- Politik
- Rechtsterror in Hanau
«Heute ist nicht der Tag für politische Debatten»
Der Wiesbadener Landtag trauert nach dem Hanauer Attentat. Fastnachtsumzug in der Stadt abgesagt. Linke-Politiker fordern entschiedenes Vorgehen gegen Terror
Die Ereignisse im 60 Kilometer östlich gelegenen Hanau verschlugen den Parlamentariern in Wiesbaden die Sprache. Eigentlich sollte der hessische Landtag am Donnerstag in seiner Plenarsitzung routinemäßig die von den sechs Fraktionen beantragten Aktuellen Stunden und eine Fülle weiterer Anträge abarbeiten. Doch angesichts der Meldungen über den Terroranschlag am Vorabend und einen mutmaßlich rechten Hintergrund wurde kurzfristig die Tagesordnung abgesetzt.
So blieb dem Parlament auch eine Aussprache über einen von Beobachtern als «Propaganda» und «Schaufensterantrag» bewerteten Antrag der AfD zum Thema «Hass und Hetze gefährden die Demokratie» erspart.
«Heute ist nicht der Tag für politische Debatten», erklärte Landtagspräsident Boris Rhein (CDU). Die Abgeordneten erhoben sich zu einer Schweigeminute für die Opfer und deren Angehörige. Innenminister Peter Beuth (CDU) verurteilte die Tat «aufs Schärfste» und drückte den Familien der Opfer sein «tief empfundenes Beileid» aus. Regierungsmitglieder und zahlreiche Abgeordnete eilten nach Hanau, wo DGB, Stadtverwaltung und andere Organisationen für den frühen Abend zu einer Mahnwache aufriefen, in die sich auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier einreihen wollte.
Der Donnerstag war laut Kalender «Altweiberfastnacht», also der Tag, an dem im deutschen Süden und Westen um 11.11 Uhr der Straßenkarneval beginnt und verkleidete Narren Rathäuser besetzen. Diese Fröhlichkeit sei nun «wie hinweggeblasen», betonte Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU). Der für Samstag geplante Hanauer Fastnachtsumzug wurde abgesagt. Auf Schock, Trauer und Betroffenheit dürfte nun im politischen Hessen rasch eine Debatte über Rolle und Versäumnisse staatlicher Behörden folgen. «Solange die tägliche rechte und rassistische Hetze vor allem durch die AfD befeuert und nicht geächtet wird, werden sich Täter weiter ermutigt fühlen», heißt es in einer gemeinsamen Erklärung der Linke-Politiker Hermann Schaus aus Hessen, Katharina König-Preuss aus Thüringen und Martina Renner (Bundestag).
Menschen in Synagogen, Moscheen, koscheren Restaurants, Shisha-Bars, Dönerläden, in muslimischen, jüdischen, feministischen und linken Einrichtungen sind ihres Lebens nicht mehr sicher«, so Martin Kliehm, Chef der Linksfraktion im Frankfurter Stadtparlament. »Der Staat muss entschieden gegen rechten Terror und Hass vorgehen und aufhören, von ihm abzulenken und ihn mit der unbrauchbaren Gleichsetzung mit links zu verharmlosen.«
Die von Kliehm beanstandete Gleichsetzung von rechtem Terror und linken Organisationen hat in Hessen Tradition. So biss die Linksfraktion im Landtag jahrelang mit Vorstößen gegen rechten Terror und Bedrohung durch Neonazis auf Granit. Ihre Anträge wurden wiederholt von der CDU und ihren Koalitionspartnern durch Papiere »erledigt«, die sich stets gegen »Extremismus von links und rechts« aussprachen. Jahrelang leugnete Bouffier das Problem mit gewaltbereiten Rechten. »Um Hessen machen Neonazis einen großen Bogen«, sagte der damalige Innenminister 2008 auf einer Pressekonferenz.
Doch im Zusammenhang mit der späten Aufarbeitung des Versagens hessischer Sicherheitsorgane rund um den Mord an dem Kasseler Internetcafébetreiber Halit Yozgat durch die Neonaziterrorbande NSU im Jahr 2006 und dem Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke (CDU) im Juni 2019 wurde einer breiteren Öffentlichkeit bewusst: Gerade Hessen hat ein handfestes Problem mit gewaltbereiten Neonazis.
An Bouffier haftet nach wie vor der Verdacht, dass er 2006 möglicherweise seine schützende Hand über den Verfassungsschutzmitarbeiter Andreas Temme gehalten und die polizeilichen Ermittlungen mit Hinweis auf geheimdienstlichen Quellenschutz gebremst haben könnte. Temme während des Mordes an Yozgat am Tatort.
Später wurde er in das Regierungspräsidium Kassel versetzt. Temme war dienstlich mit dem mutmaßlichen Lübcke-Mörder Stephan Ernst befasst und kannte ihn offenbar auch persönlich. Nach NDR-Recherchen soll Ernst an mehreren AfD-Veranstaltungen teilgenommen und die Rechtspartei im letzten Landtagswahlkampf aktiv unterstützt haben. Ein Untersuchungsausschuss des hessischen Landtags zum Lübcke-Mord und der zweifelhaften Rolle des Landesamts für Verfassungsschutz soll sich im Frühjahr konstituieren.
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