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FDP stürzt Ramelow mit Hilfe der AfD
FDP-Kandidat Thomas Kemmerich mit Stimmen der AfD zum Ministerpräsidenten gewählt / Demonstranten vor Landtag in Erfurt und in Berlin
Erfurt. Unerwarteter Paukenschlag im Thüringer Landtag: FDP-Landeschef Thomas Kemmerich ist am Mittwoch mit Unterstützung der CDU und der AfD zum neuen Ministerpräsidenten gewählt worden. Die bislang regierende Linkspartei sprach von einem »Dammbruch« - erstmals sei in Deutschland ein Ministerpräsident mithilfe der Stimmen einer Rechtsaußenpartei ins Amt gekommen. Auch SPD und Grüne reagierten schockiert. Kemmerich setzte sich im dritten Wahlgang gegen den bisherigen Regierungschef Bodo Ramelow von den Linken durch.
In den ersten beiden Wahlgängen hatte der bisherige Regierungschef Bodo Ramelow (Linke) die nötige absolute Mehrheit verfehlt. Im dritten Wahlgang reichte dann die einfache Mehrheit der abgegebenen Stimmen für die Wahl zum Ministerpräsidenten. Kemmerich trat an und erhielt dabei auch Stimmen von CDU und AfD. Der Liberale, der die kleinste Fraktion im Erfurter Landtag vertritt, wurde im Anschluss sofort vereidigt.
Kemmerich erteilt Kooperation mit der AfD Absage: »Ich bin Anti-AfD, Anti-Höcke«
Kemmerich will mit CDU, SPD und Grünen eine neue Regierung bilden. Er wolle eine Regierung der Mitte, sagte er am Mittwochnachmittag im Erfurter Landtag. SPD und Grüne haben einer Zusammenarbeit mit einer Regierung unter Kemmerich jedoch bereits eine Absage erteilt.
Einer Kooperation mit der AfD erteilte Kemmerich vor Journalisten eine strikte Absage: »Wir werden keinerlei Politik mit der AfD betreiben.« Es werde von ihm kein Angebot an diese Partei geben. »Ich bin Anti-AfD, Anti-Höcke«, sagte Kemmerich. Die »Brandmauern« gegenüber dieser Partei blieben bestehen.
Kemmerich bedankte sich bei seiner Ansprache im Landtag bei Amtsvorgänger Bodo Ramelow (Linke), der allerdings nicht mehr im Plenarsaal war. Die Rede Kemmerichs wurde durch Zwischenrufe wie »Heuchler« und »Scharlatan« gestört. Nach seiner Rede wurde die Sitzung des Landtages vertagt.
Kemmerich sagte, er wolle in seine neue Regierung auch parteilose Experten einbinden. Er werde CDU, SPD und Grüne zu Gesprächen einladen und hoffe, dass sie sich »ihrer staatspolitischen Verantwortung« stellen. Zugleich beklagte er sich über Tiraden und Drohanrufe, die ihn bestürzten. Die aufgepeitschte Stimmung müsse nun wieder eingefangen werden.
Die SPD hat das Gesprächsangebot Kemmerichs über eine mögliche Regierungsbildung abgelehnt. »Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten tragen kein politisches Projekt mit, das nur durch Gnaden der AfD zustande gekommen ist«, erklärte der SPD-Fraktionsvorsitzende im Erfurter Landtag, Matthias Hey, am Mittwoch.
Für den Ausgang des dritten Wahlganges seien einzig und allein AfD, CDU und FDP verantwortlich. Sie hätten einen Ministerpräsidenten gewählt, dessen Partei bei der Landtagswahl Ende Oktober gerade einmal die Fünfprozenthürde genommen habe. »Für die Bildung einer intakten Regierung ist allein Thomas Kemmerich persönlich zuständig - die SPD wird ihn dabei nicht unterstützen«, stellte Hey klar.
Demonstrationen nicht nur in Erfurt
Nach der Wahl regt sich Widerstand auf Berlins Straßen: Am Abend versammelten sich hunderte Menschen vor der FDP-Bundeszentrale im Stadtteil Mitte, wie eine Korrespondentin der Nachrichtenagentur AFP berichtete. Zu der Kundgebung hatten die Berliner SPD, die Grünen und die Linke aufgerufen. »Wer hat uns verraten? Freie Demokraten«, skandierten die Teilnehmer unter anderem.
Außerdem gab es Aufrufe zu einer spontanen Kundgebung vor dem Konrad-Adenauer-Haus in Berlin, der CDU-Bundeszentrale. Auch in Thüringen riefen die dortigen Grünen unter dem Hashtag #nichtmeinmp für Mittwoch zu Demonstrationen unter anderem in Erfurt, Jena, Weimar und Gera auf.
Aus Protest gegen die Wahl hatten sich am Mittwochnachmittag Demonstranten spontan vor dem Landtag in Erfurt versammelt. Unter ihnen waren rot-rot-grüne Landtagsabgeordnete und Fraktionsmitarbeiter Ein Polizeisprecher sprach zunächst von etwa 100 Teilnehmern. Bis 16 Uhr war die Teilnehmerzahl laut MDR auf 200 angewachsen. Mit Trillerpfeifen und auf Plakaten äußerten sie ihren Unmut über den Wahlausgang und ihre Sorge vor einem weiteren Erstarken der extremen Rechten in Thüringen.
Einzelne Plakate verwiesen auch auf historische Parallelen in Thüringen. »1930 erster Minister der NSDAP, 2020 erster Ministerpräsident mit Stimmen der AfD«, lautete die Aufschrift auf einen handgemalten Plakat. Vor 90 Jahren war mit dem später in den Nürnberger Prozessen als Kriegsverbrecher verurteilten und hingerichteten Wilhelm Frick der erste NSDAP-Politiker in eine deutsche Landesregierung gekommen.
So verlief die Wahl
Update 13.50 Uhr: Die thüringische CDU hat nach der von ihr unterstützten Wahl des FDP-Politikers Thomas Kemmerich zum neuen Ministerpräsidenten eine Abgrenzung zur AfD gefordert. »Wir haben uns entschieden, den Kandidaten der bürgerlichen Mitte zu unterstützen«, sagte CDU-Partei- und Fraktionschef Mike Mohring nach der Wahl am Mittwoch. »Entscheidend ist nun, dass Kemmerich klarmacht, dass es keine Koalition mit der AfD gibt.«
Update 13.30 Uhr: Der FDP-Politiker Thomas Kemmerich ist zum neuen Ministerpräsidenten gewählt worden. Im dritten Wahlgang erhielt Kemmerich am Mittwoch im Erfurter Landtag 45 Stimmen und damit eine Stimme mehr als der bisherige Amtsinhaber Bodo Ramelow (Linke). Damit stimmte die AfD-Fraktion offenbar geschlossen für den FDP-Kandidaten, ihr eigener Bewerber Christoph Kindervater erhielt keine Stimme.
Update 13.10 Uhr: Auf den ersten Blick hat Bodo Ramelow im dritten Wahlgang die besten Karten, da nun nicht mehr 46 Stimmen nötig sind, sondern nur noch die meisten Stimmen. Ein Unsicherheitsfaktor bleibt aber - wie stimmt die AfD im dritten Wahlgang? Denn CDU, FDP und AfD hätten gemeinsam die Stimmenmehrheit. Sollten also alle AfD-Abgeordneten geschlossen für den FDP-Kandidaten anstatt für den eigenen stimmen, könnte Thomas Kemmerich, der Kandidat der kleinsten Partei im Landtag, die meisten Stimmen erzielen.
Die Linke-Landesvorsitzende Susanne Hennig-Wellsow hat sich jedenfalls entsetzt gezeigt über die Ausgangslage für den dritten Wahlgang bei der Ministerpräsidentenwahl in Thüringen. Diese sei »katastrophal«, sagte sie am Mittwoch im Landtag in Erfurt. Dass nun Ramelow, Kemmerich und Kindervater antreten, könne auf eine große »Finte« der AfD hinauslaufen. Diese könne nun geschlossen für den FDP-Kandidaten stimmen.
Update 12.50 Uhr: Im dritten Wahlgang treten drei Kandidaten an. Neben Amtsinhaber Bodo Ramelow (Linke) und dem AfD-Bewerber Christoph Kindervater, die sich beide bereits in den ersten zwei Runden zur Abstimmung stellten, geht im dritten Wahlgang auch FDP-Landes- und Fraktionschef Thomas Kemmerich ins Rennen. Das hatten die Liberalen im Vorfeld bereits angekündigt. Im dritten Wahlgang reicht nun die einfache Mehrheit der abgegebenen Stimmen für die Wahl zum Ministerpräsidenten. Der Kandidat mit den meisten Stimmen gewinnt.
Update 12.15 Uhr: Bodo Ramelow hat bei der Wahl zum Ministerpräsidenten auch im zweiten Durchgang nicht genügend Stimmen für eine weitere Amtszeit erhalten. Der Linke-Politiker verfehlte bei der Abstimmung im Landtag in Erfurt am Mittwoch ebenso wie der von der AfD aufgestellte parteilose Gegenkandidat Christoph Kindervater die absolute Mehrheit. Die Entscheidung fällt nun in einem dritten Wahlgang.
Auf Ramelow, der mit SPD und Grünen eine Minderheitsregierung bilden will, entfielen 44 Stimmen, Kindervater bekam 22 Stimmen. Es gab Enthaltungen 24 bei insgesamt 90 abgegebenen und gültigen Stimmen. Damit hat Ramelow 2 Stimmen mehr gekommen, als sein geplantes Bündnis Sitze hat. Kindervater bekam genauso viele Stimmen wie die AfD über Mandate verfügt.
Update 11.25 Uhr: Bei der Wahl des Thüringer Ministerpräsidenten ist der amtierende Regierungschef Bodo Ramelow im ersten Durchgang erwartungsgemäß durchgefallen. Der Linke-Politiker verfehlte am Mittwoch bei der Abstimmung im Landtag in Erfurt die erforderliche absolute Mehrheit ebenso wie sein parteiloser Gegenkandidat Christoph Kindervater, der von der AfD ins Rennen geschickt worden war.
Auf Ramelow entfielen 43 Stimmen, Kindervater bekam 25 Stimmen. Abgegeben wurden 90 Stimmen, die alle gültig waren. Damit hat Ramelow eine Stimme mehr bekommen, als das rot-rot-grüne Lager Sitze hat. Der AfD-Kandidat Kindervater bekam 3 Stimmen mehr als die AfD Mandate besitzt. Auf Antrag der AfD-Fraktion wurde die Abstimmung nach dem ersten Wahlgang für etwa 30 Minuten unterbrochen. Gegen 12 Uhr sollte die Abstimmung fortgesetzt werden.
Update 10.30 Uhr: Kurz vor der Ministerpräsidentenwahl in Thüringen hat der SPD-Landesvorsitzende Wolfgang Tiefensee neue Avancen der FDP ausgeschlagen. Dabei ging es um ein Angebot, nach dem unter einem FDP-Ministerpräsidenten die sozialdemokratischen Minister ihr Amt behalten könnten. Dieses sei »ein politischer Dammbruch« und »eine Anmaßung«, schrieb Tiefensee am Mittwochmorgen auf Twitter. Die SPD werde weder im Parlament noch in der Regierung einen Ministerpräsidenten »von Gnaden der AfD« unterstützen.
Unmittelbar vor der Ministerpräsidentenwahl in Thüringen hatte der amtierende Landeschef Bodo Ramelow an die Kompromissfähigkeit der Landtagsfraktionen appelliert. »Demokraten sind gesprächsfähig und gesprächsbereit. Heute heißt es mehr Demokratie und weniger Parteibuch wagen!«, schrieb der Linke-Kandidat, der sich wieder wählen lassen möchte, am Mittwochmorgen beim Kurznachrichtendienst Twitter. Er gehe mit großem Vertrauen in die Ministerpräsidenten-Wahl am Mittwoch. »Meine Hand ist ausgestreckt, um Neues zu wagen«, schrieb Ramelow.
Die Lage in Thüringen ist kompliziert: Die von Ramelow angestrebte Weiterführung eines Bündnisses der Linken mit SPD und Grüne hat im Landtag keine Mehrheit. Im dritten Wahlgang könnte der 63-Jährige aber auch mit relativer Mehrheit gewählt werden. Zudem schickt die AfD den parteilosen Bürgermeister Christoph Kindervater ins Rennen. Aber auch CDU und FDP könnten kurzfristig noch eigene Bewerber aufstellen.
Das sind die Regeln zur Wahl:
- Im ersten Wahldurchgang ist gewählt, wer die absolute Mehrheit im Parlament erreicht. Im aktuellen Thüringer Landtag sind dafür 46 Stimmen nötig.
- Schafft im ersten Wahlgang keiner der Kandidaten die absolute Mehrheit, gibt es eine zweite Runde. Auch hier braucht es wieder die absolute Mehrheit, also 46 Stimmen.
- Scheitern die Kandidaten zum zweiten Mal, heißt es in der Thüringer Landesverfassung: »Kommt die Wahl auch im zweiten Wahlgang nicht zustande, so ist gewählt, wer in einem weiteren Wahlgang die meisten Stimmen erhält.«
- Im zweiten und dritten Wahlgang sind nach Angaben des Thüringer Landtags auch neue Kandidaten möglich. Denkbar sei aber auch, dass Fraktionen ihre Kandidaten wieder zurückziehen.
Streit über die Auslegung der Verfassung gibt es in Thüringen wegen des dritten Wahlgangs. Im Kern geht es dabei um die Frage, ob ein einzelner Kandidat auch mit mehr Nein- als Ja-Stimmen gewählt wäre. Zu dem Thema wurden zwei juristische Gutachten erstellt, die sich gegenüber stehen. Klärung könnte nach Ansicht von Experten nur der Gang zum Verfassungsgerichtshof bringen - nach einer solchen Wahl. Agenturen/nd
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