Putins Peremena

Weniger Macht dem Kreml und alle Macht dem Präsidenten - mit großem Tempo wird Russlands Verfassung verändert.

  • Klaus Joachim Herrmann
  • Lesedauer: 3 Min.

Das russische Volk fordere Veränderungen, bestätigt sein Präsident Wladimir Putin. Das Wort in der Landessprache dafür lautet »Peremena«. Die »Njesawissimaja Gasjeta« titelte mit einer ihren Lesern geläufigen Anspielung: »Peremen! Fordert der Präsident«. Denn ein zorniges Lied des legendären und 1990 bei einem Autounfall ums Leben gekommenen Rockstars Viktor Zoi hat eben diesen Titel. Sein Refrain: »Veränderungen! fordern unsere Herzen. Veränderungen! fordern unsere Augen.« Der 1986 veröffentlichte Hit begleitete Michail Gorbatschows Perestroika. »Peremen« könnte dies im Jahre 2020 auch für Putin tun.

Bereits in zweiter Lesung wird das russische Parlament am 11. Februar Verfassungsänderungen behandeln. Das geschieht gerade einmal rund vier Wochen nach ihrer Vorlage durch den Präsidenten. In erster Lesung gingen die Vorschläge schon nach acht Tagen in der Duma einstimmig durch. Ein Präsident soll nur noch zwei Amtszeiten absolvieren dürfen, die Rolle des Staatsrates wachsen und das Verfassungsgericht von 19 auf 11 Richter verkleinert, doch mit größeren Befugnissen versehen werden. Eine Volksabstimmung über die Änderungen ist angekündigt.

Die 1993 in einer umstrittenen Volksabstimmung bestätigte Verfassung sicherte eine starke Präsidentschaft - damals namentlich dem Kremlchef Boris Jelzin. Der hatte gerade das frei gewählte Parlament von Panzern aus der politischen Arena schießen lassen, behielt aber im Westen den Ruf eines aufrichtigen Demokraten. Parlamentschef Wjatscheslaw Wolodin nannte nun die Vorschläge Putins eine »historische Entscheidung«. Dies wohl auch, weil das Parlament wieder aufgewertet wird. So sollen der Premier, dessen Stellvertreter und Minister künftig von den Deputierten bestätigt werden. Ein Machttransfer vom Kreml zum Parlament.

Der Übergang Russlands zu einer parlamentarischen Republik sei »theoretisch möglich«, aber nicht nützlich, wiegelte Putin jedoch am Mittwoch bei einem Besuch in Lipezk ab. »Wir sollten mit der Form der Führung besser nicht experimentieren«, beschied er eine Studentin. Für eine effektive parlamentarische Demokratie brauche es langjährige Erfahrungen mit der Parteientätigkeit.

Der Kremlchef sieht sich dem Verdacht ausgesetzt, alles nur dem Machterhalt unterzuordnen. Niemand wisse, was Putin »anstellen« werde, um »für immer an der Macht zu bleiben«, sagt der Oppositionelle Alexej Nawalny. Doch andere Kritiker räumen ein, dass der Präsident wirklich etwas Macht abgibt und sich Putin den Weg in eine weitere Amtszeit selbst verbaut.

Russische Oppositionelle und namentlich deutsche Medien argwöhnen freilich, dass Putin den Staatsrat nur aufwerte, um sich von dort aus Einfluss zu sichern. In Lipezk ging er auch darauf ein: Eine Art Vormundschaft über einen russischen Präsidenten halte er für »nicht nützlich«. Doppelherrschaft beschädige das Präsidentenamt. Für ein derart großes Land mit so vielen Religionen und Nationalitäten brauche es aber »die starke Macht eines Präsidenten«.

Als solcher führte Putin nach den verheerenden 90er Jahren das Land fort vom Abgrund, ließ Russland wieder erstarken. Das Erbe will er zweifellos gesichert wissen. Doch auch nach den ersten beiden Amtszeiten hatte er der Versuchung, die Verfassung zu seinen Gunsten zu ändern, widerstanden.

Für manche Beobachter irritierend rasch werden seit der präsidialen Botschaft die Veränderungen vorangetrieben. Parteigänger erwidern, der Mann meine eben, was er sage, und handele entschlossen. Nach dem 15. Januar mit Putins Botschaft und dem Rücktritt der Regierung hat das sofort neu gebildete Kabinett von Premier Michail Mischustin nun bis zum 20. Februar Vorschläge zur Verbesserung der Lage zu präsentieren. »Wir müssen schneller die großen sozialen, wirtschaftlichen, technologischen Aufgaben lösen, vor denen das Land steht«, drängt Präsident Putin. Er fordert eine effizientere Umsetzung der von ihm vorgegebenen nationalen Ziele.

Wie »Peremen« künftig klingen wird, hängt vom Ergebnis ab.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.