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Auch »bürgerliche« Bässe gegen Hetze
200. Aufmarsch von Pegida in Dresden: Rede von AfD-Politiker Höcke erntet massiven Protest auf Armeslänge
Mancher Demonstrant wirkte unerfahren. Wohin man sich zu wenden habe, fragten ältere Dresdner am Montagabend auf dem Neumarkt der sächsischen Landeshauptstadt verunsichert. Polizisten gaben Orientierung. Zu Pegida: vor die Frauenkirche. Zum »bürgerlichen« Protest: vor das Denkmal von König Friedrich August II. Nur die Unterstützer von Initiativen wie »Hope - fight racism« fanden ihren Weg allein. Sie protestieren seit Jahren beharrlich gegen Pegida: seit Jahren, also auch zum 200. »Spaziergang« des fremdenfeindlichen Bündnisses.
Im Oktober 2014 gingen in Dresden erstmals Anhänger der Bewegung auf die Straße, die sich »Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes« nennt. Ihre Hochzeit erlebte sie, als 2015 viele Flüchtlinge in die Bundesrepublik kamen. Im Januar 2015 brachte Pegida 25 000 Anhänger auf die Straße. Seither flaute der Zustrom ab. Zuletzt kamen jeweils 1000 bis 2000 Getreue, teils gab es lange Pausen. Zum Jubiläum nach fünf Jahren und vier Monaten waren es jetzt wieder mehr. Ein Grund: der Gastredner Björn Höcke, Chef der AfD im Thüringer Landtag und für die Pegida-Anhänger »Kanzler der Herzen«, sie ein Transparent kundtat.
Nicht wenige seiner Fans hatten indes Schwierigkeiten, Höcke überhaupt zu verstehen. Das bewirkte der lautstarke Protest Tausender: Trillerpfeifen und Antifa-Parolen bei der Kundgebung von »Hope« und Co., wo Politiker von Linkspartei, Grünen und SPD sowie Gewerkschafter in der ersten Reihe standen, und wummernde Bässe von der Kundgebung »Demokratie braucht Rückgrat«, zu der CDU und FDP aufgerufen hatten. Kurzzeitig führte der hohe Schallpegel fast zur Eskalation. Pegida-Chef Lutz Bachmann drohte, die Kundgebung zu beenden und seine Anhänger aufzufordern, »mit demokratischen Mitteln« auf die Gegner einzuwirken. Die standen teils nur eine Armlänge entfernt. Alle Kundgebungen waren auf dem Neumarkt zugelassen worden, ohne Absperrung und nur durch lose Ketten von Polizeibeamten getrennt.
Dass sogenannte bürgerliche Parteien gegen Pegida auf die Straße gingen, war eine Premiere, die wohl unter dem Eindruck des Wahlskandals in Thüringen zustande kam. So ritt Sachsens CDU-Generalsekretär Alexander Dierks an diesem Abend verbale Attacken gegen Pegida und Gastredner Höcke, mit dem zusammen seine Parteifreunde in Erfurt kürzlich einen FDP-Ministerpräsidenten gewählt hatten. »Gewalt beginnt mit Worten«, sagte er und warf den Rechtspopulisten vor, sie hätten »nichts anderes zu tun, als Hass in unserer Gesellschaft zu verbreiten«. Linksfraktionschef Rico Gebhardt sagte, »endlich« beteiligten sich auch CDU und FDP am Protest: »spät, aber nicht zu spät«. Er dankte zugleich jenen, die schon 200 mal protestiert hätten.
Höcke ruft zum Umsturz auf
Höcke wiederum feierte in seiner Rede sich und seine Partei genüsslich dafür, in Thüringen ein »nationales politisches Beben« ausgelöst zu haben. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) warf er einen »Putsch« vor, weil sie gefordert hatte, die Wahl rückgängig zu machen. Höcke rief quasi zum Umsturz auf: Die, wie er sagte, »verbrauchten Parteien« seien in einer »Herrschaft des Schlechten« verbündet, »die abgelöst werden muss und die wir ablösen werden«.
Während die AfD unter ihrer sächsischen Ex-Frontfrau Frauke Petry noch auf Distanz zu Pegida gegangen war, suchte Rechtsausleger Höcke den Schulterschluss. Die Bewegung auf der Straße nannte er einen »Resonanzraum« für die von der AfD in den Parlamenten betriebene Politik. Ohnehin ist der einstige Abgrenzungsbeschluss längst hinfällig. Höcke trat im Mai 2018 erstmals bei Pegida auf. Am 1. September 2018 liefen führende Köpfe der AfD gemeinsam mit Protagonisten von Pegida an der Spitze eines fremdenfeindlichen Aufmarschs in Chemnitz. Im Oktober 2019, nach der Landtagswahl in Sachsen, ließen sich Landeschef Jörg Urban und André Wendt, Landtagsvizepräsident der AfD, bei Pegida sehen. Zum 200. Spaziergang waren neben Höcke auch der brandenburgische AfD-Fraktionschef Andreas Kalbitz sowie Mitglieder der sächsischen Fraktion gekommen.
Der Schulterschluss erfolgt ungeachtet der Tatsache, dass sich Pegida als eine Art Durchlauferhitzer für Hass und als, wie das Antifa-Rechercheteam Dresden formuliert, »Nährboden für rechten Terror« erwiesen hat. Verwiesen wird auf einen Pegida-Ordner der ersten Stunde, der später Rädelsführer der terroristischen »Gruppe Freital« wurde. Sie hatte Sprengstoffanschläge auf politische Gegner und Flüchtlinge verübt. Auch Mitglieder der »Freien Kameradschaft Dresden«, der Gleiches zur Last gelegt wurde, hatten sich teils bei Pegida getroffen und radikalisiert. Nico K., der 2013 kurz vor dem Tag der deutschen Einheit Sprengstoffanschläge unter anderem auf eine Moschee verübte, war zuvor Redner bei Pegida gewesen.
Die zeitweilige Pegida-Anführerin Tatjana Festerling, die für die Bewegung als Oberbürgermeisterin kandidiert hatte, warb später für militante »Grenzverteidigung« gegen Flüchtlinge in Bulgarien. Und erst am vergangenen Wochenende hatte Kathrin Oertel für Aufsehen gesorgt. Die in der Anfangszeit von Pegida enge Mitstreiterin Bachmanns hatte es nach ihrem Abgang im Zorn zu einiger Prominenz in Talkshows gebracht - und trat beim Naziaufzug anlässlich des 75. Jahrestages der Bombardierung Dresdens mit einem Schild auf, auf dem sie die Befreiung durch die Alliierten als »Holocaust am deutschen Volk« bezeichnet.
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