- Politik
- Justizreformen in Polen
Es hakt beim »Maulkorbgesetz« für Richter
Polnischer Senat lehnt Gesetz zu Diszplinarkammer für Richter ab / EU-Kommission hat bereits EuGH um Hilfe gebeten
Es ist ein Stachel für die in Polen regierende nationalkonservative PiS, der ihr noch öfter Schmerzen bereiten wird: Seit den Wahlen im Oktober 2019, bei denen sie zwar im Unterhaus des Sejm die absolute Mehrheit errang, kann die Opposition im Senat aber Gesetze mit ihrer gemeinsamen Mehrheit verzögern. Jetzt geschieht das gerade bei einem zentralen Anliegen der PiS: der Justizreform.
Am 20. Dezember verabschiedete die erste Kammer des Sejm in Warschau das Gesetz zur weitergehenden Möglichkeiten der Disziplinierung von Richtern, trotz landesweiter und internationaler Proteste. Nun hat jedoch der Senat 30 Tage Zeit, sich mit der schnell als »Maulkorbgesetz« bezeichneten Vorlage zu befassen. Verhindern kann er es letztendlich nicht, aber die Verzögerung gibt Zeit sowohl für Proteste als auch dafür, die Aufmerksamkeit europäischer Institutionen darauf zu lenken. Und so läuft die aktuelle Entwicklung wieder einmal auf eine Eskalation zwischen Warschau und Brüssel hinaus.
Der Präsident des Senats, Tomas Grodzki traf sich zusammen mit anderen Oppositionsvertretern wie der Senatssprecherin Malgorzata Kidawa-Blonska, die als Kandidatin der liberalen Bürgerplattform gegen Andrzej Duda bei den Präsidentschaftswahlen 2020 antreten wird, mit der Venedig-Kommission des Europarats. Diese Europäische Kommission für Demokratie durch Recht befasst sich seit ihrer Konstituierung 1990 vor allem mit Verfassungen in Osteuropa, in den letzten Jahren »verfolgt [sie] daher aufmerksam gesellschaftliche Veränderungen, die in Verfassungsnormen, ihren Niederschlag finden«, wie es in der Selbstbeschreibung heißt. Der polnische Außenminister Jacek Czaputowicz sowie andere Vertreter der PiS-Regierung wollten sich nicht mit der Kommission treffen, Czaputowicz äußerte außerdem »schwere Zweifel«, ob Senatsmitglieder überhaupt solche internationalen Initiativen starten dürfen.
Brüssel, genauer gesagt die EU-Kommission, nahm den Ball aus Warschau jedoch auf. Sie ermächtigte am 15. Januar den Juristischen Dienst, beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) einstweilige Anordnungen in Bezug auf das von der Europäischen Kommission eingeleitete Verfahren wegen Verstoßes gegen das EU-Recht in Bezug auf die Disziplinarregelung für polnische Richter zu beantragen, wie es der luxemburgische Kommissar Nicolas Schmit auf einer Pressekonferenz erklärte. Die Eile scheint nötig, glaubt man der deutschen SPD-Europapolitikerin Katarina Barley »Wenn dieses Gesetz durchgeht, dann brechen einige Dämme«, sagte die Vize-Präsidentin des Europaparlaments am Donnerstag vor einer Woche: Nur die EU-Kommission könne das Gesetz via Anrufung des EuGH noch stoppen.
Der Senat hat seine 30-tägige Frist zur Befassung mit dem Gesetz nun fast voll ausgereizt. Schon nach dem ersten Tag der dreitägigen Sitzungsperiode am gestrigen Mittwoch wurde klar, dass die Opposition das Gesetz in Gänze ablehnt und dann wieder zurück in die erste Kammer des Sejm verweist. Bis dahin, so die Hoffnung, ist Europa bereit zu reagieren – denn der Senat kann das Gesetz zwar verzögern, aber nicht verhindern. Wahrscheinlich wird es danach sogar sehr schnell gehen: Der Sejm verwirft das Votum des Senats, stimmt über das Gesetz ab, das Votum ist durch die absolute Mehrheit für die PiS klar. Ein Veto Dudas wie noch im Sommer 2017 ist nicht zu erwarten, im Gegenteil, im Hinblick auf seine Wiederwahl wird er das Gesetz wahrscheinlich schnell unterschreiben, daran änderte auch ein Treffen zwischen Grodzki und Duda am Dienstag nicht, wie die konservative »Rzespospolita« berichtet. PiS-Politiker argumentieren immer wieder, dass ihre Wähler Veränderungen in der Justiz fordern – und auf diese Wähler ist auch Duda angewiesen.
Derweil protestieren die Richter weiter, auch unterstützt von Kollegen aus anderen europäischen Staaten. Denn die Folgen des Umbaus der Justiz bekommen sie zu spüren - wie auch diejenigen, die sich weiterhin für deren Unabhängigkeit einsetzen. Wie zum Beispiel Tomasz Grodzki, der bevor er Senatspräsident wurde, einem Krankenhaus in Szczecin vorstand. Ihm werfen PiS-Politiker und ehemalige Patienten nun Korruption vor, begleitet von einer Kampagne regierungsnaher Medien. Ein Vorwurf, der vor seiner politischen Rolle nie auftauchte, wie Grodzkis Anwalt laut »Standard« sagt. Aber nun ermitteln Staatsanwaltschaft in Szczecin und das Zentrale Antikorruptionsbüro (CBA) gegen ihn. Eine der früheren Justizreformen machte den Justizminister zum obersten Staatsanwalt. Wie es bei Grodzki weitergeht, kann zuerst Justizminister Zbigniew Ziobro (PiS) mit Generalstaatsanwalt Zbigniew Ziobro (PiS) ausmachen.
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