Gute Parolen zur schlechten Mine

Die diesjährige Siemens-Hauptversammlung in München stand im Zeichen des Klimaprotestes

  • Rudolf Stumberger, München
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Siemens-Aktionäre erlebten am Mittwoch eine turbulente Hauptversammlung in München: Klimaaktivisten unter anderem von Fridays for Future, Extinction Rebellion Deutschland, Campact und dem Antikapitalistischen Klimatreffen München bildeten eine Menschenkette rund um den Tagungsort im Olympiagelände und protestierten so gegen das Projekt einer umstrittenen Kohlemine in Australien. Der deutsche Mischkonzern soll dazu eine Gleissignalanlage liefern. Bei einer Pressekonferenz forderte Helena Marschall von »Fridays for Future« den Ausstieg des Konzerns aus der fossilen Energiebranche.

Der Vertrag von Siemens mit dem indischen Betreiberkonzern Adani, der im australischen Bundesland Queensland Kohle im großen Maßstab abbauen will, wurde von Klimaschutzgruppen auf die Tagesordnung der Aktionärsversammlung gesetzt. Murrawah Johnson vom Rat der indigenen Gruppen der Wangan und Jagalingou in Australien konnte seine Kritik und Forderungen dem Vorstand, Aufsichtsrat und den Aktionären bei einer Rede direkt mitteilen. Möglich wurde dies dank der Unterstützung durch den Dachverband der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre, der rund 600 Anteilseigner vertritt und seit Jahren die Kritik aus der Zivilgesellschaft in die Hauptversammlungen trägt, auch bei Siemens.

Die indigenen Einwohner Australiens wehren sich insbesondere gegen die Darstellung von Siemens-Chef Joe Kaeser, die Wangan und Jagalingou hätten den Bau der geplanten Kohlemine genehmigt. »Unsere Sprecher«, so heißt es zudem in einer Erklärung der Indigenen, »haben den CEO und den Vorstand von Siemens schriftlich um ein Treffen gebeten, um auf unsere anhaltende Ablehnung der Adani-Mine aufmerksam zu machen und um zu zeigen, dass es keine freie, vorherige und informierte Zustimmung für das Projekt gibt.«

Das Projekt soll eines der größten Kohleminen der Welt mit fünf Untertage- und sechs Tagebaustätten, in denen bis zu 60 Millionen Tonnen pro Jahr gefördert werden dürfen. Die Kohle - in 60 Jahren Laufzeit an die 2,3 Milliarden Tonnen - soll per Schiene zum Hafen Abbot Point und von dort nach Indien verschifft werden. Für diesen Transportweg muss zudem ein Kanal durch das Great Barrier Reef, das weltgrößte zusammenhängende Korallenriff der Welt und UNESCO-Welterbe, gebaggert werden.

In der Gegend lebt auch die Autorin Lindsay Simpson, die ein Buch über die Praktiken des indischen Konzerns mit dem Titel »Adani: Auf den Spuren seines schmutzigen Fußabdrucks« geschrieben hat. Auch sie reiste nach München zur Aktionärsversammlung. »Adani macht das Gleiche wie in Indien - die Umwelt zerstören«, ist sie überzeugt. Mit Simpson angereist ist auch Varsah Yajman von »Australian School Strike for Climate«, dem Ableger von Fridays for Future auf dem fünften Kontinent. »Alle wachen jetzt auf wegen der verheerenden Buschbrände«, berichtet die 17-jährige Aktivistin. Falls Siemens den Vertrag mit Adani nicht kündige, werde man zu Hause weiter Front gegen das Unternehmen machen.

Der Vertrag über die Lieferung der Signalanlage für die Kohleeisenbahn mit einem relativ geringen Umfang von 18 Millionen Euro ist mittlerweile zu einem Symbol für die generell umstrittene Geschäftspolitik von Siemens geworden. Der Konzern hatte zwar 2015 angekündigt, sich nachhaltig zu orientieren und ab dem Jahr 2030 CO2-neutral zu produzieren, doch dem Adani-Vertrag trotz einer Intervention von Konzernchef Kaeser vor kurzem zugestimmt. Dieser räumte auf der Hauptversammlung ein, Siemens habe das gesamte Bild des Auftrags in Australien »nicht richtig und rechtzeitig« gesehen. Gleichzeitig verteidigte er die Entscheidung damit, dass Siemens alle gesetzlichen Vorschriften erfülle. Die Kritik wies er scharf zurück: Es sei »fast grotesk, dass wir durch ein Signaltechnik-Projekt in Australien zur Zielscheibe zahlreicher Umweltaktivisten geworden sind«.

Lesen Sie auch: Siemens setzt weiter auf umstrittenes Kohleprojekt - und erntet noch mehr Kritik

Einige von diesen fassen ihre Kritik jedoch viel allgemeiner: »Obwohl Siemens als Konzern breit aufgestellt ist, verharrt der Bereich ›Gas and Power‹ im fossilen Zeitalter und will weltweit am Neubau von Kohle-, Gas- und Ölkraftwerken verdienen«, so Regine Richter von der Umweltorganisation Urgewald. Das sei weder vorausschauend noch einem selbsterklärten Technologieführer würdig. Um die Klimaziele von Paris zu erreichen, dürften keine neuen Kohlekraftwerke gebaut werden. Die Urgewald-Sprecherin fordert stattdessen eine klare Zukunftsstrategie des Konzerns weg von den fossilen Energien.

Dem Protest gegen die Beteiligung von Siemens an der Adani-Mine haben sich mittlerweile auch 16 Ärzteverbände aus neun Ländern angeschlossen. Sie warnen vor den katastrophalen Folgen für Klima und Gesundheit.

- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.