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Die Sorge um Trumps Unberechenbarkeit
Der US-Präsident macht es Gegnern und Beobachtern schwer, ihm seine Versprechungen abzukaufen
Seit Iran in der Nacht zu Mittwoch zwei Dutzend Raketenangriffe auf zwei US-Militärstützpunkte in Irak flog, richten sich alle Augen auf Donald Trump und die Frage: Wie wird der Präsident der USA, der ja auch Oberbefehlshaber der Streitkräfte ist - manch Amerikaner nennt ihn wegen seiner Verfasstheit den obersten Sprengkopf der Nation - antworten? Und gleitet der Mittlere Osten in einen Krieg? Bei Redaktionsschluss dieser Seite stand die Antwort aus.
Teherans nächtliche Vergeltungsaktion verdeutlicht, dass Trumps Befehl zur Tötung des iranischen Generals Qassem Soleimani de facto bereits einer Kriegserklärung glich. Dabei ist unerheblich, dass der Präsident nach dem Tötungsbefehl beteuerte, keinen Krieg gegen Teheran zu wollen. Es war nicht das erste Mal, dass Trumps tönende Absichten ihren ernüchternden Ergebnissen gegenüberstehen. Bruce Ackerman, Professor für Recht und Politikwissenschaft an der Yale University in Connecticut, sah in einer Reaktion auf Trumps freihändige Lizenz zu töten einen neuerlichen Machtmissbrauch. Er sei so schwerwiegend, dass er als dritter Anklage-Artikel in das Impeachment-Verfahren im Kongress aufgenommen zu werden verdiene. Der Präsident steht schon wegen »Machtmissbrauchs« und »Behinderung des Kongresses« in der sogenannten Ukraine-Affäre unter Druck.
Die US-Verfassung räume dem Kongress, nicht dem Präsidenten, die Befugnis ein, »Krieg zu erklären«, erklärte Ackerman gegenüber »nd«.
Mehr noch, die War Powers Resolution, ein Gesetz zur Regelung des Einsatzes bewaffneter Streitkräfte durch den Präsidenten, das 1973 gegen das Veto Richard Nixons verabschiedet wurde, ziehe einer einseitigen präsidentiellen Kriegserklärung enge Grenzen. Es verlange von ihm vor dem Schritt in den Krieg, »sich in jeder nur möglichen Form mit dem Kongress zu konsultieren«. Trump habe es jedoch abgelehnt, der Sprecherin des Abgeordnetenhauses, Nancy Pelosi, mitzuteilen, dass er die schicksalhafte Entscheidung zur Tötung Soleimanis erwäge, obwohl der War Powers Act den Sprecher beziehungsweise die Sprecherin des Abgeordnetenhauses als offizielle Instanz zum Empfang seiner Berichte ausdrücklich bestimmt. Da Trump sich, so Ackerman weiter, die Zeit genommen habe, sowohl seine engen Berater als auch führende Republikaner zu konsultieren, habe er gezeigt, dass es absolut »möglich« gewesen wäre, auch Pelosi einzubeziehen. Mit anderen Worten, der Präsident habe sich »sehenden Auges geweigert, dem Gesetz zu gehorchen. Bereits diese Willkür kennzeichnet die Tötung Soleimanis durch Trump als gesetzlosen Machtmissbrauch.« Der Experte aus Yale fügte hinzu: »Machen wir uns nichts vor: Gemäß Völkerrecht befinden sich die Vereinigten Staaten jetzt tatsächlich im Krieg mit Iran. Einen hohen Beamten einer ausländischen Regierung zu töten ist nach internationalem Recht und Charta der Vereinten Nationen eine Kriegshandlung.«
In einem anderen Punkt, Trumps Ankündigung, die USA würden im Fall iranischer Racheakte auf Soleimanis Tötung 52 iranische Ziele, darunter antike Kulturstätten, angreifen, kam es nach der Tötung des Generals zum öffentlichen Dissens zwischen Präsident und Verteidigungsministerium.
US-Verteidigungsminister Mark Esper stellte Montagabend vor Medien im Pentagon klar, das US-Militär werde keine Kulturdenkmäler in Iran ins Fadenkreuz nehmen, selbst wenn die Feindseligkeiten zunehmen sollten. Der Dissens offenbarte den Präsidenten einmal mehr als Staatsmann populistischer Aufwallung, historischer Ignoranz und strategischer Planlosigkeit - Eigenschaften, die für sich gesehen Sicherheit gefährden. Trumps Drohung, vor Kulturerbe nicht Halt zu machen, steht im Widerspruch zur »Haager Konvention zum Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten«. Diese war 1954 als völkerrechtlicher Vertrag auch auf Initiative der USA als Teil des humanitären Völkerrechts geschlossen worden.
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Donald Trump, diese Behauptung ist risikolos, wird sie nicht kennen. Seine kosmische Ichbezogenheit ist ihm, erklärtermaßen, Welt- und Geschichtskenntnis genug. Insider betonen seit Langem, dass er wenig über die Welt weiß. Verschärft wird dies durch eine Besonderheit, die die britischen Historiker Brendan Simms und Charlie Laderman in »Wir hätten gewarnt sein können« schon vor Jahren hervorhoben. Trumps »Vorliebe dafür, zu jeder Tages- und Nachtzeit spontane Tweets zu versenden, stört den interministeriellen Prozess, den präsidiale Verlautbarungen normalerweise durchlaufen, und droht Krisen hervorzurufen«, so die Autoren.
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