- Politik
- Iran in der Krise
Irans Flucht vor der Verantwortung
Der Umgang der Regierung mit dem Abschuss des Passagierflugs über Teheran dürfte das Volk kaum beruhigen
»Der Regierung wurden Vertuschung und Lügen vorgeworfen, aber dies war wirklich nicht der Fall«, verkündete der iranische Regierungssprecher Ali Rabiei am Montag. Damit angesprochen waren wohl vor allem die Tausenden Iraner, die nun am dritten Tag in Folge auf die Straße gegangen sind und den Rücktritt der Regierungsbeamten fordern, die sie für den Abschuss des Passagierflugzeugs verantwortlich machen. Die Maschine der Ukraine International Airlines mit 176 Menschen an Bord war am Mittwoch kurz nach dem Start in Teheran abgestürzt, alle Insassen starben.
Nachdem die Behörden in den Tagen zuvor von einem technischen Defekt gesprochen hatten, gestand Iran am Samstag den versehentlichen Abschuss der Maschine. Bereits zwei Tage nach dem Absturz waren Bilder im Internet aufgetaucht, auf denen die Überreste eine Rakete aus russischer Produktion zu sehen waren. Nach und nach verdichteten sich die Hinweise auf einen Abschuss.
Doch die erste Presseerklärung, in der von einem technischen Fehler die Rede war, sei direkt nach der Bestätigung des Absturzes veröffentlicht worden, sagte der Sprecher. Selbst Präsident Hassan Ruhani habe erst zwei Tage nach dem Vorfall vom Sicherheitsrat die entsprechenden Fakten zum Abschuss mitgeteilt bekommen, sagte Rabiei und bedauerte den Tod der Passagiere sowie verloren gegangenes Vertrauen in die Glaubwürdigkeit von Staat und Regierung. Der Regierungserklärung vom Samstag zufolge hielten die Iranischen Revolutionsgarden das Flugzeug für einen US-amerikanischen Flugkörper.
Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass die Erklärung des Regierungssprechers das Volk beruhigen wird. Die Lage im Land ist extrem angespannt. Die Menschen leiden vor allem unter der kriselnden Wirtschaft, angestoßen durch den Ausstieg der USA aus dem gemeinsamen Atomabkommen 2018 und die daraufhin verhängten Sanktionen. Bereits vor der Ermordung des Anführers der Quds-Brigaden, Qassem Soleimani, war es in Iran zu einer Protestwelle gekommen, nachdem Teheran verkündet hatte, die Benzinpreise drastisch zu erhöhen. Die Regierung hatte daraufhin das Internet abgestellt und die Proteste gewaltsam niedergeschlagen. Über 1500 Menschen sollen dabei gestorben sein, bestätigen lassen sich die Zahlen jedoch nicht.
Auch bei den aktuellen Protesten lässt sich ihre wahre Dimension kaum messen: Bis zu 3000 Menschen demonstrierten am Sonntag laut der Nachrichtenagentur ILNA in der Hauptstadt. Zugleich sind die Berichte über den Umgang der Regierung mit dem Demonstrationen höchst widersprüchlich: Laut offizieller Seite habe die Polizei sich in Bezug auf die Proteste in »Geduld und Toleranz« geübt, erklärte Polizeigeneral Hossein Rahimi am Montag. Die Polizei habe »überhaupt nicht geschossen«, weil sie einen »Befehl zur Zurückhaltung« bekommen habe. Gleichzeitig kursierten Videos im Internet, auf denen zu sehen ist, wie Polizisten brutal gegen Demonstranten vorgehen. Bilder von blutverschmierten Straßen sollen jene Berichte unterlegen, die unter anderem der britischen Zeitung »The Guardian« zugespielt wurden. Danach sollen Sicherheitskräfte mit scharfer Munition in die Menge geschossen haben, um die Proteste aufzulösen.
Der ermordete General Qassem Soleimani war für den Aufbau eines Netzwerks pro-iranischer Milizen in der Region verantwortlich, unter anderem im Nachbarland Irak sowie in Syrien. An den Beziehung zwischen den beiden Länder wird sich wohl auch nach seinem Tod wenig ändern: Am Montag reiste der syrische Premierminister, Imad Khamis, nach Teheran, um über die Kooperation beider Länder zu sprechen. Iran unterstützt im Syrienkrieg den Präsidenten Baschar Al-Assad.
Derweil wächst auch in Europa die Angst vor einem Krieg. Am Montag hatte die europäische Flugsicherheitsbehörde EASA ihre Empfehlungen für Flüge über Iran verschärft. Flüge in jeder Höhe sollten vermieden werden, sagte ein Sprecher der EU-Kommission am Montag in Brüssel. Dies sei eine Vorsichtsmaßnahme, die die EASA in Absprache mit der Kommission vorgeschlagen habe. Bereits am Freitag hatte sich die EASA gegen Flüge in einer Höhe von weniger als 7500 Meter über Iran ausgesprochen. Im Laufe dieser Woche werde man die Situation neu bewerten. Am Montag reiste zudem der deutsche Außenminister Heiko Maas anlässlich einer drohenden militärischen Eskalation in der Region nach Jordanien. Dort sind rund 300 deutsche Soldaten im Rahmen der US-geführten Anti-IS-Koalition stationiert. Maas warnte vor einer Eskalation in der Region und bekräftigte sein Zusage, deutsche Truppen aus dem Nachbarland Irak abzuziehen, sollte die Regierung den endgültigen Beschluss fassen. Trotzdem wurden die zuvor ausgesetzten Aufklärungsflüge der Bundeswehr vorerst wieder aufgenommen. Mit Agenturen
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.