»Vielen Dank und muchas gracias!«

Drei Integrationspreise an Netzwerke in Cottbus, Potsdam und Werder (Havel) vergeben

Türkischer Chor singt bei der Preisverleihung im Stadthaus.
Türkischer Chor singt bei der Preisverleihung im Stadthaus.

Erst singt ein türkischer Chor - zwölf Frauen, alle schwarz gekleidet, alle mit grünen Schals. Am Donnerstagmorgen werden im Stadthaus Cottbus Integrationspreise verliehen. Dabei tritt auch der Kinderchor der hiesigen Bauhausschule auf. Die Mädchen und Jungen singen: »Jeder ist anders, keiner ist gleich«. Einer der Jungen sitzt im Rollstuhl und kommt nicht allein die Treppe zur Bühne hoch und runter. Zwei Männer tragen ihn.

Gleich 5000 Personen hilft das 2017 gegründete, als Verein organisierte Geflüchtetennetzwerk Cottbus. 25 Flüchtlinge aus Syrien, Afghanistan und Tadschikistan sind Mitglied. Sie wollten nicht von deutschen Behörden und Ehrenamtlichen angeleitet werden, sondern selbstbestimmt Angebote machen. Arabischkurse für Anfänger haben sie beispielsweise im Programm. Sie begleiten Flüchtlinge ins Krankenhaus und dolmetschen dort - auch nachts, wenn es sein muss. Außerdem kümmert sich das Netzwerk darum, dass Flüchtlingskinder an Schulen in Cottbus und Umgebung Unterricht in ihrer Muttersprache erhalten. Denn nur mit solider Kenntnis der eigenen Sprache kann eine Fremdsprache wie Deutsch so erlernt werden, dass man sich gut verständigen kann. Zunächst war der Verein hier und dort zu finden, inzwischen hat er ein festes Domizil im Großenhainer Bahnhof von Cottbus gefunden. Jeder sei willkommen, unabhängig von Geschlecht, Religion und Hautfarbe, versichert Hassan al-Hassan, der aus Syrien kam und sich im Netzwerk engagiert.

Am Donnerstagmorgen wird al-Hassans Verein in Cottbus mit einem von drei Integrationspreisen des Landes Brandenburg ausgezeichnet. Sozialministerin Ursula Nonnemacher (Grüne) übergibt die Urkunden im Stadthaus am Erich-Kästner-Platz gemeinsam mit Bürgermeisterin Marietta Tzschoppe (SPD) und der Landesintegrationsbeauftragten Doris Lemmermeier. Nonnemachers Ressort heißt Ministerium für Soziales, Gesundheit, Integration und Verbraucherschutz. Dass die Frauen nicht mehr in der Bezeichnung auftauchen, obwohl Nonnenmacher wie ihre Vorgängerin Susanna Karawanskij (Linke) für die Frauenpolitik des Landes zuständig ist, trug ihr Kritik ein. Nonnemacher erwähnt das in Cottbus. Auf das I für Integration in der Abkürzung MSGIV sei sie aber stolz, betont die Ministerin. Sie verrät, dass sich bei der Aufstellung des Landeshaushalts durch die rot-schwarz-grüne Koalition »große Deckungslücken« zeigen. Sie werde aber dafür kämpfen, dass die an die Landkreise gezahlte Integrationspauschale erhalten bleibt, obwohl das nicht leicht sei, verspricht Nonnemacher.

Dabei ist die Situation in einigen Städten und Gemeinden schwierig, insbesondere in Cottbus. Nachdem ein syrischer Jugendlicher 2018 bei einem Streit mit einem einheimischen Ehepaar am Eingang des Einkaufszentrums Blechen-Carré ein Messer zog, kamen bis zu 3000 Teilnehmer zu Kundgebungen des asylfeindlichen Vereins »Zukunft Heimat«. Vereinschef Christoph Berndt ist seit September 2019 AfD-Landtagsabgeordneter. »Es gibt Erfolge bei der Integration, auch wenn diese kleingeredet werden«, erklärt Bürgermeisterin Tzschoppe. Flucht und Integration haben die Gesellschaft verändert, ist Tzschoppe überzeugt. Sie sagt: »Wir alle tragen Verantwortung für den Zusammenhalt, der manchmal mehr bröckelt, als wir uns das wünschen.«

In Werder (Havel) haben Bürger angefangen, Verantwortung zu übernehmen, als Ende 2014 bekannt wurde, dass eine syrische Großfamilie mit zwölf Personen in einer Wohnung in der Stadt untergebracht werden soll. Sie sorgten auch später dafür, dass frisches Obst und das Nötigste bereitlagen, wenn Flüchtlinge völlig erschöpft spät abends eintrafen. Als ein Asylheim eingerichtet wurde, gab es mehr Flüchtlinge und damit auch mehr Aufgaben. So ist das Netzwerk Neue Nachbarn gewachsen. Die Kirche und Privatpersonen machen mit. »Wir haben lange überlegt, ob wir uns für den Integrationspreis bewerben«, erzählt Gudrun Lehmann vom Netzwerk. »Denn wir arbeiten ja nicht für einen Preis, sondern für Menschen und mit Menschen.«

Seit 2008 vergibt das Land Brandenburg einmal im Jahr Integrationspreise. 23 Bewerbungen hat es diesmal gegeben. Der Jury, in der Münchebergs Bürgermeisterin Uta Barkusky (Linke) mitwirkte, fiel die Auswahl nicht leicht. Aber die beiden am Donnerstag geehrten Netzwerke haben einen Preis verdient, hieß es von Leuten, die deren Arbeit kennen.

Genauso verdient sei der dritte Preis. Diesen erhält der in Potsdam seit 2015 aktive Verein Mamis en movimiento, der außerdem in elf von zwölf Berliner Bezirken präsent ist und 200 Mitglieder zählt. Er wendet sich an Frauen mit spanischsprachiger Herkunft. Mamis en movimiento heißt soviel wie Mütter in Bewegung. In Potsdam gibt es montags musikalische Früherziehung im Autonomen Frauenzentrum in der Schiffbauergasse und donnerstags Sport in der Turnhalle der Max-Dortu-Grundschule.

Zu den Gründern gehört Lucia Santamaria, die einst aus Spanien nach Potsdam gezogen ist. Für vier Jahre sollte dies ein »vernünftiger Ort« sein, um ihre Doktorarbeit zu schreiben, sagt sie. Doch nach zehn Jahren, als ihre Tochter geboren war, sei ihr klar geworden, dass ihre Kinder hier aufwachsen werden und das sie etwas tun müsse. Inzwischen sei Potsdam für sie und viele andere Mütter aus spanischsprachigen Staaten »Heimat« geworden. Für den Integrationspreis sagt Santamaria: »Vielen Dank und muchas gracias!«

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