- Politik
- Attac-Urteil
Eine Bedrohung für die Zivilgesellschaft
Kasseler Finanzgericht entscheidet gegen Gemeinnützigkeit der Organisation Attac
Es ist genau ein Jahr her, dass der Bundesfinanzhof Zweifel daran äußerte, dass es sich bei der Nichtregierungsorganisation Attac um einen gemeinnützigen Verein handelt. Eine Sachentscheidung fällte das Bundesgericht allerdings nicht. Dafür war am Mittwoch das hessische Finanzgericht in Kassel zuständig. Die Klage wurde abgewiesen. Dem Gericht waren die Vorgaben des Bundesfinanzhofs zu eng. Es appellierte an das oberste Finanzgericht und die Politik, klare Definitionen zu schaffen.
Um zu verstehen, worum es bei dem Verfahren in Kassel geht, ist ein Blick bis zurück ins Jahr 2014 notwendig. Damals prüfte das Finanzamt Frankfurt am Main, dort hat Attac seinen Hauptsitz, die Gemeinnützigkeit des Vereins. Das Finanzamt entschied, Attac sei nicht gemeinnützig und bemängelte insbesondere das Engagement für eine Finanztransaktionssteuer und eine Vermögensabgabe. Das passe nicht zur bundesweiten Abgabenordnung, in der in 25 Punkten aufgeführt ist, was der Allgemeinheit dient. Zwei Jahre später, im November 2016, entschied das hessische Finanzgericht. »Attac« sei sehr wohl gemeinnützig. Das Gericht begründete sein Urteil damals ausführlich. Die Förderung der Bildung sei »weit zu verstehen«. Es gehe nicht nur um den »Status quo«, sondern auch die »Vermittlung von alternativen Modellen anhand einzelner Ereignisse« sei eine Möglichkeit. Die politische Tätigkeit von Attac sei in ein »umfassendes Informationsangebot« eingebettet worden und habe außerdem der »Förderung des Gemeinwesens und dem Schutz der Umwelt« gedient. Deswegen sei der Verein als gemeinnützig einzustufen. Dagegen beantragte das Frankfurter Finanzamt allerdings Revision - angewiesen vom Bundesfinanzministerium. Der Revisionsprozess vor dem Bundesfinanzhof endete vor einem Jahr mit der Entscheidung, dass gemeinnützige Organisationen kein »allgemeinpolitisches Mandat« hätten. Dies sei in der Abgabenordnung nicht vorgesehen. Die Förderung der Bildung ermögliche nicht, dass sich eine Organisation »in beliebigen Politikbereichen zur Durchsetzung eigener politischer Vorstellungen« engagiere. Mit diesem Hinweis ausgestattet, hatte nun das hessische Finanzgericht wieder zu entscheiden.
Dieses entschied, die Klage von Attac abzuweisen. Während der mündlichen Verhandlung führte der Richter aus, dass der Verein bei seiner politischen Kampagnenarbeit ein breites Themenspektrum abdecke. Dass der Bundesfinanzhof den Fall nach Hessen zurückgegeben hat, erschien dem Vorsitzenden Richter Helmut Lotzgeselle unverständlich. Er bezeichnete dies sogar als »Schwarzer-Peter-Spiel«, da man nun, nach den engen Vorgaben des Bundesfinanzhofs zu entscheiden habe.
Lotzgeselle sparte nicht mit Kritik am obersten deutschen Finanzgericht. Dessen Begriff von politischer Bildung sei klassisch und nicht aufklärerisch. Das Bundesverfassungsgericht habe eine viel umfassendere Definition von Bildung. Der Bundesfinanzhof habe außerdem keine Definition geliefert, was unter »allgemeiner Förderung des demokratischen Staatswesens« zu verstehen ist. Insgesamt sei das Urteil des Bundesfinanzhofes wohl »mit heißer Nadel gestrickt«, was wegen der großen gesellschaftlichen Auswirkungen »bedenklich« sei.
Wegen dieser engen und unklaren Vorgaben sah sich das Gericht allerdings gezwungen, die Klage von Attac abzuweisen. »Wir haben uns nach der engen Auslegung des Bundesfinanzhofs leider nicht in der Lage gesehen, einen Spielraum zu finden, alle Aktivitäten von Attac einem gemeinnützigen Zweck zuzuordnen. Es ist jetzt die Aufgabe der Politik, das Gemeinnützigkeitsrecht zu überarbeiten«, so der Vorsitzende Richter Helmut Lotzgeselle in seiner Urteilsbegründung. Der Möglichkeit einer Revision, wieder vor dem Bundesfinanzhof, wurde vom Gericht ausdrücklich stattgegeben.
Maria Wahle vom Vorstand des Attac-Trägervereins hält es für ein »beängstigendes Signal«, dass das Gericht gegen seine »offenkundige Überzeugung« bürgerschaftliches Engagement habe schwächen müssen. Die aktuelle Entscheidung habe gezeigt, wie »bedrohlich das Urteil des Bundesfinanzhofs für die gesamte demokratische Zivilgesellschaft« sei. Attac kündigte an, die Revision vor dem Bundesfinanzhof einzureichen. Dies sei allein schon deshalb wichtig, um notfalls Verfassungsbeschwerde einlegen zu können.
Wichtiger als eine gerichtliche Klärung scheint, dass Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) das Gemeinnützigkeitsrecht überarbeiten will. Auch dazu forderten Vertreter von Attac und der Allianz »Rechtssicherheit für politische Willensbildung« die Politik nach Ende des Prozesses in Kassel auf.
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