Der Eklat von Kopenhagen

Warum 1941 die Freundschaft zwischen Niels Bohr und Werner Heisenberg zerbrach

  • Martin Koch
  • Lesedauer: 5 Min.
Drei Monate nach dem Überfall auf die Sowjetunion, im September 1941, besuchte der deutsche Physiker Werner Heisenberg seinen dänischen Kollegen Niels Bohr im nazi-besetzten Kopenhagen. Was bezweckte er damit? Worüber sprachen die beiden Atomforscher bei ihrem nächtlichen Spaziergang durch einen stillen Park? Diese Frage ist wie kaum eine zweite in der Wissenschaftsgeschichte von Geheimnissen und Mutmaßungen umwittert. Wollte Heisenberg seinen einstigen Mentor über den Stand des alliierten Atombombenprojekts aushorchen? Oder wollte er Bohr gar zur Zusammenarbeit mit den Nazis bewegen? Derartige Absichten wies Heisenberg nach dem Krieg entschieden zurück. Er habe lediglich versucht, erklärte er 1948, die Alliierten vom Bau einer Atombombe abzubringen, da auch die deutschen Forscher sich solchen Plänen gegebenenfalls widersetzen würden: »Ich hätte es auf jeden Fall für ein Verbrechen gehalten, Atombomben für Hitler zu machen.« Lange sahen die Historiker keinen Grund, an Heisenbergs Aufrichtigkeit zu zweifeln. Für den österreichischen Publizisten Robert Jungk waren die deutschen Atomforscher sogar heimliche Widerstandskämpfer gegen das NS- Regime. Denn sie hätten gewusst, wie man eine Atombombe baut, aber von diesem Wissen absichtlich keinen Gebrauch gemacht, schrieb er 1956 in seinem Buch »Heller als tausend Sonnen«, das rasch zum Bestseller wurde. Während Jungk seine Heisenberg-Legende später revidierte, brachte sie der britische Autor Michael Frayn 1998 erneut auf die Bühne, wenn auch in abgemilderter Form. In seinem Stück »Kopenhagen« wird ein von Selbstzweifeln geplagter Heisenberg gezeigt, der bei Bohr Rat und Hilfe sucht: Hat ein Physiker das moralische Recht, an der praktischen Nutzung der Atomenergie zu arbeiten, wenn diese in unsicheren Zeiten zu militärischen Zwecken missbraucht werden kann? Gleichsam als Reaktion auf den weltweiten Erfolg des Stückes hat das dänische Niels-Bohr-Archiv jetzt einen Briefentwurf freigegeben, den Bohr kurz nach jenem Kopenhagener Treffen an Heisenberg schicken wollte, aber nie absandte. Daraus geht hervor, dass der deutsche Nobelpreisträger keineswegs die Absicht hatte, den Bau von Hitlers Atombombe zu sabotieren. Diesem Brief zufolge erklärte er seinem dänischen Kollegen, dass der Krieg mit Hilfe einer solchen Waffe durchaus zu gewinnen sei. Wie Finn Aaserud, der Direktor des Bohr-Archivs, gegenüber der Londoner »Times« betonte, habe Heisenberg keinen Zweifel gelassen, dass er an der Entwicklung der Bombe selbst aktiv mitwirke. Bohr sei deshalb nach dem Treffen tief erschüttert gewesen und habe seinem einstigen Freund und Schüler auch späterhin diese Taktlosigkeit niemals verziehen, obgleich er darüber nie ein öffentliches Wort verlor. Anders als seine Frau Margrethe, die 1963 während einer Konferenz in Kopenhagen mit Blick auf den anwesenden Heisenberg äußerte: »Was immer auch gesagt und geschrieben werden mag, er kam als Feind!« Dass Heisenberg nach dem Krieg viele Legenden über sich und seine Kollegen in die Welt gesetzt hat, meint auch der britisch-amerikanische Historiker Paul Lawrence Rose, dessen unlängst erschienenes Buch »Heisenberg und das Atombombenprojekt der Nazis« (Pendo-Verlag, Zürich 2001, 499 Seiten, 29,90 ) eine heftige wissenschaftshistorische Debatte ausgelöst hat, die in der Aufforderung des Münchner Physikprofessors Helmut Rechenberg gipfelt, man möge die Argumente von Rose einfach ignorieren. Doch für eine solche Zensur gibt es keinen Grund. Denn Rose kann seine These, wonach die deutschen Physiker bis zum Ende des Krieges gar nicht gewusst hätten, wie man eine Atombombe baut, mit Dokumenten überzeugend belegen. Wenn überhaupt, so sein Fazit, dann habe nicht moralische Integrität, sondern schlicht Unwissenheit die Welt vor Hitlers Atombombe bewahrt. Heisenberg war sicherlich kein Nazi, doch als elitär gesinnter Konservativer durchaus nicht abgeneigt, der militärischen Stärkung des Nazi-Reiches zu dienen. Bei seinem Besuch in Kopenhagen habe er »mit großem Vertrauen über den Fortschritt der deutschen Offensive in Russland« gesprochen und betont, wie wichtig es sei, dass Deutschland in Europa eine neue Ordnung schaffe, erinnert sich Bohrs enger Mitarbeiter Stefan Rozental. Und noch im Dezember 1944, als er von seinem Kollegen Gregor Wentzel aufgefordert wurde, die deutsche Niederlage einzugestehen, soll Heisenberg geantwortet haben: »Schön wäre es gewesen, wenn wir den Krieg gewonnen hätten.« Später wollte er von solchen Äußerungen nichts mehr wissen. An die amerikanische Herausgeberin seiner Autobiografie schrieb er 1970: »Dr. Hahn, Dr. Laue und ich fälschten die Mathematik, um die Entwicklung der Atombombe durch deutsche Wissenschaftler zu vermeiden.« Otto Hahn und Max von Laue konnten diese Aussage allerdings nicht mehr bestätigen, sie waren zu jener Zeit schon tot. Sie hätten es vermutlich auch nicht gekonnt, meint Rose, denn Heisenberg habe die Mathematik nicht gefälscht, sondern diese bei der Berechnung der Atombombe falsch angewandt. Zum Beispiel bei der Abschätzung der kritischen Masse einer Uranbombe, die mit mehreren Tonnen Uran 235 viel zu hoch ausfiel. Doch das war keine Täuschung, so Rose, sondern schlicht ein Fehler. Daraufhin wurde die Bombe als langfristige Option von der Nazi-Führung zurückgestellt und die Arbeit seit 1942 auf den Bau eines Uranreaktors konzentriert, der unter anderem das Element Plutonium als potenziellen Kernsprengstoff liefern sollte. Einen weiteren Missgriff gab es bei der Auswahl der Bremssubstanz für einen solchen Reaktor. Denn auf Grund irreführender Messergebnisse des Heidelberger Physikers Walther Bothe wurde Grafit als untauglich verworfen. Stattdessen benutzte man schweres Wasser aus einer norwegischen Fabrik, die 1943 einem schweren alliierten Luftangriff ausgesetzt war. Als neue Versuche schließlich zeigten, dass Grafit sich doch als Bremssubstanz eignet, war es bereits zu spät für einen erfolgreichen Abschluss des Reaktorprogramms. Noch unter britischer Aufsicht in Farm Hall hatten die deutschen Atomforscher anfangs keinen Schimmer, wie den Amerikanern der Bau einer Atombombe geglückt war. Obwohl Rose sich am Ende seines Buches zu der unhaltbaren Behauptung versteigt, Heisenbergs Haltung nach dem Krieg sei der typisch deutschen Fähigkeit zum Selbstbetrug zuzuschreiben, sind die sachlichen Teile seiner historischen Analyse durch Quellen weitgehend abgedeckt. Danach hatte Heisenberg während des Dritten Reiches offenbar nur sehr wenig mit jenen moralischen Bedenken zu kämpfen, die bis heute als Ehrenrettung der deutschen Atomforscher gelten. Und er fuhr auch nicht deswegen nach Kopenhagen, um seiner ethischen und politischen Verantwortung als Wissenschaftler gerecht zu werden, wie Michael Frayn suggeriert, dessen erfolgreiches Theaterstück freilich zu einer Zeit entstand, als der jetzt veröffentlichte Bohr-Brief noch im Archiv ruhte.

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