U-Bahn in der Investitionsfalle
Veraltete Werkstätten verschärfen den Wagenmangel im Untergrund
Der kommende Montag ist ein entscheidender Tag für die Berliner U-Bahn. Das Kammergericht wird erneut darüber verhandeln, ob die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) endlich neue Fahrzeuge bestellen dürfen - es geht um bis zu 1500 Wagen, die in den nächsten 15 Jahren geliefert werden sollen. Der unterlegene Bieter Alstom hatte gegen die Entscheidung der BVG geklagt, den milliardenschweren Auftrag an die Pankower Dependance des Schweizer Schienenfahrzeugherstellers Stadler zu vergeben. Am ersten Verhandlungstag im November hatte der französische Konzern Alstom gegen den wiederholt erklärten Willen des Gerichts auf einem Urteil bestanden (»nd« berichtete) - nun könnte es fallen.
Angesichts der Lage - rollendes Material hätte schon vor Jahren bestellt werden müssen, auf mehreren Linien wurde der Fahrplan im vergangenen Jahr aufgrund des Mangels gestreckt - ist am Montagabend das Interesse groß, als Nicole Grummini, Chefin des Betriebszweigs U-Bahn der BVG, in der Technischen Universität zur öffentlichen Vorlesung über die »Zukunft der U-Bahn« angekündigt ist. Das Audimax ist gut gefüllt.
Die Zukunft beginnt bei Grummini allerdings erst um das Jahr 2027. Dann sollen die Züge der U5 und der U8 weitgehend automatisch fahren können. Jedoch weiterhin mit besetzten Führerständen. Die Fahrer haben im Regelfall dann nur noch die Aufgabe, nach beendetem Fahrgastwechsel die Türen am Bahnhof zu schließen und per Knopfdruck den Zug in Bewegung zu setzen. Automatisch fährt er bis zum nächsten Bahnhof. Das Fahrpersonal kann allerdings jederzeit eingreifen und den Zug beispielsweise anhalten, falls das nötig ist. Auch diese Modernisierung kam nicht aus der BVG heraus, sie wurde ihr von außen aufgezwungen. Der Signaltechnikhersteller hatte angekündigt, keine Ersatzteile mehr für die DDR-Technik auf der U5 zu liefern.
Unterlassen hat die BVG in den letzten Jahrzehnten auch die Modernisierung der Werkstätten. Denn der Wagenmangel rührt auch daher, dass überproportional viele Züge nicht fahren, weil sie Reparaturbedarf haben. Geschätzt 300 Millionen Euro sollen in den nächsten Jahren in den Ausbau der vier Standorte investiert werden, kündigt Grummini an. Beispielsweise soll in Britz an der U7 eine zusätzliche Halle zur Entfernung von Graffiti entstehen. »Wir haben heute nur ein einziges Gleis zur Beseitigung von Graffiti im ganzen Netz in Grunewald«, sagt die U-Bahn-Chefin.
Konkret bedeutet das, dass nur für die Linien U1 bis U4 des sogenannten Kleinprofils überhaupt eine entsprechende Einrichtung zur Verfügung steht. Die etwas breiteren Züge des Großprofils der U5 bis U9 können den Standort überhaupt nicht anfahren. Vor diesem Hintergrund erscheint das Wehklagen der BVG über den Graffiti-Tourismus in die Hauptstadt in anderem Licht. Neu ist das Phänomen wahrlich nicht - doch Maßnahmen, damit adäquat umzugehen, wurden lange nicht ergriffen. Und so stehen mehr besprühte Züge als nötig auf Abstellgleisen. Was zum nächsten Problem führt. »Je länger die Graffitis auf den Lack einwirken können, desto aufwendiger wird die Entfernung«, verrät ein Insider.
»Wir sind bei der Planung der Werkstatt gerade in der Leistungsphase 3«, erklärt Grummini. Übersetzt heißt das, dass gerade mal die Entwurfsplanung erstellt wird. Laut der verbindlichen »Honorarordnung für Architekten und Ingenieure« folgen noch Genehmigungsplanung, Ausführungsplanung, die Vorbereitung der Vergabe, die anschließende Mitwirkung bei der Bewertung der Gebote und schließlich die Bauüberwachung. So werden also noch einige Jahre vergehen, bis die Neubauten in Betrieb genommen werden können.
Es gibt noch viele weitere Probleme in dem Bereich. »In der Hauptwerkstatt Seestraße haben wir nur Abnahmegleise für Vier-Wagen-Züge«, berichtet Grummini. Das bedeutet: Jeder reguläre Sechs-Wagen-Zug muss in zeitraubenden Rangiermanövern geteilt werden. Nach nd-Informationen spart die BVG auch bei der Vorhaltung von Ersatzteilen. Die S-Bahn Berlin hat bei vergleichbar großem Wagenbestand viermal so viel auf Lager. Insofern kann man Nicole Grummini nur zustimmen, wenn sie sagt: »Die U-Bahn ist ein zuverlässiges System, das eine gute Leistung bringen kann. Wenn die Voraussetzungen stimmen.« Derzeit ist das allerdings nur bedingt so.
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