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Ein deutscher Egotrip
Velten Schäfer über das hiesige Auschwitz-Gedenken
Wo »Bild« recht hat, hat »Bild« recht: Der Kommentar der »Tagesschau« zum Auschwitzgedenken in Jerusalem war so beschämend wie des Bundespräsidenten Rede womöglich »historisch«. Es steht dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Deutschland nicht zu, die Art und Weise frontal anzugreifen, wie Nationen, die dem Hitlerfaschismus und seinem Mordprogramm zum Opfer fielen, daran erinnern. Hochnotpeinlich zog die »Tagesschau« über ein »unwürdiges Verhalten von Israel und Russland« her: Netanjahu und Putin hätten den Gedenktag »teilweise« für eine »erinnerungspolitische Privatparty« – das steht dort wirklich – »gekapert«. Und nicht besser, sondern schlimmer wird das angesichts des konkreten Anlasses: Die beiden Staatsmänner hatten es doch tatsächlich gewagt, in Jerusalem ein Denkmal für die Blockade von Leningrad einzuweihen, wobei offenbar der Zeitplan etwas überdehnt wurde.
Wie repräsentativ Kommentare des öffentlich-rechtlichen Rundfunks für die deutsche Bevölkerung sind, ist schwer zu sagen. Doch lässt sich mutmaßen, dass sie die Stimmung jenes mehr oder minder »liberalen«, akademischen, sich »aufgeklärt« dünkenden und tonangebenden Mittelschichtsegments treffen, dem Journalisten meist entstammen. Um so mehr erschreckt dieser Kommentar: Verrät sich im Vorwurf der »Kaperung« doch erstens die Anmaßung eines »Eigentums« am Holocaust, frei nach dem Motto: Nachdem wir das nun so fleißig aufgearbeitet haben, gehört der Jahrestag auch uns. Und zweitens ist es ungeheuer gedankenlos, diese Kritik ausgerechnet an dem Leningrad-Denkmal festzumachen, das für den rassistischen und zudem antisemitisch angereicherten Grundcharakter des deutschen »Vernichtungskriegs« im Osten steht. Derselbe ist offensichtlich jenem Milieu noch immer nicht wirksam bewusst.
Gewiss kann es reines, wahres, authentisches Gedenken an Geschichte kaum geben. Das Vergangene wird immer aus der Gegenwart betrachtet. Was man an der Geschichte wann und wie hervorhebt oder in den Hintergrund rückt, was man dementsprechend aus dem Geschehenen für die Gegenwart folgert, unterliegt immer Vorstellungen und Zielsetzungen, die im Heute wurzeln – nicht nur, aber besonders in der Politik. Wer müsste das besser wissen als die deutschen Aufarbeitungsweltmeister, die in den 1990er Jahren »Auschwitz« von einem kategorischen Imperativ gegen Krieg als Mittel deutscher Politik zu einer ultimativen Aufforderung umdeuteten, Bomben auf einen europäischen Staat zu werfen?
Die »Instrumentalisierung« von Geschichte – also deren mehrheitliche politisch-moralische Deutung zu einem gegebenen Zeitpunkt – darf man gewiss analysieren. Nicht nur was jenen »Seitenwechsel« von Auschwitz im bundesdeutschen Diskurs betrifft. Es ist nicht verwerflich, den Hang der israelischen Rechten zu kritisieren, die Besetzung des Westjordanlandes immer wieder mit der Vernichtungserfahrung in Verbindung zu bringen. Es ist auch nichts falsch an der Feststellung, dass Putins geschichtspolitische Sympathieoffensive in einem Land, in dem russischsprachige Einwanderer ein wichtiger Faktor sind und das an einen Staat grenzt, innerhalb dessen Russland einen geopolitischen Konflikt ausficht, eine tagespolitische Konnotation aufweist. Von seinem ideologischen Dauergeplänkel mit der polnischen Regierung ganz abgesehen.
Falsch und schal aber wird solche Kritik, wenn sie die politischen Kontexte des Rückgriffs auf Geschichte stets nur beim anderen erkennt. Gerade diese Haltung aber spricht aus jenem Kommentar: ein Beleidigtsein darüber, dass Auschwitz aus einem Blickwinkel angesprochen wurde, der sich nicht mit derjenigen Perspektive deckt, die seine Autorin implizit zum Standpunkt eines absoluten Weltgewissens erklärt – das sich auf wundersame Weise aber immer mehr mit dem Bewusstsein jener »aufgeklärten« deutschen Mittelschicht zu decken scheint.
Es ist entlarvend und zum Fremdschämen: Sobald »Putin« ins Spiel kommt, entlarvt sich die »Aufarbeitung« als deutscher Egotrip. Julian Reichelt, der diesen Kommentar auf Twitter das »Unwürdigste und Abstoßendste« nannte, »was man zu diesem Jahrestag schreiben kann«, ist in diesem Sinn nur zuzustimmen. Nun müsste der »Bild«-Chef nur noch einsehen, dass dieses Unwürdige sich auf jene antiputinistische Dauerregung gründet, die sein Blatt ansonsten fast täglich füttert – und in der sich längst legitime politische Kritik mit diffusen, geschichtlich begründeten Motiven zu einem anti-russischen Sentiment vermählt haben.
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