Jubel mit verschrumpelten Fingern und trockenen Knien

Best of Menschheit, Folge 5: Die Badewanne

  • Tim Wolff
  • Lesedauer: 3 Min.

Was die Verbreitung von Viren (und nicht nur diesen) angeht, macht historisch betrachtet so schnell keiner den Menschen etwas vor, die man nun Europäer nennt. Als sie sich den Planeten und ihre restlichen Bewohner zu deren Schaden unter den dreckigen Nagel rissen, sich dabei auch noch dreist als einzig wahre Menschen fantasierten, waren sie im Gegensatz zu den meisten Menschengruppen, die sie als Tiere unterjochten oder gemeinsam mit den eingeschleppten Krankheiten vernichteten, nicht mal anständig genug, regelmäßig zu baden.

Erst später, kamen sie darauf, was die Römer vor ihnen schon gewusst hatten (bevor die Christianisierung sie auch in dieser Hinsicht verblödete): dass durch Häuser fließendes Wasser Voraussetzung für ein zivilisiertes Dasein ist. Zu demokratisieren und privatisieren, was einst nur öffentlich und rituell zu haben war, das Baden in frischem Wasser, gehörte dann unbestreitbar zu den Glanzleistungen des Menschengeschlechts. Und so überrascht es auch nicht, dass der späte Kapitalismus in seinem Zerstörungswerk an allem, was gut war oder gut sein könnte, nun auch die Badewanne tötet. Sie verschwindet aus Hotelzimmern und den Wohnungen, der in Lohn und Brot Stehenden bzw. wird jeweils nur noch als Luxus mit Zusatzfunktionen angesehen, als Spa für zwischendurch. Die Dusche, aufgemotzt zu einem in zig Varianten spuckenden Monster, verdrängt sie - denn die Dusche steht für Aktivität, für die schnelle Herrichtung des Körpers, der zu Markte getragen, ständig angeboten werden muss.

Geduscht wird am Morgen, am besten nutzt man sie wie ein Auto eine Waschstraße, um dann am Arbeitsplatz glänzen zu können. Geduscht wird nach dem Besuch des Fitnessstudios oder nach dem Joggen, was alles auch nur der Aufrechterhaltung der Arbeitskraft dient. Die Dusche ist Komplize im täglichen Wettstreit der Selbstvermarktung, ja herrgott, in ihr kann man sich nicht mal mit dem Fön selbst töten, wenn man vom Elend des Daseins genug hat. Ein Elend, dem man in der Badewanne für Momente sich entziehen kann. Die fürs Menschsein gelegentlich notwendige Regression bis in die Ursuppe eignet sich nicht zur Selbstoptimierung, zur Marktverwertung; die einfache, aber nicht simple Entspannung, die sie bietet, ist obendrein nicht Konsum genug, um so falsch zu sein, wie sonst die Verhältnisse alles machen. Ein Badezusatz, warmes Wasser, fertig ist das kleine Glück.

Doch so etwas darf es eigentlich nur noch in den Entspannungsmanufakturen geben, die sich Wellness nennen, weil sie zur Ware machen, was noch der simpelste Bottich mit warmem Wasser schenkt: Geborgenheit. Selbst dass man beim Baden im eigenen Dreck sitzt, im Dreck des schmutzigen Geschäfts, zu dem die Menschheit längst alle ihre Mitglieder zwingt, statt ihn rasch wegzuduschen und zu verdrängen, ist Teil der erholsamen Reflexion des Badens. Man darf ruhig mal spüren, was das Leben hinterlässt, bevor die Seife ihr Werk vollbringt. Ohnehin ist das Argument, man säße in der Wanne im eigenen Dreck, ein hohles - als hätte man den Dreck nicht auch ohne Wanne um sich gehabt. Letztlich wird da behauptet, sauberes Wasser würde den Dreck verschmutzen.

Da es aber umgekehrt ist, wir dank Wanne Gast im Wasser sind, das uns den Schmutz abnimmt, sollten wir schlicht dankbar sein. Wir bejubeln also mit einem lachenden und einem weinenden Auge, mit verschrumpelten Fingern und trockenen Knien die gute alte Badewanne: den Ort, an dem wir familiäre Gemeinschaft zelebrierten und mit Entchen imaginäre Weltmeere besegelten, den Ort, der uns eindrucksvolle Totenbilder der Marats und Barschels dieser Welt ermöglichte, der Ort, der als einer der letzten aus uns für wohlig-warme Minuten würdige Ichs machte. Danke für die schöne Zeit!

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