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Auf dem rechten Weg
Der Hass des deutschen Bürgers auf die Linken ist stärker als die Scheu vor den neuen Rechten
Es ist schade: Da wird zum ersten Mal seit langer Zeit wieder ein Politiker der FDP zum Ministerpräsidenten eines Bundeslandes gewählt - und dann gibt’s von ihm kaum etwas zu erleben. Andererseits ist für den Ministerpräsidenten einer Partei, die bei den Wahlen fünf Prozent der Stimmen erhalten hat, eine Amtszeit von einem Tag doch ziemlich angemessen. Dennoch hätte man gern beobachtet, wie Thomas L. Kemmerich sein Versprechen wahr gemacht hätte, Politik ohne einen »Hauch von Faschismus« zu betreiben. Das »Kabinett Kemmerich« hätte allen Forderungen der AfD eine Absage erteilt, der Partei, der es seine Existenz verdankte? Kemmerich hätte stattdessen im Einvernehmen mit Linken, Sozialdemokraten und Grünen die Grenzen für Flüchtende offengehalten, den Ausbau der Windenergie vorangetrieben und noch mehr Geld für sozialen Ausgleich bereitgestellt? Oder etwa nicht?
Unter den vielen Lügen, die am vergangenen Mittwoch aus den Mündern von Liberalen und Christdemokraten purzelten, war auch die von Christian Lindner, das Wahlverhalten der Thüringer AfD-Fraktion sei »nicht von Übereinstimmung in der Sache, sondern rein taktisch motiviert« gewesen. Ihm müssen die Reden entgangen sein, in denen Björn Höcke im Thüringer Landtag die inhaltlichen Gemeinsamkeiten der »bürgerlichen Parteien« in der Migrations-, Bildungs- und Umweltpolitik beschworen hatte. Im Osten Deutschlands, dem politischen Experimentallabor der Republik, kündigt sich schon seit einiger Zeit die Rechtsfront an. Dass der erste Anlauf in Thüringen unternommen wurde, ist kein Zufall, ist die Rechtsfront doch die Antwort auf das rot-rot-grüne Projekt, dessen Geburtsurkunde, die »Erfurter Erklärung« von 1997, ebenfalls in Thüringen ausgestellt wurde. Für die Thüringer wie für alle ostdeutschen Christdemokraten und Liberalen gilt: Ihr Hass auf alles Linke, selbst wenn es sich so harmlos sozialdemokratisch zeigt wie Rot-Rot-Grün in Thüringen, ist deutlich stärker als die Scheu vor den neuen Rechten, die nicht selten frühere Parteifreunde sind.
Noch ungeordnet versammelt hatte sich die Rechtsfront schon 2014 vor der Wahl Bodo Ramelows zum Ministerpräsidenten. Auf dem Erfurter Domplatz zündeten Politiker von CDU, FDP und AfD damals bei einer Mahnwache gemeinsam Lichter an gegen die drohende kommunistische Finsternis. Ein paar Neonazis waren auch mit dabei. Die Ausrede war damals auf der Straße die gleiche wie heute im Parlament: Wir können doch nichts dafür, wenn auch die Faschisten uns unterstützen! Die Beziehungen, die damals geknüpft wurden, sind nie wieder abgerissen. Der CDU-Fraktionsvize Michael Heym, der auf dem Domplatz schon »Ramelow, hau ab!« gebrüllt hatte, war nach der vergangenen Landtagswahl der Erste, der laut nach einer Zusammenarbeit mit der AfD rief. Björn Höcke bot CDU und FDP prompt an, die »konservativ-bürgerliche Mehrheit« im Landtag zur Zusammenarbeit zu nutzen. Warum eine »bürgerliche Mehrheit« mit der AfD nicht möglich sei, fragte auch die Journalistin Wiebke Binder im MDR nach der Thüringer Landtagswahl den verdutzten CDU-Politiker Marco Wanderwitz. Dass Wanderwitz eine Zusammenarbeit mit der AfD umgehend ablehnte, macht ihm Ehre. Doch seine Behauptung, die AfD sei in Wahrheit gar nicht »bürgerlich«, ist Selbstbetrug. Ein zusammenfantasiertes Idealbild des Bürgers tritt an die Stelle der Wirklichkeit.
Die deutsche Sprache kennt nur den »Bürger«, ihr fehlt die französische Unterscheidung zwischen »citoyen« und »bourgeois«. Das trägt einerseits zur Verwirrung bei, weil in der politischen Debatte Staatsbürgertum und bürgerliche Klasse beständig vermengt werden. Andererseits ist die Sprache so auch erfrischend ehrlich, denn die Rechte des Staatsbürgers waren lange tatsächlich Privilegien der gebildeten Besitzbürger und sind es zum Teil bis heute. Wenn die Rechten über »Bürgertum« reden, ist ihnen die Doppeldeutigkeit willkommen. Sich von Proleten, Nichtsnutzen und Fremden abgrenzend, erheben sie sich zu den alleinigen Trägern von Leistung und wahrer Kultur, um zugleich ihr Sonderinteresse als das der gesamten Bürgerschaft auszugeben. Manchmal sind die Arbeiter so leichtgläubig, darauf hereinzufallen, und schließen mit den Bürgern Burgfrieden.
Gern wird auch mit der Formel »bürgerliche Demokratie« die Behauptung verbreitet, der Bürger sei naturwüchsig Demokrat. Aber den Urvätern der bürgerlichen Philosophie war der staatliche Schutz des Eigentums und der Freiheit, ungestört Geschäfte zu machen, immer wichtiger als die Volksherrschaft. Die bürgerliche Demokratie war Anfang des 20. Jahrhunderts noch nicht einmal vollständig verwirklicht, da machten die besorgten Bürger jener Epoche sich schon daran, sie aus Sicherheitsgründen wieder abzuwickeln. Der Mittelstand war es, der an der Wahlurne Mussolini und Hitler zur Macht verhalf - im festen Glauben, nur die autoritäre Herrschaft könne das Abendland und die Sparbücher vor den Kommunisten retten.
Aus soziologischer Sicht ist die AfD zweifellos eine bürgerliche Partei. Ihre Bundestagsfraktion besteht fast ausnahmslos aus akademisch gebildeten Herren, die all jene Künste der Distinktion beherrschen, die unter dem Titel »Bürgerlichkeit« bekannt sind. Neben der großen Zahl von Professoren, Anwälten und Journalisten fällt vor allem die Unmenge von Managern und Wirtschaftslobbyisten auf. Offenbar fungiert die AfD nicht zuletzt als Kampfreserve der ökonomischen Elite für besonders schmutzige Zeiten. Die beiden Fraktionsvorsitzenden, Alexander Gauland und Alice Weidel, verkörpern das politische Bündnis von kulturkonservativem Bildungs- und neoliberalem Wirtschaftsbürgertum. Auch die Wählerschaft der AfD ist, wie inzwischen hinlänglich bekannt, keine Vollversammlung der »Abgehängten«. Zwar wählen besonders im Osten auch viele Arbeiterinnen und Arbeiter die Völkisch-Autoritären, doch bleibt die Kernwählerschaft wie vor hundert Jahren die rastlose Mittelschicht, die neidisch nach oben und angstvoll nach unten blickt.
Seit Sarrazin tobt im deutschen Bürgertum - angeheizt durch Finanzkrise und Migrationsdebatte - eine Untergangspanik, die immer offener und aggressiver nach autoritärer Erlösung ruft. Beunruhigend ist das, weil die politische Linke in unseren Tagen tatsächlich überhaupt nicht bedrohlich, sondern schwach und zahnlos ist. Was wäre erst los, wenn wirklich grundsätzliche gesellschaftliche Alternativen in Sichtweite rückten? Die Bürger, die heute verkünden, man müsse die Demokratie gegen den Sozialismus verteidigen, wären die Ersten, die nach der Diktatur riefen, bedrohte ein demokratischer Sozialismus einmal wirklich ihre Privilegien. Da die gesellschaftlichen Verteilungskonflikte sich in Zukunft schon wegen des Klimawandels weiter verschärfen werden, können wir heute schon sicher sein, dass das letzte Wort in Sachen Rechtsfront noch nicht gesprochen ist - weder in Thüringen noch anderswo.
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