Lehnin wird umzingelt

Die US-Großübung »Defender 2020« wälzt sich durch Deutschland / 37 000 Soldaten beteiligt

  • René Heilig
  • Lesedauer: 3 Min.

In den letzten fünf DDR-Jahren gab es ein Festival, das »Rock für den Frieden« hieß und trotz des eindeutigen Propagandazwecks ein Highlight für alle Rockfans östlich der Elbe war. Die Puhdys, Karat, City, Silly, Express, Pankow ... die Gruppen zogen Zehntausende an. Ganz so viele werden es wohl nicht sein, die sich noch bis zum 4. März unter Angabe ihrer persönlichen Daten bei Defenderrock@Bundeswehr.org anmelden können und - so sie genehm sind - am 10. März Einlass in den Potsdamer Nikolaisaal erhalten. Dort spielt die United States Army Europe Band. Die »musikalischen Botschafter Amerikas«, so die Einladenden, begeistern jährlich Tausende »mit ihrer Mischung aus Rock und Pop, aus aktuellen Hits und Klassikern«. Ob sich die Begeisterung wohl auch auf die US-Großübung »Defender Europe 2020« überträgt, über die am Rande des Konzerts informiert wird?

Etwa 37 000 Soldatinnen und Soldaten aus 18 Nationen sind mit Tausenden Kampf- und Nachschubfahrzeugen sowie umfangreichem Material »on tour«. Erst aus den USA nach und dann quer durch Europa. Sie sollen als Rückversicherung der Nato die russische Führung beeindrucken und von unbedachten Aktionen à la Krim-Besetzung abhalten, heißt es.

Die Vorhut der Truppen ist bereits eingetroffen; die Soldaten haben unter anderem im brandenburgischen Lehnin oder rings um Torgelow in Mecklenburg-Vorpommern Camps errichtet. Hier werden die Kampftruppen übernachten und mit allem versorgt, was sie für ihren weiteren Marsch gen Osten benötigen. Der Großteil des Materials wird sich in dieser Woche durch die ostdeutschen Länder wälzen. Schweres Gerät nutzt die Dienste der Eisenbahn.

Die Host-Nation-Support-Aufgabe, also die des Gastgebers für die fremden Truppen, ist neu für die Bundeswehr. Und sicher nicht ganz billig. Doch die Bundesregierung winkt ab, als Linken-Haushälterin Gesine Lötzsch nach den Kosten fragt. Der deutsche Anteil werden sich auf »rund 6000 T-Euro« belaufen, heißt es. Zu den sechs Millionen kommt noch Kleinkram dazu. Beispielsweise werden die Kosten für Polizeibeihilfen von den Ländern getragen.

Ist das alles? Kaum, denn »erste Prognosen« besagen, dass der Bundeshaushalt wohl mit »22 000 T-Euro« belastet wird. So eine Übung ist nicht für »einen Appel und ein Ei« zu haben. Zumal Deutschland, das vor allem von den USA seit Jahren massiv gedrängt wird, seine Militärausgaben auf zwei Prozent des Bruttoinlandsaufkommens zu steigern, sich als potenter Nato-Partner darstellen will. Rund 2400 deutsche Soldatinnen und Soldaten nehmen direkt an der »Defender«-Übung teil. Weitere 1700 leisten Hilfsdienste. Hinzu kommt ziviles Personal, das für die Verwaltung oder zur Überprüfung von Umweltschutzauflagen gebraucht wird.

Da kommt auch allerlei zusammen, was im und für den zivilen Bereich festgezurrt und locker gemacht werden muss. Es geht um Grundstücke, Mieten, Versicherungen; Unterkünfte müssen renoviert, neues Material muss angeschafft werden. Für manche Firma zwischen Bremerhaven und Wuppertal ist die US-Übung - via Bundeswehrauftrag - ein Geschenk Gottes: Maler, Tischler, Elektriker, Klempner, Wäsche- und Toilettenhaus-Vermieter vom Schlage Toi Toi&Dixi. Auch regionale Sicherheitsdienste und Bäckereien sind in das Manöver einbezogen. Alles läuft ein wenig wie im richtigen Krieg.

Doch es gibt auch Positives zu vermelden: »Die Bundesregierung rechnet mit keinen signifikanten Manöverschäden.« Das mag stimmen, wenn man die langfristigen politischen Auswirkungen solcher Manöver ausblendet.

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