- Wirtschaft und Umwelt
- Lungenkrankheit
Coronavirus reist von Wuhan weiter
In China befürchtet man eine Ausbreitung anlässlich des Neujahrsfestes / WHO berät über Ausrufung des Gesundheitsnotstands
Seit Wochen hält ein mysteriöser Coronavirus die chinesische Öffentlichkeit in Atem. Inzwischen ist dies auch im Alltag sichtbar: Selbst in der Pekinger Innenstadt trägt fast jeder zweite Passant eine Atemschutzmaske. Wer in der Hauptstadt noch eines der begehrten Utensilien ergattern möchte, braucht ein wenig Glück: In den meisten Apotheken sind sie ausverkauft, auch Onlinehändler kommen der Nachfrage kaum hinterher.
Im Regierungsfernsehen war man lange um Beschwichtigung bemüht. »Dieses neue Virus hat keine hohe Infektiosität«, sagte am Sonntag Li Gang, Direktor des Zentrums für Seuchenkontrolle in Wuhan. In der zen-tralchinesischen Millionenstadt liegt der Ursprung des Virus, das sich von einem mittlerweile geschlossenen Markt für Fisch, Wild und Meerestiere verbreitet haben soll.
Mittlerweile steht fest, das Coronavirus kann auch von Mensch zu Mensch übertragen werden. Bemerkbar macht es sich durch hohes Fieber, Husten und Atemnot. Infiziert haben sich vor allem Ältere. Sechs Patienten sind bereits verstorben, mindestens 300 an dem Virus erkrankt - darunter 15 Angestellte eines Krankenhauses. Laut einer Studie des Imperial College London dürfte die Anzahl der Ansteckungen noch weit höher liegen. So gehen die britischen Virologen laut einem Rechenmodell von bis zu 1700 Infektionen allein in Wuhan aus. Auch international nimmt die Besorgnis zu: Die Weltgesundheitsorganisation hat für Mittwoch ein Krisentreffen in Genf anberaumt. Experten sollen darüber beraten, ob ein internationaler Gesundheitsnotstand ausgerufen wird.
Am Montag wurden von den chinesischen Behörden die ersten Patienten in Peking bestätigt. Im Alltag der 21-Millionen-Metropole lässt sich zwar keine Panik feststellen, die U-Bahn-Züge sind während des Feierabendverkehrs wie üblich bis zum letzten Stehplatz gefüllt. Wer sich jedoch unter Bekannten umhört, kriegt ein anderes Bild vermittelt: Viele junge Leute sind sich sicher, dass der Ausbruch weit fortgeschrittener ist, als die Behörden zugeben. Ihre Namen wollen sie nicht in der Zeitung lesen, das Thema gilt als zu sensibel. Angeblich sollen Verwandte betroffener Patienten von den Behörden dazu angehalten worden sein, nicht mit Medien zu sprechen und auch online keine Neuigkeiten zu verbreiten.
In sozialen Netzwerken versuchen Nutzer derweil mit stündlich wechselnden »Hashtags« - vergleichbar mit einem Katz-und-Maus-Spiel - der Zensurbehörde einen Schritt voraus zu sein. »Ich hoffe, dass die Regierungsnachrichten aktuell und wahr sind«, schreibt ein User auf »Weibo«, dem chinesischen Facebook. Ein anderer meint: »Das Neujahrsfest steht vor der Tür. Ich frage mich, ob jeder genug auf sich aufpassen kann.«
Am Freitag reisen die meisten Chinesen zum Frühlingsfest zu ihren Familien in den Heimatdörfern. Es ist eine weltweit einmalige logistische Herausforderung: Rund 400 Millionen Leute werden laut Schätzungen per Bus, Bahn und Flugzeug unterwegs sein. Ausgerechnet Wuhan gilt als zentraler Umsteigepunkt zwischen den Industriestädten an der Ostküste und dem Hinterland.
Derweil wurden auch in Japan, Südkorea und Thailand drei Ansteckungen bestätigt. Die Betroffenen sollen kürzlich aus Wuhan angereist sein. In den USA und anderswo wird an Flughäfen der Gesundheitszustand ankommender Passagiere aus Wuhan überprüft. Zuletzt wurde eine vergleichbare Maßnahme beim Ebola-Ausbruch 2014 eingeleitet.
Auch in China ruft das Coronavirus böse Erinnerungen wach, schließlich stammt es aus derselben Erregerfamilie wie das SARS-Virus. Bei der ersten Pandemie des 21. Jahr-hunderts starben im Jahr 2002 fast 800 Menschen binnen kurzer Zeit - vor allem in Festlandchina und Hongkong. Sie machte gleichzeitig deutlich, wie rasch sich eine hoch ansteckende Krankheit in der vernetzten, globalisierten Welt ausbreiten kann.
In China grassiert zudem seit Monaten die Afrikanische Schweinepest, die als bisher schwerste Krise der Tiergesundheit gilt. Das Reich der Mitte ist größter Schweinefleischproduzent der Welt - von 770 Millionen Zuchtschweinen werden 440 Millionen hier gehalten. Die Hälfte der Tiere musste bereits getötet werden, der Preis von Schweinefleisch hat sich in China verdoppelt. Dass sich das Virus so stark verbreiten konnte, hängt auch mit Intransparenz zusammen: Lange Zeit spielten die Behörden das Problem herunter. Noch immer verweigert die Regierung einen offenen Dialog über die Ausmaße des Problems.
In Sachen Coronavirus bemüht sich die nationale Gesundheitskommission aber, Vorwürfen der Intransparenz entgegenzuwirken. Behörden im ganzen Land seien aufgefordert worden, Labortests zum Aufspüren möglicher Ansteckungsfälle zu verstärken, teilte sie mit. Und trotz der angespannten Beziehungen zu Taiwan hat die Volksrepublik jetzt der Entsendung einer medizinischen Delegation von dort zugestimmt.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.