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Auf der Feindesliste

LINKE-Politikerin im Visier des Hauptverdächtigen der rechten Terrorserie in Neukölln

  • Marie Frank
  • Lesedauer: 4 Min.

Nach dem Fund einer Feindesliste auf der Festplatte des Neonazis Sebastian T. mehrt sich die Kritik an den Berliner Sicherheitsbehörden. Am Montag hatte die LINKE-Abgeordnete Anne Helm auf Twitter mitgeteilt, dass sie vom LKA darüber informiert wurde, dass sie bereits seit 2013 auf einer Feindesliste des Hauptverdächtigen der rechten Terrorserie in Neukölln steht. Dieser habe auch ihre private Anschrift ausgespäht, so Helm, die Sebastian T. noch aus ihrer Zeit als Abgeordnete für die Piraten in der Bezirksverordnetenversammlung Neukölln kennt. Der mehrfach vorbestrafte T. war 2013 Bezirksvorsitzender der Neuköllner NPD.

Der Datenträger, auf dem sich laut Polizei 30 weitere Namen und Adressen befinden, war bereits im Frühjahr 2018 bei einer Hausdurchsuchung bei T. gefunden worden, konnte aber offenbar erst im Dezember entschlüsselt werden. Die »potenziell gefährdeten Personen« seien bereits darüber informiert worden, sagte ein Polizeisprecher dem »nd«. »Die weiterführende Auswertung der Daten sowie deren Abgleich dauern an und weitere, gegebenenfalls abgestufte polizeiliche Maßnahmen, wie zum Beispiel im Falle der Abgeordneten, werden initiiert«, so der Sprecher, der mit Verweis auf das laufende Verfahren keine Details nennen wollte.

Für den Neuköllner LINKE-Politiker Ferat Kocak, auf dessen Auto Anfang 2018 im Rahmen der rechten Terrorserie ein Brandanschlag verübt worden war, sind die neuen Erkenntnisse »ein Armutszeugnis der Ermittlungsbehörden«: »Die Terrorliste aus dem Jahr 2013 hätte längst ermittelt werden müssen«, sagte Kocak am Dienstag dem »nd«. Für ihn ist die Veröffentlichung dieser veralteten Informationen ein »Ablenkungsmanöver«: »Man versucht uns mit Brotkrumen ruhig zu stellen, um von dem eigentlichen Problem abzulenken. Und das liegt im Sicherheitsapparat selbst«, so Kocak.

Anne Helm, die Vorstandsmitglied der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus und Sprecherin für Strategien gegen Rechts ist, zeigte sich angesichts der neuen Erkenntnisse erleichtert. »Mich beruhigt diese Information eher. Ich habe jahrelang Ausspähung bekannter Neuköllner Neonazis wahrgenommen, die auch versuchten, Bewegungsprofile zu erstellen«, so Helm. So hätten sich etwa zwei Neonazis morgens neben sie an die Bushaltestelle gesetzt, um ihr mitzuteilen, dass sie wissen, wohin sie unterwegs ist. Helm rief alle Betroffenen dazu auf, sich bei der mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin (MBR) zu melden.

Laut MBR-Projektleiterin Bianca Klose haben sich seit Weihnachten bereits mehrere Menschen bei der Beratungsstelle gemeldet, die vom LKA darüber informiert wurden, dass sie auf der Liste stehen. Einige von ihnen seien bereits auf der bis 2012 öffentlich geführten Feindesliste des »Nationalen Widerstands Berlin« aufgetaucht und zum Opfer rechter Anschläge geworden.

Dass nun bei Sebastian T. nun ebenfalls eine solche Liste gefunden wurde, ist für Klose »wenig überraschend«: »Es gibt seit langem in Berlin ein Netzwerk von militanten, zutiefst gewaltbereiten Neonazis, die sich im Laufe der Jahre in der Sammlung von personenbezogenen Daten von engagierten Bürgern professionalisiert haben«, so Klose gegenüber »nd«. Angesichts dieser »systematischen Datensammlung« sei davon auszugehen, dass die nun bekannt gewordenen Daten nur »die Spitze des Eisbergs« seien. »Wenn Neonazis den Eindruck haben, dass sie nichts befürchten müssen, dann machen sie immer weiter, weiten ihren Aktionsradius aus und werden immer ungehemmter«, warnt sie.

Seit Mai 2016 gab es laut MBR in Neukölln 55 Angriffe von Neonazis auf antifaschistisch engagierte Personen. Neben Morddrohungen, Steinwürfen und anderen Sachbeschädigungen gab es 16 Brandanschläge, 14 davon auf Pkw. Die Generalbundesanwaltschaft lehnt es bislang ab, die Fälle als Rechtsterrorismus einzustufen und die Ermittlungen zu übernehmen. Trotz mehrerer eingerichteter Ermittlungsgruppen wurde bisher kein Täter verurteilt. Dafür kommen immer mehr »Ermittlungspannen« ans Licht.

So soll sich laut einem Observationsteam einer Sicherheitsbehörde ein Beamter des Landeskriminalamtes, der auch für polizeiliche Überwachung zuständig ist, im März 2018 mit Sebastian T. in einer Fußballkneipe getroffen haben. T. stand zu diesem Zeitpunkt bereits im Zentrum der Ermittlungen. Er war im Jahr 2016 aus dem Gefängnis entlassen worden – kurze Zeit darauf ging die Terrorserie in Neukölln wieder los. Später hieß es, dass es sich möglicherweise um eine Verwechslung gehandelt habe – die Ermittlungen wurden eingestellt.

Kocak war 2017 ebenfalls von Neonazis ausgespäht worden, darüber von den Sicherheitsbehörden allerdings nicht informiert worden. Auch hier war von einer Ermittlungspanne die Rede. Kocak und andere Betroffene fordern angesichts dessen schon seit langem die Einrichtung eines Untersuchungsausschusses, der die Ermittlungen zur rechten Terrorserie unter die Lupe nimmt. »Der NSU hat uns gezeigt, dass die Probleme tiefgreifender sind«, so Kocak. Das Problem seien nicht nur die Neonazis auf der Straße, sondern auch die innerhalb des Staates. »Die Rechten im Sicherheitsapparat, die die Ermittlungen behindern und dafür sorgen, dass diese Terrorserie seit über zehn Jahren nicht aufgeklärt wird, müssen ausfindig gemacht werden«, fordert Kocak.

Die Senatsinnenverwaltung wollte sich am Dienstag mit Verweis auf die aktuellen Ermittlungen nicht zur Sache äußern. Ein Sprecher verwies gegenüber »nd« auf die im vergangenen Jahr eingerichtete Ermittlungsgruppe Fokus, die sich die unterschiedlichen Ermittlungsverfahren noch einmal genau anschauen soll. Ihr Bericht soll demnächst vorgelegt werden.

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