Mehrheit der Deutschen für verpflichtenden Besuch von KZ-Gedenkstätte für Schüler

Präsident des Zentralrats der Juden fordert schärfere Abgrenzung von AfD

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Berlin. Eine deutliche Mehrheit der Deutschen ist dafür, alle Schüler zum Besuch eines ehemaligen Konzentrationslagers der Nazis zu verpflichten. In einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov im Auftrag der Deutschen Presse-Agentur sprachen sich 56 Prozent für solche Pflichtbesuche in KZ-Gedenkstätten mindestens einmal während der Schulzeit aus. 34 Prozent sind dagegen. 10 Prozent machten keine Angaben.

Die Umfrage mit mehr als 2000 Teilnehmern ist repräsentativ für die deutsche Bevölkerung ab 18 Jahren. Vor allem die jungen Erwachsenen, die die Schulzeit noch nicht lange hinter sich haben, wünschen sich die Pflichtbesuche. Von den 18- bis 24-Jährigen sind fast zwei Drittel (64 Prozent) dafür. Aber auch in allen anderen Altersgruppen plädiert eine Mehrheit dafür.

Nur 55 Prozent der erwachsenen Deutschen haben der Umfrage zufolge mindestens einmal ein ehemaliges Konzentrationslager besucht. Interessant dabei: Je älter die Befragten, desto geringer ist der Anteil derjenigen, die schon einmal in einer KZ-Gedenkstätte waren. Von den 18- bis 24-jährigen sind es 67 Prozent, von den über 55-Jährigen nur 49 Prozent.

In Auschwitz war von allen Befragten bisher nur jeder Fünfte (21 Prozent). An diesem Montag jährt sich die Befreiung des größten Vernichtungslagers der Nazis durch die Rote Armee zum 75. Mal. Allein dort ermordeten die Nationalsozialisten mehr als eine Million Menschen. Der Holocaust kostete insgesamt rund sechs Millionen Juden das Leben.

Auch der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, hat sich zum Holocaust-Gedenktag für verbindliche Gedenkstättenbesuche von Schulklassen ausgesprochen. »Das Entscheidende ist die Erinnerungsarbeit in der Schule und der Besuch von authentischen Orten, also den Gedenkstätten«, sagte Schuster dem in Berlin erscheinenden »Tagesspiegel« (Sonntag). Obligatorische Gedenkstättenbesuche wären dann Teil des Lehrplans, »so dass die Lehrer auch angehalten sind, sie tatsächlich durchzuführen«.

Allerdings müssten derartige Besuche auch angemessen vor- und nachbereitet werden, unterstrich Schuster: »Was die Besuche bewirken, hängt nicht davon ab, ob sie verpflichtend sind, sondern, wie sie im Unterricht behandelt werden.« Wenn eine Schulklasse von München aus erst kurz in die KZ-Gedenkstätte Dachau fahre, danach die Filmstudios besuche und zwischendurch zu McDonalds gehe, dann solle man es lieber lassen, so Schuster.

Zugleich kritisierte er Defizite bei Lehrkräften etwa im Umgang mit antisemitischen Vorfällen in der Schule. Schuster plädierte für entsprechende Fortbildungen für Lehrer und Lehrerinnen.

Angesichts neuer antisemitischer Tendenzen in Deutschland fordert Schuster darüber hinaus eine strikte Abgrenzung von der AfD. »Die demokratischen Parteien müssen sich sehr klar von der AfD distanzieren«, sagte Schuster. »Es ist der falsche Weg, sich der AfD anzubiedern oder sie gar nachzuahmen, weil das angeblich Stimmen bringt«, sagte Schuster. Die anderen Parteien sollten versuchen, die AfD zu »entlarven«, fordert der Zentralratspräsident im »Tagesspiegel«-Interview. Der einzig richtige Weg sei eine klare Abgrenzung.

Der Zentralrat der Juden hatte sich erstmals vor fünf Jahren für verpflichtende Besuche von Schülern in KZ-Gedenkstätten ausgesprochen. Danach hatte es immer wieder entsprechende Forderungen auch von Politikern unterschiedlicher Parteien gegeben. Im vergangenen Sommer plädierte CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer nach einer Israel-Reise dafür. »Ich bin davon überzeugt, dass der Besuch einer Gedenkstätte auf jedem Lehrplan stehen und sich jeder zumindest einmal in seinem Leben damit auseinandersetzen muss«, sagte sie damals.

Bundesbildungsministerin Anja Karliczek sprach sich jetzt gegenüber der dpa ebenfalls dafür aus, dass alle Schüler mindestens einmal ein ehemaliges Konzentrationslager oder eine andere NS-Gedenkstätte besuchen sollten. Die CDU-Politikerin äußerte sich aber nicht zur Frage, ob ein solcher Besuch für Schüler verpflichtend sein sollte.

Einige Experten argumentieren, ein Zwang könnte pädagogisch kontraproduktiv sein. Auch Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) sprach sich gegen eine Besuchspflicht für Schüler aus. Den Zeitungen der Funke Mediengruppe sagte sie, der Besuch von Gedenkstätten sollte stattdessen Teil der Lehrerausbildung werden.

Die Länder handhaben das sehr unterschiedlich. Bayern hatte als erstes Land den Besuch einer NS-Gedenkstätte in den Lehrplänen von Gymnasien und später auch von Realschulen fest verankert. In anderen Bundesländern ist zwar der Besuch an einem oder mehreren Gedenkorten obligatorisch. Es muss sich dabei aber nicht um Orte aus der NS-Zeit handeln. Viele Schulen unternehmen die Fahrten allerdings freiwillig, in manchen Lehrplänen werden sie auch empfohlen.

Tendenziell gibt es in der Bevölkerung das Bedürfnis nach einer stärkeren Thematisierung des Völkermords an Millionen Juden in der Schule. Laut YouGov-Umfrage finden 36 Prozent der Deutschen, dass sie in ihrer Schulzeit zu wenig darüber gelernt haben. Dagegen finden nur 7 Prozent, das Thema habe zu großen Raum eingenommen. 47 Prozent sagen, sie seien im Schulunterricht ausreichend über den Holocaust informiert worden.

37 Prozent finden, das Thema sollte künftig einen größeren Raum in den Lehrplänen einnehmen. 13 Prozent meinen dagegen, man sollte sich in der Schule weniger damit befassen. Agenturen/nd

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