»Wir tun eigentlich alles, damit wir uns selber abschaffen«

Bei der Modemesse Neonyt präsentierten sich während der Berlin Fashion Week nachhaltig produzierende Labels

  • Inga Dreyer
  • Lesedauer: 5 Min.

Mit einer geblümten Teetasse in der Hand sitzt Martin Hagemann an einem kleinen Tisch am Stand seines Modelabels »Hafendieb«. Dort hat er eine Insel ostfriesischer Gemütlichkeit inmitten des geschäftigen Messetreibens eingerichtet. Im hohen, weitläufigen Hangar 4 des ehemaligen Tempelhofer Flughafens ist während der Berlin Fashion Week 2020 (13. bis 17. Januar) die Neonyt zu Gast, die Messe für Mode, Innovation und Nachhaltigkeit.

Ökologische Fragen sind in der Modebranche zentral. Das zeigt allein die Tatsache, dass die Zahl der Aussteller von 170 im vergangenen Jahr auf 210 in diesem gestiegen ist. Weil der Hangar nicht ausreichte, steht draußen am Flugfeld für zusätzliche Ausstellungsfläche eine Leichtbauhalle. Bei der Neonyt präsentieren sich ein paar etablierte Marken wie Jack Wolfskin, die ihre nachhaltige Produktionsweise demonstrieren wollen. Daneben finden sich viele kleine und junge Unternehmen wie das Hamburger Label »Hafendieb«, das fair und nachhaltig produzierte Kapuzenpullis, Sweatshirts und T-Shirts ausstellt. Martin Hagemann und sein Kompagnon Kai Dohse sind gelernte Elektromechaniker und haben sich Stück für Stück ins Modebusiness eingefuchst. »Ich fand als Jugendlicher schon Band-Shirts gut«, erzählt Hagemann, der früher in der Punkszene unterwegs war. Über die Arbeit in einer Siebdruckerei kam er auf die Idee, selbst Shirts zu designen. Anfangs druckte »Hafendieb« auf fertige Rohlinge, aber dann wollten die beiden Gründer eigene Schnitte designen - und unter fairen Bedingungen produzieren. Als kleines Unternehmen habe man noch die Möglichkeit, mit Produktionsstätten in direktem Kontakt zu stehen, erzählt Hagemann. Je größer ein Unternehmen, desto schwieriger wird das. Inzwischen verkauft das Label eigene, fair und nachhaltig produzierte Kleidung - jedoch bisher noch ohne Zertifizierung, denn die kostet.

Obwohl »Nachhaltigkeit« so ein wichtiges Schlagwort geworden ist, sei es für Produzenten immer noch schwer, sagt Hagemann. »Der Markt ist klein.« Paradoxerweise wirke sich das Umdenken gerade auf fair und nachhaltig produzierende Labels aus. Die »Generation Greta« gehe lieber gar nicht mehr shoppen und trage mehr »Vintage«, sagt Hagemann.

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Mit diesem Dilemma sind alle Unternehmen konfrontiert, die verantwortungsbewusst mit den sozialen und ökologischen Auswirkungen der Produktion umgehen wollen: Am besten wäre es für die Umwelt, gar nichts Neues zu produzieren. »Einerseits sagen wir: Kauf weniger. Andererseits leben wir auch vom Verkauf«, sagt Hagemann. Eine Möglichkeit ist, als Label nicht allen zu folgen und nicht ständig neue Kollektionen auf den Markt zu werfen, wie es in der »Fast Fashion« üblich ist. Die Textilproduktion ist darauf ausgerichtet, schnell und billig zu sein, um im Unterbietungswettbewerb mitzuhalten. Das fordert Opfer, wie ökologische und soziale Katastrophen zeigen. Medial präsent war beispielsweise der Einsturz einer Fabrik in Bangladesch im Jahr 2013, bei dem mehr als 1000 Menschen ums Leben kamen. Auch der hohe Wasser- und Chemikalieneinsatz bei der Produktion von billiger Baumwolle, auf die »Fast Fashion« angewiesen ist, hat sich inzwischen herumgesprochen. Trotzdem kaufen Deutsche immer noch durchschnittlich 27 Kilogramm Klamotten pro Jahr, 40 Prozent davon bleiben ungetragen.

Antje von Dewitz stellt angesichts der globalen ökologischen Krise die Verantwortung von Unternehmer*innen in den Mittelpunkt. Bei der Auftaktveranstaltung des Bundesumweltministeriums zur Fashion Week kritisiert die Geschäftsführerin des Outdoor-Ausstatters Vaude, dass Nachhaltigkeit heute häufig als etwas Kompliziertes wahrgenommen werde, das man sich leisten können muss. Dabei sei es alternativlos, sich als Unternehmen den Konsequenzen der Produktion zu stellen und nachhaltig zu wirtschaften - auch wenn der Weg dorthin herausfordernd und langwierig ist. »Das ist eine neue unternehmerische Kompetenz, die man sich aneignen muss«, betont sie. Auch sie benennt das damit verbundene Dilemma. »Wir tun eigentlich alles, damit wir uns selber abschaffen«, so von Dewitz. Das Unternehmen setzt unter anderem auf Langlebigkeit und Reparatur-Services für die Produkte. Trotzdem scheint es zu funktionieren, trotz höherer Preise mit der Konkurrenz mithalten zu können.

Die Eigenverantwortung von Unternehmer*innen ist ein Aspekt, Steuerungsmöglichkeiten der Politik ein anderer. »Wenn alles nicht hilft, müssen wir über Verordnungen und Gesetze vorgehen«, sagt Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD). So plane das Umweltministerium, im Kreislaufwirtschaftsgesetz eine sogenannte Obhutspflicht für Waren einzuführen. Das bedeutet, dass Unternehmen beispielsweise Retouren nicht mehr vernichten dürfen. Denn zurückgeschickte Waren werden teilweise verbrannt, kritisiert Svenja Schulze. Auch über positive Anreize kann die Politik steuern - beispielsweise über den Bundespreis Ecodesign. Unter den Gewinnern war 2019 ein Rucksack des Schweizer Labels QWSTION, der aus Bananenfasern hergestellt wurde.

Neue Materialien, Technologien sowie Recycling sind bei der Neonyt wichtige Themen. Das Label GOT BAG präsentiert Rucksäcke aus Plastik, das aus dem Meer gefischt wurde. Mud Jeans aus den Niederlanden zeigen an ihrem Stand, wie aus alten Jeans neue werden. Kaputte Hosen kommen in einen Schredder. Gehäckselt wird, bis das Material so aussehe, sagt Sales Manager Jorrit Ruiter, der ein blaues, flauschiges Büschel Textilfasern in den Händen hält. Die alten Fasern werden dann mit neuen gemischt. Dieses Modell bestehe zu 40 Prozent aus recyceltem Material, sagt Ruiter und deutet auf einen Kleiderständer mit blauen Hosen.

Auch das Kölner Label Armedangels, das zum ersten Mal bei der Neonyt dabei ist, setzt auf Jeans. Das Besondere: Die sogenannte Detox-Denim-Kollektion kommt ohne Giftstoffe aus. Verwendet wird Bio-Baumwolle mit chlorfreier Waschung, die Knöpfe sind frei von Schwermetallen.

Der Messebesuch zeigt nicht nur, wie viele Labels sich in Richtung Nachhaltigkeit orientieren. Ein Rundgang zeigt auch, wie breit das Angebotsspektrum ist - von der bunten veganen Socke über Frischhaltefolie aus Bienenwachs bis zum Schuh aus Kork. Wer sich unter Öko-Mode nur kratzige Pullis vorstellen kann, wird eines Besseren belehrt. Obwohl nachhaltige Produktionsweise ein Qualitätsmerkmal für Händler*innen und Kund*innen ist: Die Mode steht immer noch im Mittelpunkt. Nachhaltigkeit sei ein zusätzlicher Faktor, sagt Bjoern Kubeja vom Label »Working Title«. Vor allem aber gehe es darum, dass die Kleidung fantastisch aussieht. »Das Produkt ist der Schlüssel«, betont er.

Das neue Jahrzehnt steht in dieser Hinsicht in harter Konkurrenz. Svenja Schulze erinnert an die berühmten 1920er Jahre. Ob die aktuelle Dekade modetechnisch genauso aufregend wird wie im letzten Jahrhundert - das könne heute noch niemand voraussehen. Die Herausforderungen haben sich jedenfalls geändert.

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