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Den Mietendeckel austricksen
Eigentümer reagieren mit illegalen Klauseln und dreisten Forderungen auf das Gesetz
Eine »bodenlose Frechheit« nennt Reiner Wild, Geschäftsführer des Berliner Mietervereins, den ihm von »nd« gezeigten Mietvertrag. Die Vivo-Hausverwaltung soll diesen Vertrag Interessenten für eine Wohnung in Berlin-Friedrichshain vorgelegt haben. Sie gehört zum Firmengeflecht des berüchtigten Berliner Immobilieninvestors Gijora Padovicz.
Der Mietvertrag wurde »nd« anonymisiert zugespielt. Paragraf 5 des Vertrags widmet sich dem spätestens nächste Woche in Kraft tretenden Mietendeckel. Mit ihrer Unterschrift sollen die Mieter unter anderem bekunden, dass sie das von der rot-rot-grünen Koalition verabschiedete Gesetz für verfassungswidrig halten, ebenso wie das geplante Einfrieren der Miethöhe auf dem Stand vom 18. Juni 2019. »Der Mieter erklärt ausdrücklich, dass er auf etwaige Rechte aus einem die Wohnraummiethöhe regelnden Berliner Landesgesetz (derzeit bekannt als ›Das Gesetz zur Mietenbegrenzung im Wohnungswesen in Berlin‹) oder einer Landesverordnung verzichtet, bis eine obergerichtliche letztinstanzliche Entscheidung die vorbenannten Rechtsgrundlagen für verfassungskonform und damit rechtswirksam beurteilt«, heißt es.
Die mietvertraglichen Regelungen zum Mietendeckel gipfeln in Absatz 5.2, der ein »außerordentliches Kündigungsrecht gemäß § 313 Abs. 3 BGB« einräumt für »den Fall, dass eine obergerichtliche letztinstanzliche Entscheidung die vorbenannten Rechtsgrundlagen für verfassungskonform und damit rechtswirksam beurteilt«. Damit hätten sich laut Mietvertrag »die Umstände, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert«. Und weiter: »Dass die Parteien diese Änderung nicht voraussehen konnten, ist dem Umstand geschuldet, dass das geplante Gesetzesvorhaben nach weit überwiegender Auffassung verfassungswidrig ist.«
Die Echtheit des sehr authentisch wirkenden Mietvertrags kann durch »nd« nicht überprüft werden. Die Vivo-Hausverwaltung verweigerte auf Anfrage jegliche Auskunft. Die Frau am Telefon war nicht einmal bereit, eine E-Mail-Adresse zu nennen, über die »nd« Fragen zu dem Vorgang an die Verwaltung hätte richten können. Über ein Inserat beim Portal Immobilienscout24 konnte »nd« dennoch eine Nachricht mit Nachfragen senden. Diese blieb jedoch bis Redaktionsschluss unbeantwortet.
Die vom Vermieter »vertretene Rechtsauffassung der Verfassungswidrigkeit des Gesetzes kann nach der Rechtsordnung unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben, dessen Ausfluss Paragraf 313 BGB ist, nicht geschützt sein«, erklärt Reiner Wild vom Mieterverein. Ein Kündigungsrecht für den Fall zu normieren, dass sich ein Gesetz als rechtmäßig herausstellt, verstoße vielmehr gegen den Grundsatz von Treu und Glauben. Außerdem habe der Vermieter »gerade in Kenntnis über den Streit die Klausel verfasst«, so Wild. Für ihn ist klar, dass das vereinbarte Kündigungsrecht nicht wirksam ist. »Die Vertragsklauseln sind nichts als Drohungen, um Mieter und Mieterinnen einzuschüchtern. Eine rechtliche Wirkung entfalten sie nicht«, lautet Wilds Fazit.
Diejenigen, die das Dokument dem »nd« anonym zugesendet haben, gehen in ihrem Begleitschreiben davon aus, »dass es auf der Grundlage solcher Verträge zu zahlreichen Kündigungen kommen könnte, wenn der Mietendeckel gerichtlich bestätigt wird«, und Senat und Bezirke nicht einschritten. »Es würden möglicherweise die Ärmsten der Armen gekündigt, jene die zu wenig Deutsch sprechen, um Mietverträge zu lesen, jene, die nicht ihre Rechte kennen, und jene, die der Wohnungsnot so ausgesetzt sind, dass sie jeden Mietvertrag unterschreiben müssen«, befürchten sie.
Renditeorientierte Immobilieneigentümer versuchen, das künftige Berliner Mietenrecht zu ignorieren. Laut einer Mitteilung des Alternativen Mieter- und Verbraucherschutzbunds hat der Großvermieter ADO Immobilien Management GmbH noch Mitte Januar Mieterhöhungsverlangen für Wohnungen in Charlottenburg und Spandau verschickt. »Da der Mietenstopp am 14. Januar bereits voraussehbar war, müssen die Mieterhöhungen moralisch als unnötige Verunsicherung der Mieterinnen und Mieter verurteilt werden«, erklärt Marcel Eupen, Erster Vorsitzender des Alternativen Mieterschutzbundes. »Die ADO betreibt ein unwürdiges Spiel mit der Angst«, so Eupen.
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