- Politik
- Flugzeugabsturz in Iran
Tor-Raketen und die »große Tragödie«
Irans Generalstab versucht, den versehentlichen Abschuss eines ukrainischen Passagierflugzeuges zu erklären
Bei dem Absturz von Flug PS752 waren am 8. Januar alle 176 Menschen an Bord ums Leben gekommen. Bereits kurz nach der Tragödie war der begründete Verdacht aufgekommen, dass die Passagiermaschine vom Typ B 737-800 von der iranischen Luftabwehr abgeschossen wurde. Die politisch Verantwortlichen in Teheran leugneten jedoch die Tat auch noch, nachdem US-Präsident Donald Trump angedeutet hatte, man wisse, dass da »jemand« einen schrecklichen Fehler gemacht habe. Zu dem Zeitpunkt war bereits klar, dass die US-Aufklärung über Beweise für den Start von zwei Luftabwehrraketen namens »Tor« in unmittelbarer Nähe des Teheraner Flughafens verfügte.
Als erster Politiker sprach Kanadas Premier Justin Trudeau über den Verdacht, Iran trage die Schuld am Tod der Flugzeuginsassen, von denen zahlreiche einen kanadischen Pass besitzen. Doch Teheran blieb bei seiner - für Fachleute abstrusen - Aussage, die Maschine habe technische Probleme gehabt. Behauptet wurde, dass ein Triebwerk gebrannt habe. Die These eines Raketenangriffes wies man als »wissenschaftlich nicht möglich« zurück. Dabei ging man wohl davon aus, dass die USA ihre Satellitenbilder sowie sonstige elektronische Aufzeichnungen nicht öffentlich machen würden, um ihre Aufklärungsmöglichkeiten geheim zu halten. Doch dann tauchte ein privates Video auf, das keinen Zweifel mehr an einem Raketenabschuss zuließ.
Iran entschied sich am Samstag für die Flucht nach vorn. In einer Erklärung drückte der Generalstab »den Hinterbliebenen der iranischen und ausländischen Opfer sein Beileid sowie sein Mitgefühl aus und entschuldigt sich für das menschliche Versagen«. Zudem wurde versucht zu erklären, wie es zu dem Unglück kommen konnte. Dabei wurde insbesondere die USA in Mithaftung genommen. »Nach den Drohungen des Präsidenten und der militärischen Kommandeure der kriminellen Vereinigten Staaten ..., viele Positionen innerhalb des Territoriums der Islamischen Republik Iran anzugreifen, sowie in Anbetracht der beispiellosen Zunahme von Luftbewegungen in der Region« hätten sich die Streitkräfte in höchster Alarmbereitschaft befunden.
Es wurde auch Bezug auf den Raketenangriff Irans auf den von US-Truppen genutzten irakischen Militärstützpunkt ain al-Assad genommen. Der Angriff war die - international als maßvoll empfundene, weil zuvor angekündigte - Reaktion auf die von Trump befohlene Tötung des iranischen Generals Qassem Soleimani am 3. Januar in der irakischen Hauptstadt Bagdad.
Nach dem Einschlag der eigenen Raketen erwartete man in Teheran eine militärische Antwort der USA. Das es die nicht gab, wusste man jedoch noch nicht, als sich die gerade in Teheran gestartete Boeing »einem sensiblen Militärgelände des IRGC« (gemeint sind die Revolutionswächter) näherte und dabei »die Form und Höhe eines feindlichen Ziels« annahm.
Die Erklärung der iranischen Militärs ist wortreich, doch nicht detailliert. So ist bislang nur zu vermuten, dass die ukrainische Maschine von einem 9K331M1-System namens »Tor« abgeschossen wurde. 29 dieser eigentlich zum Objektschutz oder zur Begleitung von Bodentruppen von Russland gebauten Systeme sind seit Januar 2018 in Iran einsatzbereit. Da auch das NATO-Land Griechenland über solche Systeme verfügt, kennen die Mitglieder der Allianz dessen spezifische Radarsignatur. Daher war es den USA möglich, den unmittelbar Schuldigen schnell zu identifizieren.
Vergleiche zum Abschuss des Fluges MH 17 im Jahr 2014 über der Ostukraine durch eine BUK-Rakete drängen sich auf. Auch Tor-Raketen sind in der Regel mit keinem Luftverteidigungssystem vernetzt. Antwortet ein vom Tor-Radar erfasstes Fluggerät nicht auf die automatische Freund-Feind-Anfrage, wird es unmittelbar als gegnerisch, also potenziell gefährlich eingestuft. Eine Abfrage von Transpondersignalen, wie sie zivile Maschinen abstrahlen, ist nicht vorgesehen, da in einem »normalen Krieg« solche »Ziele« nicht in der Luft sind.
Irans Generalstab versichert zwar, dass er »die operationellen Verfahren seiner Streitkräfte umfassend revidieren wird, um eine Wiederholung solcher Fehler unmöglich zu machen«, doch das ist schon aus militärtaktischen Gründen unmöglich.
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