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  • Münchener Sicherheitskonferenz

Träume im Chaos

«Der Westen siegt!» und andere Merkwürdigkeiten von der Münchner Sicherheitskonferenz

  • René Heilig
  • Lesedauer: 6 Min.

Was hat die Münchner Sicherheitskonferenz mit der Oscar-Verleihung zu tun? Nichts. Das ist bedauerlich. Wie es auch bedauerlich ist, dass kaum jemand hierzulande weiß, dass in Deutschland eine Gewinnerin des begehrten Filmpreises lebt, die in Afghanistan geboren wurde: die 30-jährige Zamarin Wahdat.

Dort spielt der in Hollywood ausgezeichnete Dokumentarfilm «Learning to Skateboard in a Warzone (If You’re a Girl)». Wahdat führte Kamera, war Regieassistentin. Der Film zeigt Mädchen, die auf einem besonders geschützten Gelände in Kabul zur Schule gehen und dort lernen, Skateboard zu fahren. Und zu träumen. Eine will Pilotin werde, eine Lehrerin, eine Ärztin ...

Es wäre womöglich hilfreich gewesen, wenn die Veranstalter der Sicherheitskonferenz diesen Film in München gezeigt hätten und die 450 hochrangigen Entscheidungsträger aus aller Welt zum Tagungsende gefragt hätten: Wie habt ihr die Mädchen ihren Träumen näher gebracht?

Auch nach 19 Jahren westlicher «Wertevermittlung» ist das Land am Hindukusch Todeszone Nummer 1. Der Krieg kostete bereits mindestens 90 000 Menschen das Leben. Was hat man zudem in München für Jemen getan, wo Menschen vor der Wahl zwischen Kugel oder Cholera stehen? Wieder aufgeflammte ethnische Konflikte in Äthiopien sprechen nicht dafür, dass Premier Abiy Ahmed 2019 den Friedensnobelpreis zurecht bekam. Wachsender Terrorismus in Afrikas Sahelzone sorgt für immer größere Flüchtlingsströme. Dass sich nach der im Januar von der deutschen Regierung initiierten Libyen-Konferenz etwas zum Guten wendet, ist nicht erkennbar. In Syrien wird gerade das letzte Rebellengebiet attackiert. Was folgt? In und um Iran wächst das Potenzial zu einem internationalen Konflikt. Die Nuklearmächte Indien und Pakistan sind verfeindeter denn je. Der angekündigte atomare Abrüstungsprozess auf der koreanischen Halbinsel ist keiner. Das kollabierende Venezuela hält Militärmanöver ab. Ob der Konflikt im ukrainisch-russischen Grenzgebiet zumindest eingefroren bleibt, hängt an zu vielen Unsicherheiten.

Vor sechs Jahren lautete der Befund des Bundespräsidenten Joachim Gauck auf der Sicherheitskonferenz: Die Welt «ist in Unordnung». Der Ex-Pfarrer forderte, dass Deutschland global mehr Verantwortung übernehmen müsse. Wer der diesjährigen Eröffnungsrede von Gaucks Nachfolger, Frank-Walter Steinmeier (SPD), zuhörte, musste erkennen: Die Welt in Unordnung - das war einmal. Wir sind weiter ans Chaos heran- und weiter abgerückt von kollektiven Sicherheitslösungen. So spielten die UNO oder die OSZE in München nicht einmal eine Rolle am Rande.

Steinmeier prangerte eine «zunehmend destruktive Dynamik in der Weltpolitik» an und beklagte, dass man sich vom Ziel internationaler Zusammenarbeit zur Schaffung einer friedlicheren Welt von Jahr zu Jahr weiter entferne. Der Präsident sprach von einer Erosion der internationalen Beziehungen und nannte die Verantwortlichen: Russland verschiebe Grenzen mit militärischer Gewalt. China miss- und verachte ebenso das Völkerrecht. Als Steinmeier auf die Rolle der USA zu sprechen kam, wurde es still im Saal. So konnte jedermann vernehmen: «Die Vereinigten Staaten von Amerika erteilen unter der jetzigen Regierung der Idee der internationalen Gemeinschaft eine Absage.» Gerade so, als wäre an alle gedacht, wenn jeder an sich denkt. Notfalls auf Kosten der Nachbarn? «Anders als früher können wir 2020 nicht mehr davon ausgehen, dass die großen Mächte ein Interesse an gelingender europäischer Integration haben. Jeder sucht eigene Vorteile. Steinmeier beschwor die Zuhörer: »Europa darf nicht scheitern.«

Reicht es dann, wenn man die alten Instrumente nur neu justieren will? Das deutsche Staatsoberhaupt jedenfalls will gewährleisten, dass NATO und EU nicht gegeneinander ausgespielt werden. In diesem Sinne warb Heiko Maas, Steinmeiers SPD-Parteifreund und sein Nachfolger im Amt des Außenministers, für den Aufbau einer Europäischen Verteidigungsunion - als Pfeiler innerhalb der NATO. »Gemeinsam mit Frankreich arbeiten wir intensiv daran - und wir werden auch Präsident Macrons Angebot eines strategischen Dialogs aufgreifen.« Maas versprach: »Deutschland ist bereit, sich stärker zu engagieren, auch militärisch.« Allerdings eingebettet »in eine politische Logik«.

Deren Konturen blieb Maas allerdings schuldig. Ebenso die für Verteidigung zuständige Kabinettskollegin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU), die mit gestanzten Worten Europa und gerade Deutschland in der Pflicht sieht, »mehr Handlungsfähigkeit und mehr Willen zum Handeln zu entwickeln«. Diese Stichworte nahm Frankreichs Präsident Emmanuel Macron gern auf. Sein Auftreten war mit Spannung erwartet worden, schließlich hatte er sich beim Versuch, die »Grande Nation« wieder groß zu machen, mehrfach wider die USA vorgewagt. Geradezu gezähmt betonte er in München, ein »Europa der Verteidigung« sei ausdrücklich kein Projekt gegen die NATO. Etwas ungeduldig forderte er »klare Antworten« Deutschlands und Frankreichs auf die derzeitigen Probleme in Europa und auf Herausforderungen in 20 oder 30 Jahren. Zumal die USA eine Politik trieben, die »einen gewissen Rückzug und ein Überdenken ihrer Beziehung zu Europa« beinhalte.

Immerhin, in Macrons Rede kamen Begriffe wie Klimaschutz und Künstliche Intelligenz vor. Und das Wort »Atomwaffen«. Er wisse, wie schwierig eine Diskussion darüber in Deutschland sei, doch: Er biete »einen strategischen Dialog mit allen Partnern, die das wünschen, auch im atomaren Bereich«. Vage blieb Macron auch bei seiner Anregung, einen Dialog mit Russland zu beginnen, denn zugleich bezichtigte er Moskau - wie die Masse im Saal - es wolle die westlichen Demokratien vor allem durch Cyberangriffe destabilisieren.

Und was war vom Abgesandten des US-Präsidenten in München zu vernehmen? Eine Rede von Außenminister Mike Pompeo, in der von Nachdenklichkeit keine Spur war: Russland böse! China böse! Iran böse! USA gut, denn die haben die NATO in Osteuropa gestärkt und mit dem Rückzug aus dem INF-Abrüstungsvertrag Russland in die Schranken gewiesen. Als Trumps Vertreter reklamierte er den Sieg über den Islamischen Staat für die USA. Sein Land wolle nun per Milliarden-Euro-Spritze die energiepolitische Abhängigkeit ost- und mitteleuropäischer Staaten von Russland beenden. Durch mehr Abhängigkeit von den USA.

Skepsis im Saal ließ der einstige CIA-Boss ebenso wenig zu wie bereits geäußerte sicherheitspolitische Nachdenklichkeit aus Berlin und Paris: »Es hat immer Leute gegeben, die alles schwarz gesehen haben«, sagte Pompeo, um dann den ebenso ignoranten wie arroganten Merksatz der Supermacht USA zu verkünden: »Der Westen gewinnt, und wir gewinnen gemeinsam.« Die Drohung in Richtung Paris und Berlin war deutlich.

Russlands Außenminister Sergej Lawrow, der vielen als Syrien-Buhmann gerade recht kam, warnte nachvollziehbar, die zunehmenden Spannungen, der Ausbau der NATO-Infrastruktur Richtung Osten und das Aufpumpen von Verteidigungsbudgets führten zu mehr Unberechenbarkeit. Und dazu, dass »die Struktur der Konfrontation des Kalten Krieges« wiederauflebe.

Was hat die Konferenz nun den Kabuler Skateboard-Mädchen und Gleichaltrigen in aller Welt gebracht? Zukunft? Kaum. Es bleiben Träume.

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