultums ausnahmsweise nicht entspricht, aber trotzdem toll ist: »Eine Reporterin schmeißt ihre Protagonisten in die Wurstmaschine, ob sie will oder nicht, weil die Wurstmaschine der einzige Weg zu einer Reportage ist.«
»Merci, dass es dich gibt«, möchte ich ihm nur zurufen, denn zufällig habe ich vor einer Stunde ein veganes Wurstmaschinen-Start-up gegründet, mit dem ich Journalismus, Wurst, Vollbärte, Vollmond, Start-ups, Twitter und den Planeten wieder in Reinklang bringen und noch besser machen werde. Moment, mein Assistent Herr Sammelramms bestätigt mir in dieser Minute, dass es doch »Einklang« heißen muss, wer konnte das ahnen, und zack, jetzt ist aber wirklich die allerletzte »Merci«-Praline aufgefressen, und das Papier gleich mit, verflucht, verflucht!
Einen Assistenten hätte ich wirklich gerne oder einen Privatsekretär. Dann würde ich den ganzen Tag lang alte Süßigkeitenwerbung schauen und Fünfjahrespläne studieren, um den Shareholder Value für die lieben Kinder zu maximieren. Aber das mache ich ja auch so schon - mal wieder das Scheißsystem überlistet! So einfach ist Kommunismus.
Und dann will ich das Altpapier rausbringen und die Tüte reißt, der ganze falsch getrennte Nudelsalat fällt heraus und mein Fußboden ist dreckig, womöglich geht der Feueralarm an, und der Pilznotruf will auch noch ein Wörtchen mitreden, wenn er schon mal existiert. In solchen Momenten wünsche ich mir wiederum einen Privatsekretär und denke: Wenn nur jede*r der*die Privatsekretär*in der*des Nächsten sein könnte, wäre das nicht noch mehr Kommunismus? Für andere - nicht beliebig viele, aber vielleicht eine*n oder zwei - aufzuräumen, bereitet nämlich viel mehr Spaß, als das für sich selbst zu tun. Bei anderen weiß man gleich viel besser, was sie wie am besten machen sollten. Und wenn für einen selbst dabei auch noch aufgeräumt würde, könnte man sich nach getaner Arbeit ins gemachte Bett legen und die gelegten Eier auf die geschaukelten Pferde aufzäumen.
Überdies könnte jede*r ihren*seinen Mitmenschen noch gut bezahlte Jobs bei der Frankfurter Arbeiterwohlfahrt besorgen, einfach aus Nettigkeit. Die hat ja schließlich schier unbegrenzt viele zu vergeben, und nach der SPD-Filzaffäre sind wohl ein paar davon freigeworden. Selbst ich, ein unbekannter Gossenschreiberling, der seinen Dorsch lieber gekocht als gebügelt verzehrt, habe schon unbeabsichtigterweise ein dreiviertelstündiges Telefonat mit Oberbürgermeister Peter Feldmann an die Backe geschwatzt bekommen, an dessen Ende dieser mir »jegliche finanzielle Unterstützung« für Presseveranstaltungen über das neue Demokratiezentrum in der Frankfurter Innenstadt zusicherte.
Ob Nazis dort auch mitmachen dürfen, habe ich nicht gefragt. Aber das dürfen sie ja sowieso überall. Für genug Süßigkeiten jedenfalls dürfte gesorgt sein, denke ich mal.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.