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»Ich muss mir nichts mehr beweisen«
Trainer Wolfgang Wolf peilt mit Lok Leipzig die Dritte Liga an. Zu seinem Job kam er eher unfreiwillig
Am Samstag geht im Cottbuser Stadion der Freundschaft das Spitzenspiel der Regionalliga über die Bühne und Sie reisen mit Lok Leipzig zu Energie Cottbus - 1500 Fans im Gefolge. Ein vorentscheidendes Match?
Also erstens: Es sind weit über 2000 von unseren Jungs dabei, was mich sehr freut. Mich freut auch, dass wir dabei über ein Spitzenspiel reden. Am Anfang der Saison war nicht klar, dass wir so lange oben mitspielen. Und außerdem: Vorentscheidend ist da noch gar nichts. Wir haben noch viele Spiele vor uns. Und beide Vereine werden nicht ohne Niederlagen durch diese Saison gehen.
Er ist ein Pfälzer Urgestein: Für den 1. FC Kaiserslautern absolvierte Wolfgang Wolf von 1978 bis 1988 insgesamt 248 Spiele in erster Bundesliga, DFB- und UEFA-Pokal, ehe er als Trainer Karriere machte.
Als Coach betreute er unter anderem den VfL Wolfsburg, den 1. FC Nürnberg und den 1. FC Kaiserslautern in der ersten und zweiten Bundesliga. Nach längerer Abwesenheit vom Profifußball übernahm er 2019 beim Regionalligisten 1. FC Lokomotive Leipzig zuerst den Job des Sportdirektors und wenig später auch das Amt des Cheftrainers. Im Gespräch mit Jirka Grahl erzählt er, weshalb er sich eigentlich schon vom Fußball verabschiedet hatte, was ihn bewog, wieder auf der Trainerbank Platz zu nehmen, und wie sehr ihn die Fußballstadt Leipzig überrascht hat.
Die Cottbuser erscheinen dem Papier nach als Favorit. Wie schätzen Sie Energie ein?
Ich weiß nicht, warum die der Favorit sein sollen? Sehe ich nicht so! Klar, Cottbus hat sich enorm entwickelt, Pele Wollitz hat eine spielstarke Mannschaft zusammengestellt, mit einem überragenden Sturm. Die werden am Samstag versuchen, das Spiel zu machen. Und wir haben natürlich was dagegen. Das wird interessant!
Ihr Sohn Patrick spielt seit 2018 bei Lok, 2019 wurden Sie dort Sportdirektor, seit Oktober sind Sie auch noch Chefcoach. Haben Sie geahnt, dass es so kommen würde?
Nein, nein, das hat sich zufällig ergeben. Ich habe wegen meines Sohnes öfter im Stadion gesessen und zugeschaut. Irgendwann haben mich die Verantwortlichen gebeten, ein Konzept zu entwickeln, wie man den Verein sportlich auf eine andere Ebene bringen kann. Ich habe gesagt: »Ihr müsst jemanden holen, der diese Dinge umsetzt. Einen, der Erfahrung hat mit der Liga und Kontakte zu Spielerberatern. Der eine Mannschaft aufbauen kann.« Wir haben Namen diskutiert. Und am Schluss haben sie gesagt: »Wir möchten Sie!« Ich wollte keinen Job, aber die haben mir keine Ruhe gelassen. Schließlich habe ich zugesagt - als Sportdirektor. Dann ist an einem Donnerstag der Trainer zurückgetreten: Samstag war Spiel, und ich war der Einzige, der die Mannschaft kannte - was sollte ich da machen? Da gab’s nicht viel zu überlegen.
Nun bleiben Sie statt bis zur Winterpause sogar bis Ende der Saison Chefcoach?
Ich hatte keine Wahl. Es steht mittlerweile fest, dass unser Hauptsponsor ETL aussteigt. Soll ich zu diesem Zeitpunkt einen neuen Trainer holen? Der verliert dann vielleicht vier, fünf Spiele, dann haben wir wieder eine Baustelle am 30. Juni. Wir arbeiten jetzt bis zum Sommer so weiter. Dann wissen wir auch, wie es finanziell weitergeht Da kann der neue Trainer ansetzen.
Sind Sie nach Leipzig gezogen?
Mein Hauptwohnsitz ist in der schönen Pfalz, Bad Dürkheim. Ich habe aber eine Wohnung hier mitten in Leipzig - klar. Ich bin allerdings kaum zu Hause.
Vor Ihrem Engagement in Leipzig lag eine lange Pause. 2015 hatten Sie beim 1. FC Nürnberg als Leiter der Fußballabteilung aufgehört. Die Zeit bis 2019 - war das Arbeitslosigkeit oder bewusste Pause?
Ich wollte das so. Eigentlich wollte ich den Job nicht mehr machen: Mein Bruder ist 2013 gestorben. Arno war so was wie meine rechte Hand; auf ihn konnte ich mich verlassen, der hat für mich in aller Welt Spieler angeschaut und hergeholt. Er hat genauso getickt wie ich. Sein Tod hat mich übers Leben nachdenken lassen. Meine Frau und ich, wir haben uns schließlich gesagt: »Lass uns aus unserem Leben noch was machen! Ohne Hektik und Stress!« Ich wollte ihr einfach etwas zurückgeben. Jetzt muss sie noch mal ein bisschen zurückstecken - bis zum 30. Juni. Dann wird’s wieder besser.
Bevor Ihr Sohn zum 1. FC Lokomotive Leipzig kam, hatten Sie da irgendeine Beziehung zum Fußball in dieser Stadt?
Nein, gar nicht. Als ich aber hierherkam, habe ich gestaunt: Oh, hoppla, was ist denn hier los? Riesengroßes Trainingsgelände! Schönes, altes Stadion! Da habe ich mich mal in die Klubhistorie eingelesen. Jetzt weiß ich schon, was für ein Klub das mal war und wo er eben wieder hin will.
Leipzig ist wirklich eine Fußballstadt. Hier wurde der DFB gegründet, der VfB Leipzig als Lok-Vorläufer war der erste Deutsche Meister. Heute gibt es neben RB Leipzig und Ihrem Verein auch noch den Lok-Erzrivalen BSG Chemie Leipzig. Ist denn Leipzig nicht zu klein für drei Vereine? Für einen Bundesliga-Riesen und zwei ambitionierte Regionalligisten?
Ach was, nein! Erstens mal bin ich von Leipzig total überrascht. Ich finde, die Stadt ist wirklich lebendig, ich fühle mich unwahrscheinlich wohl hier. Und dass unsere Freunde von RB eine ganz andere Liga sind, das ist auch klar. Wir wollen mit Lok die klare Nummer zwei sein. Das haben wir uns auf die Fahne geschrieben. Das verträgt die Stadt locker.
In dieser Saison gab’s eine einzige Niederlage - gegen Chemie: Hat’s geschmerzt?
Ja klar. Die Niederlage allein tat schon weh, und dann noch im wichtigsten Spiel, im Derby! Das war doppelt schade. Aber wir sehen uns ja noch ein zweites Mal in dieser Saison.
Wie ist Ihre Beziehung zu den Fans?
Sehr gut. Ich habe mit allen Fan-Gruppen gesprochen, mit allen Vorsitzenden, habe mich da vorgestellt. Die Fans unterstützen uns, wo es geht. Wir haben auswärts meist mehr Zuschauer dabei als die Gegner zu Hause.
Die Chemiker gelten als der linke Klub, in den Reihen der Lok-Fans gibt es Leute, die bei rechtsradikalen Gewaltaktionen aufgetaucht sind. Haben Sie sich mit dieser Problematik auseinandergesetzt?
Dem Thema bin ich noch nicht begegnet. Das ist typisches Schubladen-Denken, finde ich. Und wenn der Verein und die Fangruppe in einer Schublade drinstecken, kommen die da nicht raus. Von all dem habe ich hier überhaupt nichts erlebt. Wenn einer im Trikot eines Vereins Mist baut, dann hat der das selbst zu verantworten. Das muss man so differenziert sehen, finde ich. Das gilt auch für die Chemiker, die haben das Schubladen-Problem - andersherum. Wir sind in guten Gesprächen mit unseren Jungs, und ich glaube, die Chemiker genauso. Die Rivalität gehört einfach dazu - wenn alles vernünftig abläuft. Ich hoffe, dass es beim Rückspiel friedlich bleibt. Es ist Fußball: Die Chemiker spielen gegen den Abstieg, und wir versuchen, oben dranzubleiben.
Wie dringend braucht der 1. FC Lok den Aufstieg in die Dritte Liga?
Er ist dieses Jahr nicht zwingend notwendig - aber in den nächsten zweieinhalb Jahren wollen wir es schaffen.
Weil die Regionalliga noch immer die schwierigste Liga ist für einen Verein?
Ja. Viele Regionalligisten haben das Profitum eingeführt. Der Aufwand ist derselbe wie bei den großen Klubs: Spielerbeobachtung, große Kader, Pressesprecher, Interviews für Fernsehsender und Zeitungen. Eines aber fehlt den Regionalligisten an allen Ecken und Enden: das Geld.
Sie sind seit 25 Jahren Trainer, was unterscheidet einen Fußballer, der Ihnen anno 2020 entgegentritt, von einem Kicker 1995?
Vieles. Damals waren Spieler froh, wenn es überhaupt Vertragsangebote gab. Keiner hatte Berater, keiner redete rein. Keine Handys, keine Nebenschauplätze. Man hat Fußball geliebt. Keiner wusste, ob er vom Fußball würde leben können. Jeder musste die Gelegenheit beim Schopf packen. Profiverträge waren gedrittelt: Grundgehalt, Auflaufprämie, Punktprämie. Du musstest Leistung bringen, das Geld lag nicht auf der Straße. Und Trainer wurden respektiert. Wenn ein Coach damals gesagt hat: »Du gehst hier rechtsrum!« Dann hast du nicht dreimal nachgefragt. Sondern du bist los, rechtsrum! Wenn ich heute einem sage: »Rechtsrum!«, dann guckt der im Laptop nach und fragt: »Wieso?«
Was können Spieler heute besser?
Geld ausgeben. Weil sie mehr haben. Die werden damit zugeschüttet.
Und die technischen Fähigkeiten?
Ach was! Wir konnten früher auch Fußball spielen. Als Spieler war ich dabei, als wir mit Kaiserslautern Real Madrid im UEFA-Cup 5:0 besiegt haben. 1982. Mein Sohn sagt heute: »Ihr habt kein Pressing gespielt, keinen Ein-Kontakt-Fußball, und ihr seid nicht so viel gelaufen.« Ich hab uns die DVD vom Spiel besorgt und man sieht: Kaiserslautern hat Pressing gespielt, ist viel gelaufen. Nur die Abstände zwischen den Spielern waren vielleicht ein bisschen größer. Aber klar: Dinge verändern sich. Der Fußball hat sich weiterentwickelt, so wie die Menschen auch.
Als Spieler und Trainer waren 1. und 2. Bundesliga Ihr Zuhause: Haben Sie nicht mal gedacht: Regionalliga ist nix für mich?
Nein, noch nie. Ich muss mir nichts mehr beweisen, und ich bin von den Leuten überzeugt, die hier soviel Herzblut reingeben. Mit Geld konnte Lok nicht locken.
Was haben Sie denn Neues erfahren als Coach in der Regionalliga?
Das, was ich einst in meinen ersten Jahren bei Kaiserslautern erfahren habe: Dass ein Wort wieder ein Wort ist. Dass die Ärmel hochgekrempelt werden. Dass alle an einem Strang ziehen. Und dass die Menschlichkeit im Vordergrund steht. Nicht der schnöde Mammon, nicht das schnöde Geld. So ist das in Leipzig, das fasziniert mich. Die Ehrenamtler arbeiten hier ohne Ende, da kann ich kaum sagen: »Na, ich bin der Herr Wolf, jetzt trainiere ich kurz und mache früh Schluss!« Ich habe Zehn-, Elf-Stunden-Tage - wie die anderen auch. Die haben mich angesteckt.
Was würden Sie als Ihren größten Erfolg als Trainer bezeichnen?
Puh! Mit den Stuttgarter Kickers aus der Oberliga in die zweite Liga, das war sensationell. Oder mit Wolfsburg ’98 die Klasse halten und ’99 in den UEFA-Cup kommen. Mit Nürnberg 2004 in die erste Liga aufsteigen. Ein Erfolg ist auch, immer Kontakt gehalten zu haben zu Spielern aus allen Vereinen, die ich trainiert habe. Da habe ich wohl vieles richtig gemacht.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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