- Berlin
- Wohnungslose
Kein Platz für Obdachlose
Kältehilfe kritisiert neu installierte Sitzbänke an Haltestellen der BVG
Eine glatte Metallfläche, unterbrochen von zwei Armlehnen: Das sind die neuen Bänke der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG), die nach und nach an den Haltestellen installiert werden. Das Problem an den Sitzmöbeln: Durch die Armlehnen ist es unmöglich, sich darauf hinzulegen, weswegen die Bänke unter anderem von Nutzer*innen des sozialen Netzwerks Twitter harsch kritisiert wurden: als Verdrängungsmaßnahme gegen Obdachlose.
»Das ist Quatsch«, schmettert BVG-Pressesprecherin Petra Nelken diese Kritik auf nd-Anfrage ab. »In den Nachtstunden legt sich keiner an eine Straßenbahnhaltestelle.« Dort sei es zu laut und zu hell. Anders sieht das die Berliner Kältehilfe: Die Bänke an Haltestellen seien überlebenswichtige Erholungsplätze für Menschen, die auf der Straße leben, teilt die Kältehilfe dem »nd« mit. Denn die Wartebereiche böten einen gewissen Witterungsschutz, obendrein fühlten sich einige Menschen sicherer, wenn sie gut sichtbar in der Öffentlichkeit schlafen. »Obdachlose legen sich nicht auf Bänke, weil sie mal ein genüssliches Nickerchen machen wollen, sondern weil sie müde und erschöpft sind.«
»Auf jeden Fall gibt es Obdachlose, die die Nacht in Haltestellen verbringen«, sagt auch Juri Schaffranek vom Straßensozialarbeitsverein »Gangway«. Er kritisiert, dass Maßnahmen zur Verdrängung von Obdachlosen in Berlin zunähmen. Diesen Eindruck bestätigen verschiedene Anbieter von Obdachlosen-Hilfen unisono. »Von der Verabschiedung vom Konzept der Kältebahnhöfe über die Räumung von Camps bis hin zur Installation von defensiver Architektur gibt es in Berlin verstärkt Versuche der Verdrängung von obdachlosen Menschen«, heißt es bei der Kältehilfe.
Defensive oder auch feindliche Architektur ist das Stichwort, um das es auch bei den neuen BVG-Bänken geht. Damit sind städtebauliche Maßnahmen wie abgeschrägte Sitzgelegenheiten, Freiflächen und ähnliche Dinge gemeint, die so (um)gebaut werden, dass sie möglichst nicht von Obdachlosen zum längeren Verweilen oder Schlafen genutzt werden können.
Eine solche Absicht weist BVG-Sprecherin Nelken jedoch entschieden zurück: Die Gestaltung hänge unter anderem mit Vandalismus zusammen, die neuen Bänke seien »nicht so leicht kaputt zu machen«. Außerdem habe man sich an den Wünschen der Kund*innen des Unternehmens orientiert, sagt Nelken. Durch die Armlehnen könnten etwa ältere Menschen leichter aufstehen. Überdies habe die BVG 2012 neue Sitze für die U-Bahnen testen lassen. Gewonnen habe die Version, bei der »man das Gefühl hat: Ich habe meinen eigenen Platz«, so Nelken. Diese Sitze sind sowohl optisch durch die Polster als auch durch leichte Erhebungen nach außen klar voneinander getrennt. Das Konzept habe man auch auf die neuen Wartebänke angewandt.
Schaut man sich die Bänke an, wird der Zusammenhang mit den U-Bahn-Sitzen nicht ersichtlich. Die geraden, kalten Metallflächen mit den wie Griffe anmutenden Armlehnen weichen sehr deutlich von den sitzschalenartigen Plätzen der U-Bahnen ab.
Unklar ist, wie die Sozialverwaltung die Sitzmöbel sieht. Sozialsenatorin Elke Breitenbach (LINKE) steht für eine Politik, die sich an Bedarfen obdachloser Menschen orientiert. Unter anderem deshalb findet am 29. Januar die »Nacht der Solidarität« statt, eine große Befragungs- und Zählaktion obdachloser Menschen in Berlin. Die von den Hilfsverbänden monierte zunehmende Verdrängung durch defensive Architektur läuft Breitenbachs Politikansatz eher zuwider. Die Sozialverwaltung wollte sich auf nd-Anfrage zum jetzigen Zeitpunkt nicht zu dem Thema äußern.
Nach Ansicht der Obdachlosenhelfer*innen tragen die neuen Bänke eher zur Verschlechterung der Situation bei. »Der öffentliche Raum ist knapper geworden und die Zahl der Obdachlosen steigt. Beides zusammengenommen führt dazu, dass Obdachlosigkeit sichtbarer wird, aber auch, dass sie von mehr Menschen als störend empfunden wird«, berichtet die Koordinierungsstelle der Kältehilfe. Es bedürfe vielfältiger Lösungen, um den Menschen zu helfen und »um den öffentlichen Raum für alle gleichermaßen sinnvoll nutzbar zu machen«, heißt es weiter. »Dass diese Bänke faktisch zur Verdrängung von Obdachlosen beitragen werden, steht außer Frage.«
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.